Kommentar des Robert Koch-Instituts
Erschweren Hygienerichtlinien für Zahnarztpraxen eine normale zahnärztliche Versorgung von HIV-Patienten?

Dr. med. Ulrich Marcus

Dr. med. Ulrich Marcus
Robert Koch-Institut Abt. Infektionsepidemiologie
E-Mail: MarcusU@rki.de


Seit dem ersten Auftreten von HIV hört man immer wieder Klagen darüber, dass operative und zahnärztliche Versorgung von bekannt HIV-positiven Patienten unter Hinweis auf Infektionsgefahren und angeblich zu aufwändige Hygienemaßnahmen verweigert wird.

In der Tat besteht grundsätzlich bei invasiven medizinischen Maßnahmen und zahnärztlichen Eingriffen die Möglichkeit, dass durch Blut übertragbare Erreger zwischen Arzt und Patient und von Patient auf Patient (meist über unzureichend aufbereitete Medizinprodukte) übertragen werden können. Um solche Übertragungsrisiken zu minimieren müssen in allen medizinischen Bereichen Grundregeln der Hygiene beachtet werden: diese beinhalten z.B. den Gebrauch steriler Einmalmaterialien, Reinigung, Desinfektion und Sterilisation von Instrumenten und Geräten, die kontaminiert werden können, sowie den Einsatz persönlicher Schutzausrüstung und Barrieremaßnahmen (Standardhygienemaßnahmen) wie z.B.  Händedesinfektion,  den Gebrauch von Schutzhandschuhen und Schutzkitteln, geeignetem Gesichtsschutz, etc. Diese Standardhygienemaßnahmen (Standard Precautions) gelten für alle Patienten und nicht nur für solche, bei denen eine Infektion mit einem blutübertragbaren Erreger bekannt ist. Wenn sie universell gelten sollen, müssen sie einfach und praktikabel sein. Die Erkenntnis, dass Standardhygienemaßnahmen stets eingehalten werden müssen, hat sich in den letzten Jahrzehnten im medizinischen Versorgungssystem in Deutschland weitgehend durchgesetzt. Täglich werden in Deutschland hunderte von Patienten mit chronischen blutübertragbaren viralen Infektionen (HBV, HCV, HIV) behandelt, ohne dass es dabei zu einer nennenswerten Gefährdung medizinischen Personals oder anderer Patienten kommt. Es ist wahrscheinlich, dass in vielen, möglicherweise sogar der Mehrheit dieser Fälle das Vorhandensein einer entsprechenden Infektion den Beteiligten gar nicht bekannt ist.

Warum kommt es dann trotzdem zu Behandlungsverweigerungen, sobald Infektionen wie eine HIV-Infektion dem behandelnden Arzt offenbart werden? Zunächst einmal gibt es mittlerweile kaum noch offene Behandlungsverweigerungen unter Hinweis auf das Vorliegen einer blutübertragbaren Infektion – kassenärztliche Vereinigungen und Ärztekammern haben unmissverständlich klargestellt, dass das Vorliegen einer solchen Infektion kein Grund für die Verweigerung medizinischer Hilfe sein kann. Behandlungsverweigerungen nehmen meist subtilere Formen an – eine davon ist der Verweis auf angeblich zu hohe Hygieneanforderungen, die im normalen Praxis- oder Stationsalltag nicht durchzuhalten seien. Als Konsequenz werden Behandlungen entweder unter Verweis auf den hohen Aufwand abgelehnt oder den Patienten werden wochenlange Wartezeiten zugemutet, ehe ihnen Termine am Ende der Sprechzeiten angeboten werden.

Im Bereich der zahnärztlichen Versorgung wird als Begründung für zu aufwändige Hygienemaßnahmen beispielsweise auf die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention zur Infektionsprävention in der Zahnheilkunde verwiesen.

Was steht tatsächlich in diesen Empfehlungen und ist der Verweis auf unzumutbar aufwändige Maßnahmen gerechtfertigt?

In der Einleitung der Empfehlungen wird darauf hingewiesen, dass Infektionsrisiken bei der zahnärztlichen Behandlung durch Anamneseerhebung, wirksame Hygienemaßnahmen, Methoden der Arbeitssystematik und anerkannte Technologien entscheidend verringert werden können.

Im Abschnitt „Risikobewertung“ wird unter einer ganzen Reihe von Infektionserregern, die in der Zahnheilkunde potenziell von Bedeutung sein können, unter anderem auch HIV aufgeführt, ohne dass für die Behandlung HIV-Infizierter „besondere hygienische Anforderungen“ formuliert werden. Solche „besonderen Anforderungen“ werden für zahnärztlich-chirurgische/oralchirurgische Eingriffe und derartige Eingriffe bei Patienten mit „erhöhtem Infektionsrisiko“ formuliert. Im Abschnitt „Besondere Anforderungen für Patienten mit Immunsuppression“ werden z.B. Anforderungen an Spülwasser von Dentaleinheiten formuliert, das bei der Behandlung hochgradig immunsupprimierter Patienten genutzt wird. Als Beispiele für hochgradige Immunsuppression werden angeführt Patienten mit angeborenen Immundefekten, Patienten unter akuter Chemotherapie, Transplantatempfänger mit medikamentös induzierter Immunsuppression, sowie HIV infizierte Patienten im Stadium AIDS.

Da diese Anforderungen in erster Linie dem Schutz der Patienten vor opportunistischen Infektionen dienen, gelten sie nicht für HIV-Patienten ohne ausgeprägten Immundefekt oder für erfolgreich antiretroviral therapierte Patienten, bei denen die Infektabwehr wieder weitgehend hergestellt ist.

In den Empfehlungen wird explizit darauf hingewiesen, dass „kontaminierte trockene Abfälle aus Einzelfallbehandlungen entsprechend erkrankter Patienten (AIDS, Virushepatitis), wie z.B. kontaminierte Tupfer, OP-Abdeckungen, Watterollen …“ keiner gesonderten Sammlung und Behandlung bedürfen sondern wie normaler Praxisabfall entsorgt werden können.

An keiner anderen Stelle in den Empfehlungen werden spezifische besondere Hygienemaßnahmen für Patienten mit HIV oder Hepatitisvirus-Infektionen gefordert.  

Schlussfolgerung

Die Weigerung von Zahnärztinnen und Zahnärzten, Patienten mit HIV-Infektion zu behandeln, lässt sich NICHT aus der Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention zur Infektionsprävention in der Zahnheilkunde ableiten bzw. begründen. Wer sich auf diese Empfehlungen beruft, um eine diskriminierende Behandlung HIV-infizierter Patienten in der zahnärztlichen Versorgung zu begründen, setzt sich dem Verdacht aus, diesen Grund nur vorzuschieben, um eine auf Halbwissen und Ängsten beruhende Diskriminierungsbereitschaft zu verschleiern. Alternativ oder zusätzlich können eine Rolle spielen, dass die Hygieneempfehlungen in Bezug auf HIV von Dritten in einer Weise interpretiert werden, die weder durch den Wortlaut noch den Geist der Empfehlungen gedeckt sind.  Für alle durch Blut übertragenen Krankheitserreger genügen Standardhygienemaßnahmen. Diese stellen die Basis jeden Handelns zur Infektionsprävention dar. Lediglich für Patienten mit HIV-Infektion im Stadium AIDS, sofern die Erkrankung mit einer manifesten Immunsuppression einhergeht, werden besondere Hygieneanforderungen zum Patientenschutz vor opportunistischen Erregern formuliert, die möglicherweise nicht von jeder Praxis ohne Mehraufwand erfüllt werden können.  

Die Übertragungswege von HIV sind bekannt. Sie sind im medizinischen Bereich mit denen von HBV und HCV identisch. Schon die Tatsache, dass viele Patienten gar nicht um Ihre Infektion wissen oder auf Grund negativer Erfahrungen mit einer Offenlegung gesellschaftlich stigmatisierter Infektionen wie HIV, HBV oder HCV diese dem behandelnden (Zahn)arzt verschweigen, bedingt die Regel, dass jeder Patient so behandelt werden muss als ob er infektiös wäre. Diesem Umstand tragen gute Hygienepläne Rechnung.

Nach Behandlung eines Patienten mit HIV-Infektion genügen die routinemäßig erforderlichen Hygienemaßnahmen wie die Desinfektion der patientennahen Flächen und die sachgerechte Aufbereitung der verwendeten Medizinprodukte.

Es ist weder ein eigener Behandlungsraum erforderlich noch ist es notwendig solche Patienten am Ende eines Sprechtages zu behandeln.


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