icaac/idsa 2008 logoICAAC/IDSA 2008, 24.-28.09.2008 IN WASHINGTON D.C.
HIV-Therapie im Mittelpunkt

Die ICAAC (Interscience Conference on Antimicrobial Agents and Chemotherapy) fand in diesem Jahr gemeinsam mit der Jahrestagung der amerikanischen Infektiologischen Gesellschaft (IDSA) in Washington D.C. statt. Die Kombination der beiden Tagungen führte viele Themen zusammen, so dass der Fortbildungscharakter der Veranstaltung dieses Mal besonders stark ausgeprägt war.

Abb. 1: CASTLE-Studie: Virologische Wirksamkeit und virologisches Versagen bei Woche 96
Abb. 1: CASTLE-Studie: Virologische Wirksamkeit und virologisches Versagen bei Woche 96

Abb. 2: STARTMRK-Studie 48 Wochen - Virologische Wirksamkeit und virologisches Versagen
Abb. 2: STARTMRK-Studie 48 Wochen - Virologische Wirksamkeit und virologisches Versagen

Die ICAAC ist seit vielen Jahren der wichtigste Kongress für alle Themen der antimikrobiellen Therapie, das Treffen der IDSA ist das wichtigste Treffen der in den USA ausgebildeten Infektiologen. Bei beiden Konferenzen spielt das Thema HIV eine zunehmend wichtigere Rolle - auf der ICAAC weil die Neuentwicklungen auf dem Antibiotika-Sektor seltener, im HIV-Bereich dafür umso häufiger geworden sind und bei der IDSA, weil die HIV-Infektion die wichtigste und häufigste ambulant therapierte Infektionskrankheit in den USA ist. Folgerichtig beschäftigten sich die wichtigsten und größten randomisierten Studien, die präsentiert wurden, mit der Therapie der HIV-Infektion. Selbstverständlich wurden aber auch weitere antivirale, antibiotische und antimykotische Substanzen präsentiert und diskutiert in insgesamt fast 10.000 Beiträgen.

WELCHER PROTEASE-INHIBITOR FIRSTLINE?

Immer mehr Proteasehemmer etablieren sich in der Firstline-Therapie. In Washington wurden die aktuellen Daten von zwei Studien gezeigt, die 96-Wochen-Ergebnisse der CASTLE-Studie (Atazanavir/r vs. Lopinavir/r) und der 48-Wochen-Ergebnisse der ARTEMIS-Studie (Darunavir/r vs. Lopinavir/r). Beide Studien sind mit dem Ziel gestartet, eine Gleichwertigkeit (genaues Studienziel: Nicht-Unterlegenheit) von geboostertem Atazanavir und Darunavir mit dem Goldstandard Lopinavir/r zu demonstrieren. Dies ist in beiden Fällen gelungen. In der CASTLE-Studie war das Ergebnis für Atazanavir/r sogar etwas besser (Abb. 1), ebenso in der ARTEMIS-Studie für Darunavir/r. In beiden Studien deutet jedoch nichts auf eine primär bessere Wirksamkeit hin. Der Unterschied geht jeweils auf eine höhere Abbruchrate wegen Nebenwirkungen im Lopinavir-Arm zurück. Beide Studien legen aber nahe, dass sowohl Atazanavir/r als auch Darunavir/r prinzipiell in der Firstline-Therapie der HIV-Infektion genauso gut wirksam ist wie Lopinavir/r bzw. Fosamprenavir/r (-Studie). Für Darunavir/r muss man für eine endgültige Aussage eventuell noch die 96-Wochen-Daten der ARTEMIS-Studie abwarten. Zur Sicherheit der Substanz liegen allerdings schon genügend Daten vor.

Therapiestart bei 500 CD4-Zellen?

Die Analyse der Daten von 8.374 HIV-Infizierten der amerikanischen NA-ACCORD-Kohorte sprechen für einen früheren Therapiebeginn als bisher üblich. Die HIV-Infizierten hatten bei Baseline 351-500 CD4-Zellen/µl, kein AIDS und waren nicht vorbehandelt. Insgesamt 2.473 Patienten begannen eine HIV-Therapie innerhalb von 1,5 Jahren, nachdem ihre CD4-Zellzahl 351-500 Zellen/µl (Mittel 421/µl) erreichte, und 5.901 starteten die Therapie erst bei weniger als 350 CD4-Zellen/µl (Mittel 275/µl). Der spätere Therapiebeginn war mit einem um 70% höheren Mortalitätsrisiko verbunden. Kitahata MM et al, Abstract H-896b

Interagieren Maraviroc und Raltegravir?

Bisher ging man davon aus, dass Maraviroc und Raltegravir keine Wechselwirkungen haben. In einer komplexen pharmakokinetischen Studie von Pfizer an 17 Freiwilligen fand sich jetzt doch eine Reduktion der AUC von Raltegravir durch den CCR5-Antagonisten um durchschnittlich 37%. Wenning, Abstract H-4054 und Andrews Abstract H-4055

Maturasehemmer Bevirimat

Die Wirksamkeit des Maturasehemmers Bevirimat (PA-457) wird durch die Polymorphismen Q369, V370 und T371 im gag-Gen beeinträchtigt. Ohne diese Mutationen führte der Maturasehemmer im Rahmen einer zweiwöchigen Monotherapie zu einer Reduktion der Viruslast im Schnitt um 1,18 log Kopien/ml. Eine Phase-3-Studie an vorbehandelten Patienten mit 100 mg/d Bevirimat ist geplant. Lalezari et al, Abstract H-891

FPV/r OD vs. FVP/r BID

Die einmal tägliche Gabe von FVP/r (1.400 mg/100 mg) wurde in einer offenen Studie namens MERIT (nicht zu verwechseln mit der Maraviroc-Studie mit dem gleichen Namen) mit der zweimal täglichen Applikation (1.400 mg/200 mg) jeweils in Kombination mit ABC/3TC an 212 therapienaiven Patienten verglichen. Nach 48 Wochen erreichten gleich viele Patienten eine Viruslast <50 Kopien/ml (ITT 73% vs. 76%). In jeder Gruppe kam es bei lediglich einem Patienten zum virologischen Versagen. Diarrhoen waren unter FVP/r OD deutlich seltener (<1% vs. 11%). Carosi G et al, # H-1244

Metaanalyse: ABC/3TC vs. TDF/FTC

In einem systematischen Review wurden die 48-Wochen-Daten von 12 prospektiven Studien mit 4.869 therapienaiven Patienten analysiert. Die Ansprechraten TDF/FTC vs. ABC/3TC waren (Viruslast <50 K/ml, ITT, TLOVAR):

  • Atazanavir/r: 79% vs. 77%
  • Darunavir/r: 84% vs. keine Daten
  • Fosamprenavir/r: 75% vs. 67%
  • Lopinavir/r: 74% vs. 66%
  • Aquinavir/r: 65% vs. keine Daten

Beim Endpunkt TLOVAR werden auch Studienabbrüche erfasst. Der Unterschied könnte somit auch auf Nebenwirkungen oder Adhärenzprobleme zurückgehen. Hill AM, Sawyer WS. Abstract H-1254

INTEGRASEHEMMER FIRSTLINE

In der sogenannten STARTMRK-Studie wird Raltegravir bei therapienaiven Patienten gegen Efavirenz jeweils in Kombination mit zwei NRTI verglichen. Die erste Auswertung nach 48 Wochen ergab auch hier eine nicht unterlegene Wirksamkeit des Integrasehemmers (Abb. 2). Das Ziel der vollständigen Virussuppression wurde unter Raltegravir sogar schneller erreicht, was vermutlich auch zu dem rascheren Anstieg der CD4-Zellen in dieser Gruppe geführt hat (+189/µl vs. 163/µl). Für eine Empfehlung des Integrasehemmers in der Firstline-Therapie sollte auf jeden Fall die 96-Wochen-Daten noch abwarten. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet. Zum ersten Mal scheint eine Substanz in der Firstline im direkten Vergleich auf Augenhöhe mit Efavirenz zu sein.

KNOCHENSTOFFWECHSEL

Zu SMART gibt es schon viele Subanalysen. Die jüngste davon ist jedoch etwas Besonderes. Zum einen beschäftigt sie sich mit dem Knochenstoffwechsel, einem Thema, zu dem es nur wenige Daten gibt. Zum anderen zeigte sich hier erstmals ein Vorteil der intermittierenden gegenüber der kontinuierlichen Therapie. Die konsekutiven Knochendichtemessungen an 214 Patienten ergaben nämlich einen deutlich langsameren Abfall der Knochendichte bei den diskontinuierlich behandelten Patienten. Bereits nach einem Jahr bestand zwischen den beiden Gruppen ein deutlicher Unterschied. Im zweiten Jahr der Studie fiel auch im diskontinuierlich behandelten Teil die Knochendichte allmählich ab, was als Effekt der Umstellung der gesamten Studienpopulation auf eine kontinuierliche Therapie interpretiert wurde. Eine Einzelsubstanz als Risikofaktor für einen Verlust von Knochensubstanz konnte nicht identifiziert werden.

NEUES ZU IMPFUNGEN

Generell sind Impfungen bei älteren Patienten (politisch korrekt "ältere Erwachsene ab dem 50. Lebensjahr") weniger wirksam sowohl hinsichtlich des Anstiegs der Antikörper als auch der Schutzwirkung. Bei zwei Impfungen wurde dieses Problem gelöst und zwar bei der Grippeschutzimpfung durch eine vierfach höhere Dosis und beim Herpes Zoster durch eine neue, ebenfalls höher dosierte Vakzine. Beide Impfungen haben durch die deutlich höhere Dosis eine sehr gute Schutzwirkung.

Zum ersten Mal wurde auch eine wirksame Cytomegalievirus-Impfung vorgestellt. Die wichtigste Zielgruppe sind hier junge Mütter zum Schutz vor Erst- bzw. Reinfektion mit Cytomegalievirus. Die Cytomegalie stellt ein hohes Risiko für ungeborene Kinder dar und kann z.B. über Sexualkontakte oder auch von älteren Kindern aus dem Kinderhort übertragen werden. Auch für Transplantationspatienten könnte die CMV-Impfung sinnvoll sein. Die vorgestellte Glykoprotein B-basierte CMV-Impfung hat eine 50%ige Schutzwirkung, was nicht zufrieden stellend, aber ein ermutigender Anfang ist.

Bilder: ICAAC/IDSA meeting in Washington 2008

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