Kommentar von Dr. Rainer Jordan, Witten
Empfehlungen erschweren Umgang mit HIV-Patienten
OA Dr. med. dent. A. Rainer Jordan, |
Laut Untersuchungen sehen sich Zahnärzte einem beträchtlichen HIV-Infektionsrisiko ausgesetzt (Coulter et al., 2000). Diese Ängste stehen deutlich im Gegensatz zu den bisher verfügbaren Daten und veröffentlichten retrospektiven und prospektiven Studien, in denen das Übertragungsrisiko untersucht worden ist. Scully und Porter (Scully et al., 1991) haben in einer Literaturübersicht dargestellt, dass das Risiko einer HIV-Übertragung auf Gesundheitspersonal extrem gering ist. Bis Juni 1990, also etwa 10 Jahre nach den ersten Veröffentlichungen zu AIDS-Erkrankungen in den Vereinigten Staaten, war bei 19 Personen eine berufliche HIV-Übertragung von Patienten auf medizinisches Personal weltweit gesichert. Es gibt allerdings keinen nachgewiesenen Fall einer beruflichen Übertragung von HIV auf zahnärztliches Personal. Das im Vergleich zu HBV deutlich geringere Infektionsrisiko wird vor allem durch die sehr viel niedrigeren Viruskonzentration im Blut HIV-seropositiver im Vergleich zu HBV-seropositiver Personen erklärt. Dies gilt insbesondere für antiretroviral behandelte Patienten (Vernazza et al., 2008), jenen also, die ihren HIV-Serostatus sicher kennen. Die meisten therapierten Patienten haben Konzentrationen im Bereich unter 100 infektiösen Viruspartikeln/ml Serum. Diese geringe Konzentration macht eine Übertragung selbst bei perkutanem Kontakt mit HIV-infiziertem Blut (Nadelstichverletzung) unwahrscheinlich. Das Risiko wurde 1997 in einer Übersichtsarbeit mit 0,3% angegeben (zum Vergleich: HCV 3%, akute HBV 30%). Diese Zahlen beziehen sich auf medizinisches Personal im Allgemeinen. Für Nadelstichverletzungen in der Zahnheilkunde ist das theoretische Risiko vermutlich geringer, da hier wesentlich dünnere Injektionsnadeln verwendet werden (27-Gauge oder 0,22 mm interner Durchmesser (Zahnmedizin) gegenüber 16- bis 22-Gauge oder 1,19 mm bis 0,43 mm (Allgemeinmedizin). Die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, die auch die Zahnmedizin einschließen, vereinfachen die routinemäßige Behandlung von Menschen mit HIV in der Zahnarztpraxis nicht gerade und sind vor einem biologischen Verständnis heraus schwer erklärlich. Gerade bei Patienten, die sich möglicherweise einer HIV-Infektion nicht bewusst sind und daher eine hohe Viruslast aufweisen können, und daher auch keine Auskunft über ihre Infektion geben können, greifen die besonderen Schutzmaßnahmen nicht. Hier scheint ein logischer Bruch vorzuliegen, der in der weiteren Entwicklung der Empfehlungen berücksichtigt werden sollte. Er ist abschließend sicher nicht förderlich für einen unverkrampften Umgang mit Patienten mit HIV in der zahnärztlichen Praxis.