Ramona Pauli, München
Rückblick 2012
Abb. 1 Timothy Brown, genannt der „Berliner Patient“, ist der erste Mensch, der von HIV geheilt wurde. 2012 besuchte er die WeltAidsKonferenz in Washington D.C.
Heilung ist vom Tabuthema zu einem zentralen Thema jeder HIV-Konferenz geworden. Es ist das Thema, das von allen Beteiligten mit größter Aufmerksamkeit verfolgt wird. Die Vernetzung und Strukturierung der internationalen Forschung in diesem Gebiet war sicherlich der wichtigste Schritt in den letzten beiden Jahren. Ein Durchbruch ist nicht in Sicht, doch ein kleiner Erfolg war die erstmals beim Menschen gelungene Aktivierung von latenten HI-Viren durch den Histon-Deacetylase-Inhibitor (HDAC-Inhibitor) Vorinostat bzw. Disulfiram (CROI 2012). Die ersten klinischen Studien mit Vorinostat laufen bereits. Für die Medien interessanter war die Diskussion um die Heilung des Knochenmark-transplantierten Timothy Brown, bei dem wohl noch (nicht replikationsfähiges) genetisches HIV-Material nachgewiesen wurde.
Therapie als Prävention
Abb. 2 Das Risiko sich mit HIV zu infizieren korreliert mit der Viruslast des Partners
Die wichtigen HIV-Kongresse, nämlich die CROI (Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections) und WeltAidsKonferenz (WAC), waren in diesem Jahr geprägt von den Diskussionen um die Therapie als Prävention und die medikamentöse Präexpositions-Prophylaxe (PrEP). Studien belegen, das Risiko einer HIV-Transmission korreliert mit der Viruslast im Blut und die Therapie als Prävention funktioniert (Abb. 2). Entsprechend wurde in den 2012 aktualisierten Leitlinien in England (BHIVA), den USA (IAS-US und DHHS) und in Deutschland (DAIG) der Wunsch des Patienten nach einer Reduktion des Transmissionsrisikos als Indikation zur antiretroviralen Therapie verankert.
Früher Therapiestart
Abb. 3 Anzahl der Leben, die durch eine Therapie in Abhängigkeit von der CD4-Zahl gerettet werden können im Vergleich zur Therapieindikation bei <200 CD4-Zellen/µl. Therapieindikation bei <350 CD4-Zellen/µl (lila), <500 CD4-Zellen/µl (gelb) und bei jeder CD4-Zahl (blau). Quelle: Granich 2012
In den USA wird die Therapie für alle HIV-Infizierten unabhängig von der CD4-Zahl empfohlen (DHHS, IAS-US). Die Empfehlung für eine Behandlung bei einer CD4-Zahl >500/µl erreicht allerdings lediglich den Evidenzgrad einer Expertenempfehlung (BIII), d.h. es gibt keine aussagekräftigen Studien. Ob sich durch die Ausweitung der Therapie tatsächlich die HIV-Pandemie stoppen lässt, bleibt abzuwarten (Abb. 3). Vermutlich wird das nicht gelingen, denn in reichen Ländern wie den USA erreicht das Gesundheitssystem die marginalisierten Gruppen nicht und weltweit steht nicht ausreichend Geld zur Verfügung. In Europa ist man hier konservativer, die britischen Leitlinien und die deutsch-österreichischen Leitlinien bleiben bei der Empfehlung die Therapie bei Patienten ohne „Spezialindikation“ bei einer CD4-Zahl um <350/µl einzuleiten.
PrEP
PrEP funktioniert – wenn sie regelmäßig eingenommen wird. Das belegen zahlreiche 2012 vorgestellte Analysen der iPrEx, Partners PrEP- und TDF2-Studie. Die prophylaktische Einnahme von Tenofovir vermindert das Risiko im Schnitt um 44-78%, bei korrekter Einnahme um über 90%. Auf Grundlage dieser Studien wurde die Fixkombination Tenofovir/Emtricitabin in den USA zur PrEP zugelassen. Leitlinien zum Einsatz der PrEP gibt es bislang aber nur wenige, nämlich von den amerikanischen CDC (Centers for Disease Control and Prevention) und der WHO (World Health Organisation). Die PrEP erlangt darin den Status einer zusätzlichen Präventionsstrategie.
Prävention in der Schwangerschaft
Die 2012 aktualisierte Leitlinie der DAIG zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und Prophylaxe beim exponierten Neugeborenen empfiehlt einen früheren Beginn der antiretroviralen Prophylaxe, um bis zum Zeitpunkt der Geburt bei möglichst allen Schwangeren eine Suppression der Viruslast unter die Grenze von 50 Kopien/ml erreichen zu können und damit das Übertragungsrisiko für das Kind maximal zu senken. Der Beginn der Prophylaxe bei sogenanntem Standardrisiko verschiebt sich gemäß der neuen Leitlinie von der 33. Schwangerschaftswoche (32+0) nach vorne und beginnt jetzt vier Wochen früher (28+0).
Neue Medikamente
Als einzige neue Substanz wurde 2012 das NNRTI Rilpivirin zugelassen und zwar als Einzelsubstanz (Edurant®) und in Fixkombination mit Tenofovir/Emtricitabin (Eviplera®). Die Substanz wurde in den Studien ECHO und THRIVE mit Efavirenz verglichen und war bei Patienten mit einer Ausgangsviruslast >100.000 Kopien/ml unterlegen. Entsprechend der Studienlage wurde Rilpivirin nur zur Behandlung von therapienaiven Patienten mit <100.000 Kopien/ml zugelassen (Abb. 4). Das Medikament muss mit einer kalorien-haltigen Mahlzeit eingenommen werden. Wechselwirkungen sind relevant mit Induktoren von CYP450 3A sowie Substanzen, die die QTc-Zeit verlängern. Vorteile von Rilpivirin sind die gute Verträglichkeit, der im Vergleich zu Efavirenz geringere Einfluss auf die Lipide und die geringe Tablettengröße von Rilpivirin allein.
Abb. 4 Virologische Wirksamkeit von Rilpivirin (ITT-TLOVR). Gepoolte Daten der Studien ECHO und THRIVE. Quelle: Cohen et al, IAS 2011
Neu zugelassen wurde auch eine neue Formulierung von NNRTI Etravirin (Intelence®). Aufgrund des größeren Wirkstoffgehaltes der neuen Tablette (200 mg) muss der Patient jetzt nur noch 2x1 Tablette einnehmen. Die Tablette ist groß, kann aber bei Schluckproblemen in Wasser aufgelöst werden. Die 100 mg-Tablette ist weiter erhältlich.
Der Proteasehemmer Darunavir (Prezista®) steht neuerdings auch als Saft für Kinder zur Verfügung. Die wässrige Suspension von 100 mg/ml Darunavir wurde für vorbehandelte Kinder ab drei Jahren und einem Mindest-Körpergewicht von 15 kg zugelassen in Kombination mit niedrig dosiertem Ritonavir.
Die amerikanische FDA hat Raltegravir zur Behandlung von Kindern ab zwei Jahren mit einem Körpergewicht von mindestens zehn Kilogramm zugelassen. Die Zulassung in Deutschland steht kurz bevor, denn der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Zulassungsbehörde (EMA) hat eine entsprechende Empfehlung zur Zulassungserweiterung ausgesprochen.
Bislang nur in den USA zugelassen ist die sogenannte QUAD-Pille bestehend aus dem Integrasehemmer Elvitegravir, dem Booster Cobicistat und den NRTI Tenofovir/Emtricitabin.
Firstline-Empfehlungen
Abb. 5 Empfohlene ART-Regime bei initialer Therapie
Die DHHS- und BHIVA-Leitlinien empfehlen nach wie vor als Firstline-Regime Efavirenz, geboostertes Atazanavir bzw. Darunavir oder Raltegravir jeweils in Kombination mit Tenofovir/Emtricitabin – nur bei schwangeren Frauen ist Lopinavir/r plus Tenofovir/Emtricitabin Mittel der Wahl. In den IAS-US-Leitlinien wurde Abacavir/Lamivudin rehabilitiert und hat bei HLA B5701-Negati-vität als Backbone mit Efavirenz und Atazanavir/r den gleichen Stellenwert wie Tenofovir/Emtricitabin. Die neuen Medikamente Rilpivirin sowie die Fixkombination mit Rilpivirin ebenso wie die Fixkombination mit dem Integrasehemmer Elvitegravir sind in allen Empfehlungen als Alternative gelistet. Die Deutsch-Österreichischen Leitlinien, die im April aktualisiert wurden, lassen dem Arzt mehr Spielraum. Lediglich der Proteasehemmer Invirase und die Kombination Tenofovir/Lamivudin werden als Alternativen klassifiziert.
HIV-positive Mitarbeiter
Die Unsicherheit von Arbeitgebern, Betriebsärzten und
HIV-positiven Mitarbeitern im Gesundheitswesen ist durch die Empfehlungen der
Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) e. V. und der
Gesellschaft für Virologie (GfV) e. V. deutlich geringer geworden. Bei stabiler
Viruslast ≤50 Kopien/ml können alle operativen und invasiven Tätigkeiten
durchgeführt werden, sofern bei diesen Tätigkeiten
doppelte Handschuhe getragen werden, die Viruslast des Mitarbeiters regelmäßig
bei einem HIV-Schwerpunktarzt kontrolliert
wird und eine regelmäßige
arbeitsmedizinische Betreuung erfolgt.
HIV/HCV-Koinfektion
Bei der Hepatitis C-Therapie wurden Expertenempfehlungen zum Einsatz der neuen HCV-Proteasehemmer Boceprevir und Telaprevir bei HCV-Monoinfizierten sowie HIV/HCV-Koinfizierten veröffentlicht. Die ersten Pilot-Studien bei Koinfizierten waren sehr ermutigend. Es zeigte sich wie bei HCV-Monoinfizierten eine Steigerung der Heilungsraten um rund 30%. Die Interaktionen bei Telaprevir und Boceprevir insbesondere mit antiretroviralen Substanzen sind komplex, aber kalkulierbar, so dass bei Patienten ohne ausgedehnte Resistenz eine Tripletherapie auch bei gleichzeitiger ART durchgeführt werden kann.
Schwierig ist derzeit eher die Entscheidung, bei welchen Patienten man auf neue Optionen wie einfachere Regime bzw. die Interferon-frei Therapie warten sollte. Hier raten die Leitlinien bei Nonrespondern auf eine duale Therapie ohne weit fortgeschrittene Fibrose (<F4) zu warten.