Siegfried Schwarze
Entzündung / Immunaktivierung bei HIV
Virus + Entzündung = Teufelskreis
Zunächst stellte er klar, dass die Entzündung in der Phase der primären HIV-Infektion die ganz normale und adäquate Antwort des Körpers auf einen Virusinfekt darstellt. Pathologisch ist allerdings, dass diese Entzündung während der chronischen Phase bestehen bleibt. Man nimmt an, dass dies der treibende Prozess des Krankheitsverlaufs ist, da afrikanische Affenarten, die schon lange mit HIV-ähnlichen Viren leben, zwar oft eine hohe Viruslast aufweisen, aber kaum erhöhte Entzündungsmarker und vermutlich deshalb auch nicht krank werden.
Das bereits auf mehreren Konferenzen vorgestellte Schaubild zeigt den Teufelskreis der HIV-Infektion: Durch die Schädigung des Darm-Immunsystems kommt es zur mikrobiellen Translokation, diese führt zur Immunaktivierung und damit zur vermehrten Bereitstellung von Zielzellen für das Virus. Die daraus resultierende Abwehrschwäche gegen andere Erreger trägt weiter zur Immunaktivierung bei. Sekundärschäden resultieren aus der Entzündung, Fibrosierung und Gerinnungsstörung.
Marker noch nicht geeignet für Routineeinsatz
Aktivierungsmarker des angeborenen Immunsystems sind bessere Marker für die Krankheitsprognose als CD4-Zellzahl oder Viruslast. Dennoch sind diese Laborwerte (z.B. IL-6) derzeit noch nicht für die Routinediagnostik geeignet, unter anderem weil sie im individuellen Patienten starke Schwankungen innerhalb weniger Stunden zeigen.
Alpha-Interferon: Tun oder lassen?
Als Beispiel für die Komplexität der Zusammenhänge führte Douek Alpha-Interferon an. Diese Substanz hat sowohl eine antivirale als auch eine entzündungserregende Wirkung. Sollte man ihre Wirkung also besser hemmen oder verstärken?
Affen wurden mit HIV infiziert und erhielten über vier Wochen einen alpha-Interferon-Rezeptor-Blocker. In der Nachbeobachtung zeigte sich, dass die behandelten Tiere über sechs Monate eine höhere Viruslast und niedrigere CD4-Zellzahl hatten als die nicht behandelte Kontrollgruppe. Es zeigte sich aber kein Einfluss auf typische Aktivierungsmarker wie HLA-DR oder Ki67. Vielleicht der deutlichste Hinweis: die behandelten Tiere starben alle innerhalb von 6-8 Monaten während die nicht behandelten mindestens zwölf Monate überlebten.
Die Botschaft war also klar: Hemmung von alpha-Interferon in der akuten Infektion führt zu einem ungünstigen Verlauf.
Also stellte man eine neue Hypothese auf: Die Gabe von alpha-Interferon sollte die Immunaktivierung erhöhen und damit den Krankheitsverlauf abmildern.
In einem ganz ähnlichen Studiendesign wurden Affen nun mit HIV infiziert und erhielten für vier Wochen wöchentlich pegyliertes alpha-Interferon. Als erstes Resultat zeigte sich, dass die mit Interferon behandelten Affen schwerer zu infizieren waren. Es brauchte bis zu fünf Versuche (mittels „rectal challenge“ – die Details möchte ich mir lieber nicht vorstellen), bis die Infektion „anging“.
Dann aber die Überraschung: Sobald die Tiere infiziert waren, hatten sie eine schnellere Krankheitsprogression und niedrigere CD4-Zellzahlen als die Kontrolltiere!
Was ist schlimmer?
Mit anderen Worten: Die Intervention mit alpha-Interferon hatte sowohl positive als auch negative Effekte, die sich überlagerten. Die Vermehrung von HIV und die Entzündungsreaktion sind zwar unterschiedliche klinische Ereignisse, hängen aber aufs engste zusammen und sind letztendlich beide schädlich. Den größeren Schaden aber verursacht offenbar die Virusvermehrung.
Um die Versorgung chronisch HIV-Infizierter zu optimieren, sind in naher Zukunft viele Studien mit entzündungshemmenden und/oder immunmodulierenden Substanzen geplant. Bleiben wir gespannt.
Diese Präsentation führte auch bei den anwesenden Experten zu erhöhtem Diskussionsbedarf (siehe Bild)