PML
09. Juli 2023
Spender T-Zellen gegen das
JC-Virus
Das
humane Polyomavirus
2 – früher bezeichnet als John-Cunningham-(JC-)Virus – infiziert
etwa 70 bis 90
Prozent aller Menschen weltweit, ohne dass die meisten es
überhaupt bemerken.
Doch einmal in den Körper gelangt, schlummert das Erbgut des
Erregers dort
weiter. Ist das Immunsystem geschwächt oder stillgelegt, wird
das Virus
reaktiviert und vermehrt sich. Über das Blut kann es in das
Zentralnervensystem
einwandern. Dann besteht die Gefahr für eine progressive
multifokale
Leukenzephalopathie (PML). Diese seltene Gehirninfektion
zerstört das
Hirngewebe allmählich und führt häufig innerhalb von wenigen
Wochen zum Tod.
Vor drei Jahren hat ein interdisziplinäres Team der
Medizinischen Hochschule
Hannover (MHH) einen bahnbrechenden Weg gefunden, die
Ausbreitung des JC-Virus
aufzuhalten. Seitdem bietet die Klinik für Neurologie mit
Klinischer
Neurophysiologie eine Behandlung mit neuen Abwehrzellen an, die
das Virus im
Körper der Betroffenen zurückdrängen können. PML-Betroffene aus
dem In- und
Ausland werden seitdem an der MHH behandelt. Allerdings handelt
es sich um
Einzelfallentscheidungen für individuelle Heilversuche. Damit
die Therapie als
etablierte Methode künftig allen Patientinnen und Patienten
zugänglich ist,
soll eine multizentrische klinische Studie den neuen
therapeutischen Ansatz
unter Standardbedingungen überprüfen. Das Bundesministerium für
Bildung und
Forschung (BMBF) unterstützt das Vorhaben für drei Jahre mit
zunächst 1,7
Millionen Euro.
Passgenaue Spenderzellen übernehmen die Virusabwehr
„Jetzt haben wir zum ersten Mal einen Ansatz, das Virus ohne
größere
Nebenwirkungen direkt zu bekämpfen“, erklärt Professor Dr.
Thomas Skripuletz,
Oberarzt an der MHH-Klinik für Neurologie. Die Lösung liegt im
Blut gesunder
Menschen, die zwar mit dem JC-Virus infiziert sind, jedoch nicht
krank werden.
Sie verfügen über passgenaue Abwehrzellen aus der Gruppe der
weißen
Blutkörperchen. Diese T-Lymphozyten erkennen den viralen
Angreifer als
körperfremd und leiten eine Immunantwort ein. Werden solche
spezifischen
T-Zellen in den Körper von PML-Betroffenen übertragen, bekämpfen
sie dort das
Virus, und der Zustand der Patienten stabilisiert sich.
Einzigartiges T-Zell-Spende-Register der MHH identifiziert die passenden Spender
„Das funktioniert allerdings nur dann ohne Probleme, wenn die Zellen der Spender die gleichen Gewebemerkmale haben wie die der Empfänger, also HLA-kompatibel sind“, erklärt Professorin Dr. Britta Eiz-Vesper, Immunologin am MHH-Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering. Weil das Institut nicht nur einer der deutschlandweit führenden Hersteller für Virus-spezifische T-Zellen ist, sondern auch das einzige T-Zellspenderregister führt, kann die Wissenschaftlerin geeignete Personen für eine T-Zell-Spende schnell auffinden. „Wir registrieren bei unseren Blutspendern, die in das Register eingewilligt haben, nicht nur die HLA-Merkmale der Blutzellen, sondern bestimmen gleichzeitig die Anzahl spezifischer T-Zellen gegen unterschiedliche Viren“, sagt die Immunologin. So können wirksame und auch verträgliche T-Zellen von Spendern für eine Zelltherapie verwendet werden, die mit den potenziellen Empfängern nicht verwandt sind. Dafür wird das Spenderblut so bearbeitet, dass die gesuchten T-Zellen herausgefiltert werden. Dann können sie entweder direkt verabreicht oder für eine spätere Verwendung eingefroren werden.
Viruslast im Nervenwasser nimmt ab
Einzigartig ist nicht nur das T-Zell-Spende-Register. Auch die Geschwindigkeit, mit der die passgenauen Abwehrzellen hergestellt werden, ist herausragend. „Wenn wir einen passenden Spender gefunden haben, schaffen wir die Produktion quasi über Nacht, was für die Betroffenen ein echter Überlebensvorteil ist“, stellt Professorin Eiz-Vesper fest. Und je früher therapiert werden könne, desto geringer sei die Gefahr bleibender schwerer Schäden im Hirngewebe. Erbringt die klinische Studie nun den allgemeinen Wirknachweis der Behandlungsmethode, könnte aus der Einzelfall-Entscheidung eine für alle PML-Patienten zugelassene Therapie werden. Und das betrifft möglicherweise mehr Menschen als bisher angenommen. „PML steht vermutlich zu selten im Blick der behandelnden Ärztinnen und Ärzte, auch weil es bislang keine Heilungsmöglichkeit gab“, sagt Professor Skripuletz. Zudem gebe es immer mehr immunsuppressive Behandlungen, was eine Hirninfektion durch das Virus begünstige. Und langfristig, so ist der Neurologe überzeugt, ließe sich das Therapieprinzip auch auf andere neurologische Viruserkrankungen ausweiten.
Die Studie wurde gemeinsam mit Professor Dr. Günter Höglinger beantragt. Sie wird koordiniert vom MHH-Zentrum für Klinische Studien (ZKS) und erfolgt in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der MHH aus der Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie, dem Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering, dem Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie und dem Institut für Biometrie. Weiterhin beteiligt sind die Neurologischen Abteilungen der Unikliniken in Düsseldorf, Essen, Kiel, Köln und München.
Weitere Informationen bei Professor Dr. Thomas Skripuletz, skripuletz.thomas@mh-hannover.de.