Johannes Bogner, München

Update NNRTI: Differentialindikation bei HIV-Infektion

Nach Therapieleitlinien gehören NNRTI zu den bevorzugten Firstline-Optionen und auch in der Folgetherapie nehmen sie einen wichtigen Platz ein. Mittlerweile verfügen wir über vier verschiedene NNRTI (das in Deutschland nicht verfügbare Delavirdin nicht eingerechnet). Jedes Medikament hat Vor- und Nachteile und die Frage stellt sich, wie man diese im Sinn einer Differentialindikation in der Praxis einsetzt. Die individualisierte Therapieentscheidung ist in Deutschland eher üblich als eine flächendeckende Monokultur der Verschreibung, die sich an einem einzigen Standard orientiert.

Wirksamkeit

Sowohl für die NNRTI (Nicht-Nukleosidischer Reverse Transkriptaseinhibitor) der ersten Generation Nevirapin und Efavirenz wie auch für die neueren Substanzen Etravirin und Rilpivirin ist eine gute antivirale Wirksamkeit belegt. Es gibt Vergleichsstudien mit Proteaseinhibitor (PI)-basierten Therapieregimen und auch Vergleiche innerhalb der Klasse. Alleine für Etravirin liegen keine ausreichenden Daten im Vergleich mit anderen Substanzklassen vor.

Aus Studien wie der DMP 266-006-Studie (Efavirenz versus ungeboostertes Indinavir) und der ARTEN-Studie (Nevirapin versus Lopinavir/r) wissen wir, dass die antivirale Wirksamkeit der NNRTI einer PI-basierten Therapie mindestens ebenbürtig ist. Vorteile werden dabei gesehen in der im Vergleich zum Proteaseinhibitor-Regime niedrigeren Pillenanzahl und in der relativ besseren Verträglichkeit. Efavirenz steht schon seit längerem als einmal tägliche Tablette zur Verfügung. Mittlerweile ist auch Nevirapin in der retardierten Form zur täglichen Einmalgabe verfügbar.

Die Wirksamkeit von Rilpivirin wurde in den beiden Zulassungsstudien ECHO und THRIVE geprüft. Dabei zeigte sich bei hoher Ausgangsviruslast ein entscheidender Aspekt: In der gepoolten Analyse wiesen Patienten in der Rilpivirin/TDF/FTC-Gruppe bei einer Ausgangs-Viruslast von mehr als 100.000 Kopien/ml eine höhere virologische Versagensrate auf als Patienten in der Vergleichsgruppe mit Efavirenz/TDF/TFC (15,3% versus 5,9%). Dieses Ergebnis führt zur Beschränkung der Zulassung auf Patienten mit einer Viruslast von weniger als 100.00 Kopien/ml.

Nebenwirkungen

In der Praxis orientiert sich die Auswahl des Therapieregimes nicht selten am Nebenwirkungsprofil der Substanzen. „Was wollen Sie lieber vermeiden: Schwindel oder Ausschlag?“ So könnte zum Beispiel die Frage an den aufzuklärenden Patienten lauten, wenn es um die Entscheidung Efavirenz oder Nevirapin geht. Während bei Efavirenz ein hoher Prozentsatz der Behandelten zu Therapiebeginn mit unangenehmen zentralnervösen Nebenwirkungen rechnen muss, die mehrere Tage bis wenige Wochen anhalten können, muss man bei Nevirapin bei etwa 5% der Patienten mit einem juckenden Arzneimittelexanthem rechnen, das in seltenen Fällen auch zu schweren und schwersten Hautreaktionen bis hin zum SJS führen kann. Bei beiden Substanzen besteht jedenfalls bei Therapiebeginn ein aufwändiger Aufklärungs- und Erklärungsbedarf seitens des Arztes (und ggf. des Apothekers) um den Patienten auf mögliche Nebenwirkungen vorzubereiten.

Günstiger ist hier die Situation bei Rilpivirin. Die im Vergleich mit Efavirenz gezeigte signifikant niedrigere Inzidenz von ZNS-Nebenwirkungen erleichtert den Therapiestart. Auch die Frequenz von Hautreaktionen scheint relativ niedrig zu sein, wobei allerdings ein direkter Vergleich mit Nevirapin unter Studienbedingungen nicht vorliegt.

Im Hinblick auf die Lipide wurden Nevirapin und Efavirenz in einer prospektiven Substudie von 2NN verglichen. Unter Nevirapin kam es zu einem geringeren Anstieg des Gesamtcholesterins und der Triglyceride sowie einem stärkeren Anstieg des günstigen HDL-Cholesterins.

Tab. Vorteile, Nachteile, relative und absolute Kontraindikationen in der Differentialtherapie mit NNRTI in der Firstlineanwendung bei HIV-1

* „Ältere Patienten: Eviplera wurde nicht bei Patienten im Alter von über 65 Jahren untersucht. Bei älteren Patienten sollte Eviplera mit Vorsicht angewendet werden“ (full prescribing information)

# „Eviplera sollte bei Patienten mit einer mittelgradigen Leberfunktionsstörung mit Vorsicht angewendet werden. Bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung (CPT-Klasse C) wurde Eviplera nicht untersucht. Deshalb wird die Anwendung von Eviplera bei diesen Patienten nicht empfohlen“

** „Kinder und Jugendliche: Die Sicherheit und Wirksamkeit von Eviplera bei Kindern im Alter von unter 18 Jahren ist nicht nachgewiesen.

## „Die gleichzeitige Anwendung von Eviplera mit Arzneimitteln mit bekanntem Risiko für Torsade de Pointes sollte mit Vorsicht erfolgen“

###„P-Glykoproteinsubstrate: Die gleichzeitige Anwendung von Eviplera und Arzneimitteln, die P-Glykoprotein-Substrate sind (z.B. Digoxin und Dabigatran), sollte mit Vorsicht erfolgen. In vitro hemmt Rilpivirin das P-Glykoprotein. Die klinische Relevanz dieser Hemmung ist nicht bekannt. Möglicherweise hemmt Rilpivirin intestinales P-Glykoprotein und beeinträchtigt so Arzneimittel, die im Darm durch P-Glykoprotein transportiert werden (z.B. Dabigatran). Dies kann zu einem Anstieg der Plasmakonzentrationen dieser Arzneimittel führen.“

++ FDA full prescribing information „warnings“

***„Bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung (CPT-Klasse C) wurde Eviplera nicht untersucht. Deshalb wird die Anwendung von Eviplera bei diesen Patienten nicht empfohlen“

§  „Eviplera enthält Lactose-Monohydrat. Aus diesem Grund dürfen Patienten mit seltenen, erblichen Krankheiten, wie einer Galaktose-Intoleranz, einem Laktase-Mangel oder einer Glukose-Galaktose-Malabsorption, dieses Arzneimittel nicht anwenden.“

$  „Es hat auch Post-Marketing-Berichte zu schwerer Depression, Tod durch Suizid, Wahnvorstellungen und Psychose-ähnlichen Störungen gegeben.“

Tab. Vorteile, Nachteile, relative und absolute Kontraindikationen in der Differentialtherapie mit NNRTI in der Firstlineanwendung bei HIV-1

Firstline

Eine Zulassung für den Einsatz in Firstline-Regimen besteht für Nevirapin, Efavirenz und Rilpivirin. Ein erster direkter Vergleich von Nevirapin und Efavirenz wurde im Rahmen der so genannten 2NN-Studie unternommen. Bezüglich der antiretroviralen Wirkung zeigte sich eine ähnliche Effektivität, wobei die Studie zur Festlegung einer Über- oder Unterlegenheit nicht wirklich gepowert war. Ein weiterer Vergleich wurde in der Zulassungsstudie von Rilpivirin vor- genommen. Hier wurde für Patienten mit einer Ausgangsviruslast von weniger als 100.000 Kopien/ml die Nicht- Unterlegenheit von Rilpivirin gezeigt. Patienten, die wegen Nebenwirkungen wechseln, befinden sich „virologisch“ ebenfalls in der Firstline. Für Patienten, die unter Efavirenz/TDF/FTC unter ZNS-Nebenwirkungen leiden und deren Viruslast <100.000 Kopien/ml liegt, käme also auch ein Wechsel auf die Fixkombination von Rilpivirin plus TDF/FTC in Frage.

Folgetherapien

Tab. 1  Wirkmechanismus NNRTI
Tab. 1
  Wirkmechanismus NNRTI

Hier ist der Platz von Etravirin zu sehen. Die Stärke dieser Substanz liegt darin, dass auch bei vorbestehenden NNRTI-assoziierten Resistenzmutationen noch eine ausreichende Wirkung bestehen kann. Die Frage, welche und wieviele Mutationen bestehen können, um den Einsatz von Etravirin noch zu rechtfertigen, kann mit Hilfe eines eigens dafür entwickelten Resistenz-Scores beantwortet werden. Als sperrig für den Einsatz hat sich die Zulassungsbeschränkung erwiesen, die den Einsatz nur in Kombination mit einem geboosterten Proteasehemmer vorsieht.

Resistenz

Die Klasse der NNRTI ist durch eine rasche Resistenzentwicklung unter einer Monotherapie gekennzeichnet. Es kann sich eine Ein-Schritt-Resistenz (z.B. K103N) entwickeln, d.h. HIV wird durch eine einzige Mutation im RT-Gen resistent. Deshalb ist die Kombination mit einer funktionierenden Background-Medikation (meist aus zwei Nukleosiden) erforderlich. Eine funktionelle Monotherapie, z.B. bei RTI-Resistenzen, kann relativ schnell in ein virologisches Therapieversagen münden.

In der Zellkultur zeigten die untersuchten Isolate bereits nach einer einwöchigen Monotherapie mit Nevirapin eine verringerte phänotypische Empfindlichkeit. Typische Aminosäure-Substitutionen, die mit NNRTI-Resistenz einhergehen, sind Y181C, K101E, G190A/S, K103N, V106A/M, V108I, Y188C/L, A98G, F227L und M230L. Diese wurden bereits zwei Wochen nach Beginn einer Monotherapie gefunden. Bis Woche acht wiesen in einer Monotherapie-Beobachtung 100% der getesteten Patienten (n=24) Isolate auf, deren Empfindlichkeit gegen NNRTI  um das 100fache zurückgegangen war. Ein nicht funktionierendes NNRTI-Regime sollte daher umgehend optimiert werden, insbesondere um eine Akkumulation von mehreren NNRTI-Resistenzmutationen zu verhindern, die die Wirksamkeit von Etravirin als Secondline-Option einschränken kann. Für Rilpivirin wurde im Rahmen der Zulassungsstudien bei virologischem Versagen eine höhere Rate von NNRTI-Kreuzresistenz beobachtet als im Vergleichsarm mit Efavirenz.

Die NNRTI-Resistenz gehört zur häufigsten bei der primären Infektion mit-übertragenen Resistenz (Primärresistenz). Deshalb ist es gerade bei einer NNRTI-Therapie in der Firstline eine genotypische Resistenztestung vor Therapiebeginn empfehlenswert.

Wertung und Kommentar

In der Primärtherapie haben alle drei dafür zugelassenen Substanzen ihren Platz. Im Sinn einer Differentialindikation kann für jeden Patienten die „richtige“ oder wünschenswerte Substanz ausgewählt werden. In Sekundär- oder Folgetherapien sollten NNRTI nur eingesetzt werden, wenn entweder Therapienaivität für die Klasse vorliegt oder mittels genotypischer Resistenztestung Empfindlichkeit gezeigt wurde. Bei NNRTI-Resistenz durch eine oder wenige Mutationen kann Etravirin noch wirksam sein.



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