Interview mit Prof. Jan van Lunzen, Hamburg
Auf dem Weg zur funktionellen Heilung

Das neue Schlagwort ist „funktionelle Heilung“ oder „Remission“. Wie ist das definiert?


PD Ian van Lunzen, HamburgIan van Lunzen, Hamburg

Van Lunzen: Ein großes Problem ist derzeit die Begriffsbestimmung, denn es gibt noch keine allgemein gültige Definition für funktionelle Heilung. Derzeit spricht man von funktioneller Heilung, wenn die Viruslast bei Patienten nach Absetzen der Therapie unter der Nachweisgrenze bleibt und das Immunsystem normal funktioniert und das Virus unterdrückt. Das sind etwa die gleichen Kriterien wie bei Elite Controller (EC), nur dass diese Patienten im Gegensatz zu Post Treatment Controller (PTC) nie eine hohe Viruslast hatten. Auch zeigen Elite Controller im Gegensatz zu PTC starke und breite HIV-spezifische T-Zellantworten. Beide Gruppen haben aber ein gleichermaßen geringes Reservoir an latent infizierten Zellen.

Insbesondere die HIV-DNA scheint eine große Rolle zu spielen. Wo und wie wird die HIV-DNA gemessen?

Van Lunzen: In den meisten Studien wird die gesamte provirale DNA in peripheren weißen Blutkörperchen (PBMC) gemessen. Sie gilt als Maß für das virale Reservoir. Einen Cut off, wie bei der Viruslast im Plasma gibt es nicht. Es gibt nur technische Grenzen und die Bedeutung für den klinischen Verlauf ist unklar.

Hinzufügen muss man allerdings, dass es derzeit noch kein standardisiertes Verfahren zur Messung der proviralen DNA gibt. In der Diskussion ist auch, ob die Messung der proviralen DNA ausreichend ist oder ob man zusätzlich noch die integrierte und nicht integrierte DNA oder sogar noch die zell-assoziierte RNA bestimmen muss und ob man die DNA auch in anderen Kompartimenten wie Darmschleimhaut und Lymphknoten berücksichtigen muss. Auch besondere T-Helferzell-Subpopulationen wie follikuläre T-Helferzellen (Tfh) und T memory Stammzellen (Tscm) wurden als neue virale Reservoire identifiziert. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, inwieweit es sich um replikationsfähige Viren handelt. Hierzu sind sehr aufwändige Zellkultur-Untersuchungen notwendig, die weltweit nur in wenigen Labors zur Verfügung stehen.

In der Literatur wird über 5-15% potentieller Post-Treatment-Controller gesprochen. Halten Sie diese Zahl für realistisch?

Van Lunzen: Das sind vage Berechnungen aus der französischen Post Treatment Controller-Kohorte, die erst bestätigt werden müssen. Ich halte es aber durchaus für möglich, dass etwa 5-10% unserer Patienten funktionell geheilt sind, wenn sie sehr früh während der akuten Infektion behandelt wurden.

Welche Prädiktoren gibt es für eine solche funktionelle Heilung? 

Van Lunzen: Am wichtigsten ist die frühe Behandlung innerhalb der ersten drei Monaten nach der Exposition, wobei hier gilt je früher desto besser. Einer thailändischen Studie zufolge haben Patienten, die nur ein positives HIV PCR-Signal haben, aber noch einen negativen ELISA/p24-Suchtest und negativen Western Blot (Fiebig Stadium I), nur wenig provirale DNA in den PBMC und damit die besten Chancen. Weitere wichtige Prädiktoren sind ein CD4-Nadir nicht unter 350/µl, eine optimale Behandlung über mehrere Jahre ohne Blips und ein normaler Immunstatus. Sind zudem die Viruslast im single copy assay und die provirale DNA niedrig, kann man durchaus eine geplante Therapieunterbrechung versuchen. Dies sollte jedoch nicht im Routinesetting, sondern im Rahmen von klinischen Studien erfolgen.

Und wo kann man in Deutschland die provirale DNA messen lassen?

Van Lunzen: Das können wir jetzt bei uns im UKE in Hamburg machen. Wir haben vor kurzem das einzige kommerziell erhältliche Verfahren hier etabliert. Man muss die speziellen Röhrchen anfordern und etwa 30-40 ml Vollblut einschicken. Die Kosten belaufen sich auf etwa 50,-- € pro Bestimmung und werden von den Krankenkassen nicht übernommen. Auch haben wir gerade ein Gerät für eine digitale PCR beantragt, welches wesentlich sensitivere Messungen als die herkömmlichen Assays erlaubt.

Welche Kontrolluntersuchungen sollte man im Rahmen der Therapieunterbrechung machen?

Van Lunzen: Man sollte natürlich engmaschig Viruslast, Immunstatus und Immunaktivierung kontrollieren. Meist steigt die Viruslast nach dem Absetzen innerhalb von vier bis acht Wochen kurz auf Werte zwischen 50 und 200 Kopien/ml und fällt dann bei PTC wieder unter die Nachweisgrenze. Wenn die Viruslast darüber liegt oder eine steigende Tendenz zeigt, sollte man die Behandlung unbedingt wieder aufnehmen.


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