Anette
Strehlow, Düsseldorf
Nicht Fisch –
nicht Fleisch – oder:
die
Krux der ART bei Jugendlichen
Der damals 16 jährige Junge stellte sich erstmals im August 2011 bei mir vor. Er war mit seiner aus Burundi stammenden Mutter, die selbst HIV positiv ist und seiner ein Jahr jüngeren, HIV-negativen Schwester aus einer anderen deutschen Stadt nach Düsseldorf gezogen. Die Diagnose war bei ihm und der Mutter erst im Jahr 2001 gestellt worden, zu diesem Zeitpunkt war er 6 Jahre alt. Die Mutter ist alleinerziehend, spricht schlecht Deutsch, vorwiegend Französisch und war als Asylantin ohne Arbeit. Der Junge ging mittlerweile aufs Gymnasium, hatte recht gute Noten und spielte aktiv Football.
Er war beschwerdefrei, hatte nicht mehr oder weniger Infekte als andere Jugendliche und war nie schwer krank gewesen. Er litt allerdings schon als kleines Kind an einer Hausstaubmilben- und Gräserpollenallergie.
Problem Adhärenz
Die Mutter hatte aufgrund mangelnder Adhärenz mittlerweile zahlreiche Resistenzen und war auf eine intensive antiretrovirale Therapie mit zwei mal täglich je acht Tabletten eingestellt. Sie hatte den Jungen nur unregelmäßig in der Kinderklinik der anderen Stadt vorgestellt.
Beim Umzug hatte diese ihn an die Düsseldorfer Kinderklinik verwiesen, wo er sich aber nie vorgestellt hatte. Er war einige Male bei einem zwar mit HIV vertrauten, aber nicht HIV behandelnden, Kinderarzt gewesen.
Weder der Junge noch die Mutter konnten die genaue Vormedikation benennen und auch der Kinderarzt hatte nur ungenaue Informationen. Vermutlich hatte er durchgehend Combivir® und Viracept® bekommen. Aufgrund der hohen Tablettenzahl hatte er jedoch die Medikamente nicht immer regelmäßig eingenommen und vor allem die Abenddosis häufig weggelassen.
Problem ärztliche Kooperation
Der Anruf in der Kinderklinik der anderen Stadt blieb ohne Erfolg, denn die Kollegin der Kinderambulanz sagte mir, sie sei bei einer solch umfangreichen Akte nicht bereit, sie herauszusuchen und alles nochmal zu kopieren oder zu faxen, das hätte sie bereits getan. Sie war lediglich bereit, den letzten Arztbrief an den lokalen Kinderarzt zu faxen.
Virologisches Versagen
Suchteste für Hepatitis C war negativ, es bestand ein guter Impfschutz gegen Hepatitis A, aber keiner gegen Hepatitis B. Toxoplasmose und EBV waren negativ, das CMV-IgG mit 153 IU/ml erhöht. Die Viruslast war mit 1.632 Kopien/ml deutlich über der Nachweisgrenze. Die CD4-Zellen lagen mit 706/µl im Normbereich, relativ mit 28,7% allerdings leicht darunter. Die CD8 Zellen waren mit 1.210/µl leicht erhöht, die Ratio betrug 0,58%. Auffällig war ansonsten nur noch ein mit 4,65 mU/l leicht erhöhtes TSH basal.
Die Resistenzuntersuchung ergab folgende Mutationen: M184V (war zu erwarten), jedoch keine Resistenzen im Bereich der NNRTI. Bei den Proteaseinhibitoren fanden sich die A71V, G73S, K201, M361, I13V und H69K. Somit lag eine starke Resistenz gegen 3TC, FTC, NFV und eine schwache Resistenz gegen SQV und ATV vor.
Wunschtherapie STR
Die Mutter lag mir sehr in den Ohren, eine einfache Therapie zu verordnen. Der sehr ruhige Junge wünschte sich ebenfalls eine einmal tägliche Therapie mit möglichst wenig Tabletten und wenig Nebenwirkungen.
Nach Rücksprache mit den Kinderärzten der Düsseldorfer Klinik und den Virologen sowie Aufklärung der Mutter und des Jungen über den „off-label-use“ entschieden wir uns trotz der M184V aufgrund der Einfachheit der Therapie für Atripla®.
Der Junge war niemals depressiv gewesen, schlief gut und war mit der Medikation trotz der möglichen ZNS-Nebenwirkungen einverstanden. Über die Bedeutung der regelmäßigen Einnahme und die Gefahr von Resistenzen gerade im Hinblick auf die bereits bestehenden Mutationen wurde er in Anwesenheit der Mutter intensiv aufgeklärt. Zur Erleichterung des Verständnisses erfolgte die Aufklärung in Deutsch und Französisch.
Soziale Situation
Zu der ohnehin nicht günstigen sozialen Konstellation kam zu diesem Zeitpunkt erschwerend hinzu, dass der älteste Sohn der Mutter versucht hatte, illegal über die Türkei nach Deutschland einzureisen und seit einigen Wochen in der Türkei im Gefängnis saß. Die Mutter reiste deshalb mehrfach mit dem Bus in die Türkei und versuchte ihren Sohn im Rahmen der Familienzusammenführung aus dem Gefängnis zu holen. In dieser Zeit blieben die beiden anderen Kinder zwangsläufig sich selbst überlassen, was ebenfalls für eine möglichst einfache Therapie sprach.
Am Ziel
Die Behandlung wurde lege artis mit den Einzelsubstanzen unter engmaschigen Kontrollen der Laborparameter und regelmäßigem Monitoring des Jungen bzgl. der eventuellen Nebenwirkungen eingeleitet.
Die Behandlung war erfolgreich. Die Viruslast ist unter der neuen Therapie nicht mehr nachweisbar. Die Helferzellen liegen aktuell bei 665/ul (33,4%) und die Ratio beträgt 0,83. Die Verträglichkeit ist sehr gut und der Junge beklagt keinerlei Nebenwirkungen.
Geplant ist mittelfristig wegen des Risikos bei nur zwei wirksamen Substanzen vielleicht doch auf eine einmal tägliche Therapie mit einem geboosterten Proteasehemmer umzustellen. Diese Lösung wird aber weder von dem Patienten noch seiner Mutter favorisiert.
Fazit
Für Kinder und Jugendliche sind nicht so viele Substanzen zugelassen wie für Erwachsene und schon gar keine Single-Tablet-Regime. Die Tablettenzahl bei Kindern liegt deutlich höher als bei den Erwachsenen und die Adhärenz hängt eng mit der Adhärenz der Eltern und deren Verständnis zusammen. Wohnortwechsel und andere äußere Faktoren (Sprachschwierigkeiten, niedriges Einkommen) erschweren die Adhärenz weiter.
Mit der Adoleszenz ändern sich die Gewohnheiten der Jugendlichen, der Umgang mit der chronischen Erkrankung und die Tabletteneinnahme wird noch schwieriger. Bei Ausflügen mit dem Sportverein oder ins Schullandheim muss die Medikation versteckt werden oder sie wird einfach ausgesetzt, vor allem, wenn es sich um viele Tabletten mit einschränkenden Einnahmevorschriften handelt.
Die Jugendlichen wollen nicht mehr zum Kinderarzt oder in die Kinderambulanz und gehen daher nicht selten „verloren“, weil sie noch nicht in die Erwachsenenambulanzen gehen können oder keinen Schwerpunktarzt kennen. Zu diesem Zeitpunkt werden schon vorhandene Therapien ausgesetzt und keine Kontrollen mehr gemacht und es tritt eine Verschlechterung der Erkrankung ein. Des Weiteren entstehen Resistenzen, die die notwendige lebenslange Behandlung unnötig verkomplizieren.
Wünschenswert sind deshalb eine engere Zusammenarbeit der Kinderambulanzen mit den HIV-Schwerpunktärzten und eine gezielte Überleitung der Patienten gegen Ende der Adoleszenz. Die Erweiterung der Zulassungen für „modernere“ Medikamente ist ein weiterer wichtiger Aspekt für die erfolgreiche lebenslange Behandlung der Patienten.