Die STI-Outreach-Studie
Prävalenz von Chlamydien, Gonorrhoe und
Trichomonaden bei „schwer erreichbaren (?)“ Sexarbeiterinnen in Berlin, Hamburg und NRW

Robert Koch Institute LogoDurch aufsuchende Arbeit konnten über 1.500 Sexarbeiter_innen in Deutschland an ihrem Arbeitsplatz befragt und auf STI untersucht werden. Es zeigte sich, dass besonders marginalisierte Gruppen höhere STI-Raten aufwiesen. Gleichzeitig macht die Studie deutlich, dass diese Frauen erreichbar sind – allerdings nur mit akzeptierenden Angeboten.

Sexarbeit in Deutschland

Die Anzahl von Sexarbeiter_innen in Deutschland ist unbekannt. Es liegen zwar verschiedene Schätzungen vor, die aber keinen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Trotzdem kann es als sicher gelten, dass in Deutschland eine hohe Zahl weiblicher und eine geringere Anzahl männlicher Sexarbeiter_innen tätig sind. Zur soziodemographischen Zusammensetzung dieser Gruppe finden sich in der aktuellen, politisch sehr aufgeheizten Debatte zwar verschiedenste Meinungen, aber auch hier existieren keine wissenschaftlich belastbaren Zahlen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass es eine weite Spannbreite von Sex-arbeiter_innen gibt, in Bezug auf Alter, Bildungsstand, Präventionskenntnisse, Selbstbestimmtheit der Tätigkeit etc.

Eingeschränkter Zugang

Sexarbeiter_innen können aufgrund ihrer Tätigkeit einem höheren Risiko ausgesetzt sein, sich mit sexuell übertragbaren Infektionen (STI) zu infizieren. Dabei können STI sowohl von Freiern als auch von den privaten Sexpartner_innen übertragen werden.

Infektionen mit bakteriellen STI wie Chlamydien, Gonorrhö und Trichomonaden verlaufen häufig symptomlos, können aber zu Folgeerkrankungen bis hin zu Unfruchtbarkeit führen. Sie sind meist leicht behandelbar durch Antibiotika, auch wenn Resistenzen in den letzten Jahren zum Beispiel bei Gonorrhoe die Behandlung erschweren können.

Angst vor Stigmatisierung, ein ungeklärter Aufenthaltsstatus, Sprachbarrieren und/oder eine fehlende Krankenversicherung können dazu führen, dass Sexarbeiter_innen von medizinischen Angeboten nicht erreicht werden. Solche Zugangsschwellen gelten insbesondere für den Bereich der Regelversorgung, in dem zumeist keine spezifischen Angebote für Personen mit diesen Merkmalen bestehen. Diese Situation stellt ein großes versorgungspolitisches Problem dar, da gerade für Sexarbeiter_innen, die keinen oder selten Zugang zur ärztlichen Versorgung haben, zu vermuten ist, dass die Prävalenz von STI höher ist als in anderen Gruppen.

Gesundheitsamt

HIV/STI-Beratungsstellen der Gesundheitsämter sind vor diesem Hintergrund eine wichtige Angebotsstruktur für die Beratung, Diagnostik und Therapie von STI bei Sexarbeiter_innen in Deutschland, insbesondere für solche ohne guten Zugang zu anderen Versorgungstypen wie fachärztliche Praxen. In §19 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ist ein Soll-Auftrag von Gesundheitsämtern festgehalten, im Fall schwerer Erreichbarkeit für wichtige Zielgruppen auch aufsuchende, anonyme Angebote im Bereich STI zu machen und im Einzelfall auch eine ambulante Behandlung durchzuführen. Behandlungskosten für nicht-versicherte Personen können nach §19 IfSG aus öffentlichen Mitteln gedeckt werden.

Erste bundesweite Daten

In den Jahren 2010/2011 führte das Robert Koch-Institut (RKI) eine erste bundesweite Studie zu STI bei (hier ausschließlich weiblichen) Sexarbeiterinnen in Zusammenarbeit mit 29 HIV/STI-Beratungsstellen von Gesundheitsämtern in 12 Bundesländern durch (KABP-Surv-STI1). Ziel der Studie war es zu erfassen, welche Sexarbeiterinnen durch die Beratungsstellen der Gesundheitsämter erreicht werden, wie häufig STI bei Sexarbeiterinnen vorkommen und welche die wichtigsten Risikofaktoren für STI sind. In der Studie wurden ausschließlich Daten von Sexarbeiterinnen berichtet, die aktiv die HIV/STI-Sprechstunde der Gesundheitsämter aufsuchten.

Die Gesundheitsämter führten im Studienzeitraum 9.284 Untersuchungen (Routine-, anlassbezogene und Wiederholungsuntersuchungen) bei Sexarbeiterinnen durch und gaben 22.914 Labortests auf HIV, Syphilis, Chlamydien, Gonorrhö und Trichomonas in Auftrag. Von 1.925 Sexarbeiterinnen wurden zusätzlich auf einem Fragebogen Daten zu Biographie, Sexarbeit, Schutzverhalten und Sexualanamnese (Anzahl der Sexualkontakte, Ort der Kundenkontakte, Verhütung, Kondomgebrauch, Vorerkrankungen mit STI) erhoben.

Von den etwa 23.000 Labortests waren insgesamt 3,1% positiv (HIV 0,2%, Syphilis 1,1%, Chlamydien 6,8%, Gonorrhö 3,2%, Trichomonas 3,0%). Die STI-Prävalenz lag damit insgesamt eher niedrig.

Migration

© Bilderbox
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Die in den Gesundheitsämtern detailliert befragten Sexarbeiterinnen waren durchschnittlich 30 Jahre alt. Drei Viertel der Sexarbeiterinnen waren Migrantinnen, davon kamen 61% aus zentraleuropäischen Ländern (Bulgarien, Rumänien, Polen und Ungarn). Ein gutes Drittel der Frauen sprach nur wenig oder gar kein Deutsch, und weniger als die Hälfte (44%) hatte zum Zeitpunkt der Studie eine Krankenversicherung in Deutschland.

Eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine STI hatten sehr junge Frauen (<20 Jahre) sowie Frauen mit fehlenden oder geringen Deutschkenntnissen oder ohne Krankenversicherung. Weitere Risikofaktoren waren eine Tätigkeit auf dem Straßenstrich, eine kürzliche Aufnahme der Sexarbeit und ein berichteter ungeschützter Geschlechtsverkehr mit Kunden.

Es bestanden erhebliche Unterschiede zwischen den teilnehmenden Gesundheitsämtern, unter anderem bezüglich der Untersuchungsangebote auf STI und der Testverfahren, aber auch im Hinblick auf die Charakteristika der Teilnehmerinnen und den Anteil der positiven STI-Tests. So variierte der Anteil der
positiv auf Chlamydien getesteten Frauen zwischen 5% und 17%. Eine wichtige Erklärung dafür könnte sein, dass die
Beratungsstellen die Frauen in unterschiedlichem Maße erreichten.

STI-Outreach-Studie: Warum?

Aus der KABP-Surv-STI-Studie ging hervor, dass es eine Untergruppe von weiblichen Sexarbeiterinnen mit schlechtem Zugang zu bestehenden Versorgungsangeboten gab, die ein erhöhtes Risiko für den Erwerb einer STI hatten. Daten zu STI-Prävalenzen und zugehörigen Risikofaktoren bei Sexarbeiter_innen, die etwa aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, eines geringen Bildungsstandes oder häufig fehlender Krankenversicherung nicht selbstständig den Weg zu bestehenden Versorgungsangeboten finden, sondern nur durch aufsuchende Arbeit (Outreach) zu erreichen sind, liegen für Deutschland so gut wie nicht vor. Gerade für diese Gruppe ist allerdings zu vermuten, dass aufgrund der genannten Lebensbedingungen STI-Prävalenzen höher liegen als für Sexarbeiter_innen, die selbständig den Weg zum gesundheitlichen Versorgungssystem gefunden haben.

Um einen besseren Einblick in diese Situation zu gewinnen, führte das Robert Koch-Institut 2012/2013 in Zusammenarbeit mit dem Konsiliarlabor für Syphilis (Labor Krone, Bad Salzuflen) und in enger Kooperation mit 20 beteiligten Gesundheitsämtern und freien Trägern in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen die STI-Outreach-Studie durch. Ziel der Studie war es, die Prävalenzen von Chlamydien, Gonorrhö und Trichomonaden sowie zugehörige Risikofaktoren für Sexarbeiter_innen zu bestimmen, die im Rahmen von Out-reach-Angebote erreicht werden und die als „schwer erreichbar“ für die Prävention, Diagnostik und Therapie von STI gelten. Ein weiteres Ziel war es festzustellen, ob diese Gruppe von Sexarbeiter_innen grundsätzlich durch geeignete aufsuchende Angebote erreichbar ist.

Aufsuchende Arbeit

Die Sexarbeiter_innen wurden im Rahmen eines aufwendigen Outreach-Ansatzes mit geschulten Mitarbeiter_innen für eine freiwillige Studienteilnahme gewonnen. Im Rahmen der aufsuchenden Arbeit wurden anonyme und kostenfreie Angebote zur Prävention, Diagnostik und Therapie von STI gemacht, ohne Zusammenarbeit mit Ordnungsbehörden. Voraussetzung für Einrichtungen zur Teilnahme an der Studie war die Sicherstellung stetiger Kultur- und Sprachmittlung. Hierdurch sollte gewährleistet werden, dass für die erwartete hohe Zahl von Migrant_innen mit schlecht ausgeprägten Deutschkenntnissen eine Studienteilnahme möglich wurde und die Studienergebnisse nicht durch sprachliche und kulturelle Verständigungsprobleme verzerrt würden.

Selbstentnahme der Proben

Eine weitere wichtige logistische Voraussetzung war es, dass die Sexarbeiter_innen sich die Proben selbst entnehmen konnten, um eine Probenentnahme direkt am Arbeitsplatz zu ermöglichen (Frauen: Vaginal-Abstrich, Männer/Transgenders: Urin). Die Proben wurden in eine Puffer-Lösung überführt, die auch eine mehrtägige Lagerung der Proben bei Raumtemperatur ohne Qualitätsverlust in der Analyse ermöglichte. Chlamydien und Gonorrhö wurden mit Hilfe des Aptima Combo 2-Assays® bestimmt, Trichomonaden aus derselben Probe mit dem Aptima Trichomonalis Assay® (beide kostenfrei zur Verfügung gestellt von Hologic/Gen-Probe).

Abb. 1 Herkunftsverteilung weiblicher Sexarbeiterinnen (n=1.449), STI-Outreach-Studie
Abb. 1 Herkunftsverteilung weiblicher Sexarbeiterinnen (n=1.449), STI-Outreach-Studie

Mit Hilfe eines von den Outreach-Mitarbeiter_innen ausgefüllten Fragebogens wurden einige wenige ergänzende Daten erhoben (Geschlecht, Geburtsland, Sprachkenntnisse, Krankenversicherung, Dauer Sexarbeit, letzte gynäkologischer/urologische Untersuchung, vorheriger Kontakt zu ÖGD, Typ und Größe des Arbeitsplatzes). Diagnostik und Therapie erfolgten für die Sexarbeiter_innen kostenfrei. Mit einem weiteren Fragebogen wurden einige Kennzahlen zu den Arbeitsorten der befragten Personen erhoben (Einrichtungstyp, Größe, Zusammensetzung Nationalitäten der dort arbeitenden Personen, Einrichtung bereits besucht?).

STI-Prävalenz

Insgesamt konnten 1.539 Sexarbeiter_innen in die STI-Outreach-Studie eingeschlossen werden, hiervon 94,2% Frauen. Aufgrund des geringen Anteils von Männern und Transgenders in der Studie und der damit einhergehenden statistischen Unsicherheit werden im folgenden Text Ergebnisse nur für weibliche Sexarbeiterinnen dargestellt.

87,6% der erreichten Sexarbeiterinnen waren außerhalb Deutschlands geboren, die größten Anteile machten Frauen aus Rumänien und Bulgarien aus (Abb. 1).

Sexarbeiterinnen mit deutschem und nicht-deutschem Geburtsland unterschieden sich in Teilen deutlich hinsichtlich einiger soziodemographischer und versorgungsstruktureller Merkmale (Tab. 1). Auffällig waren dabei besonders die hohen Anteile von Sexarbeiterinnen nicht-deutscher Herkunft, die nicht über eine in Deutschland gültige Krankenversicherung verfügten und die keine Deutschkenntnisse aufwiesen. Auch bei Sexarbeiterinnen mit Herkunft aus Deutschland gab es einen Anteil von über 10%, der nicht über eine gültige Krankenversicherung verfügte.


Merkmal
Deutsche FSW
Nicht-deutsche FSW
Alter (Median)
30 Jahre
28 Jahre
Dauer Sexarbeit (Median)
4 Jahre
3 Jahre
In Deutschland gültige Krankenversicherung
89,3%
21,2%
Jemals Kontakt zu Gesundheitsamt
69,5%
43,0%
Keine Deutschkenntnisse
---
41,4%

Tab. 1 Soziodemographische und versorgungsstrukturelle Merkmale weiblicher Sexarbeiterinnen (FSW), nach Geburtsland (n=1.449), STI-Outreach-Studie


Abb. 2 Prävalenz von Chlamydien, Gonorrhö und Trichomonaden sowie von Koinfektionen bei  weiblichen Sexarbeiterinnen (n=1.449), STI-Outreach-Studie Koinfektionen sind in den Anteilen der einzelnen Infektionen bereits enthalten.
Abb. 2 Prävalenz von Chlamydien, Gonorrhö und Trichomonaden sowie von Koinfektionen bei weiblichen Sexarbeiterinnen (n=1.449), STI-Outreach-Studie Koinfektionen sind in den Anteilen der einzelnen Infektionen bereits enthalten.

Die Prävalenz für mindestens eine der getesteten STI betrug bei den weiblichen Sexarbeiterinnen 21,1%. Trichomonaden machten dabei den höchsten Anteil aus, dicht gefolgt von Chlamydien (Abb. 2). Gonorrhö wurde vergleichsweise seltener diagnostiziert.

Risikofaktoren

Auch im Rahmen der STI-Outreach-Studie unterschieden sich die Prävalenzen der einzelnen STI zwischen den Gesundheitsämtern/freien Trägern. Eine erste, univariate Analyse von Risikofaktoren ergab ein erhöhtes Risiko für das Vorliegen mindestens einer der drei untersuchten STI für Sexarbeiterinnen

  • mit Geburtsland außerhalb Deutschlands
  • mit einem geringerem Alter
  • mit einer kürzeren Dauer in der Sexarbeit
  • mit geringeren Deutschkenntnissen
  • ohne eine in Deutschland gültige Krankenversicherung
  • ohne vorherigen Kontakt zu einem Gesundheitsamt
  • mit Arbeitsort Straßenstrich und bei Arbeit in größeren Einrichtungen.

Was sagen die Daten aus?

Die Prävalenzen für Chlamydien waren in der Studienpopulation etwa 1,5- bis 2-fach erhöht gegenüber der Allgemeinbevölkerung (Vergleichsgrundlage: Chlamydien-Laborsentinel am RKI2). Zur Gonorrhö liegen für Deutschland aufgrund der fehlenden Meldepflicht keine Vergleichsdaten vor. Gleiches gilt für Trichomonaden, die von der WHO allerdings als eine der häufigsten STI benannt wurde3 und für die auch in Deutschland eher noch höhere Prävalenzen zu vermuten sind als für Chlamydien. Auf Grundlage der Studiendaten ist keine Aussage dazu möglich, ob die diagnostizierten STI aus Herkunftsländern eingeführt werden oder ob es sich eher um ein in Deutschland stattfindendes Infektionsgeschehen handelt.

Im Vergleich zur Studie KABP-Surv-STI, in der weibliche Sexarbeiterinnen eingeschlossen wurden, die aktiv das Gesundheitsamt aufsuchten, lagen die STI-Prävalenzen in der STI-Outreach-Studie deutlich höher. Dies korrespondierte damit, dass die Wahrscheinlichkeit, mindestens eine der drei STI aufzuweisen, für Sexarbeiterinnen ohne vorherigen Kontakt zum Gesundheitsamt im Vergleich zu solchen mit vorherigem Kontakt in der STI-Outreach-Studie um 60% erhöht war. Die Prävalenzen waren zudem höher als in den meisten vergleichbaren internationalen Studien zu am Arbeitsplatz erreichten Sexarbeiter_innen.

Überschätzung?

Die gefundenen erhöhten Prävalenzen können aus unserer Sicht nicht auf die Population der Sexarbeiter_innen generell übertragen werden. Aufgrund des nur im Rahmen der Studie zur Verfügung stehenden kostenfreien Diagnostik-Angebots war es häufig Rekrutierungsstrategie der Gesundheitsämter, Personen mit vermutlich hohem Versorgungsbedarf, das heißt mit vermuteter Infektion, für die Studie zu gewinnen. Hieraus resultiert wahrscheinlich eine Überschätzung der Prävalenzen. Bei Sicherstellung eines ausreichenden Umfangs anonymer, aufsuchender Arbeit ist davon auszugehen, dass die STI-Prävalenz durch die mit der Testung einhergehende akzeptierende Präventionsarbeit sinkt.

Die Risikofaktoren für das Vorliegen einer STI waren in den Studien KABP-Surv-STI und STI-Outreach ähnlich. Wichtig waren insbesondere ein jüngeres Alter der Sexarbeiterinnen, schlechte Deutschkenntnisse, eine fehlende Krankenversicherung, eine kürzere Dauer in der Sexarbeit, das Arbeiten auf dem Straßenstrich sowie kein vorheriger Kontakt zum öffentlichen Gesundheitsdienst.

Prävention ist möglich

Diese Ergebnisse machen deutlich, dass es zumindest für bestimmte Subpopulation von Sexarbeiter_innen einen vermehrten Versorgungsbedarf gibt. Die hohe Rekrutierungsrate der STI-Outreach-Studie wie auch weitere Beispiele aus verschiedenen Kommunen zeigen, dass auch gemeinhin als „schwer erreichbar“ geltende Sexarbeiter_innen durch freiwillige, akzeptierende, anonyme, kostenfreie und zum Teil aufsuchende Angebote zur Prävention, Diagnostik und Therapie von STI gut zu erreichen sind. Solche Angebote entsprechen dem Ansatz der in Deutschland langjährig bewährten HIV/STI-Präventionsstrategie und dem Konzept der strukturellen Prävention.

Auf Grundlage des in §19 IfSG formulierten Versorgungsauftrags an Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes kommt diesen damit eine wesentliche Bedeutung zu. Für die Implementierung effektiver Maßnahmen ist die Berücksichtigung der folgenden Aspekte wichtig:

  • die deutschlandweite Verfügbarkeit niedrigschwelliger, bedarfsgerechter und akzeptierender Angebote mit Kultur- und Sprachmittlung, regelmäßige aufsuchende Arbeit, insbesondere in Regionen mit ausgeprägten Szenen von Sexarbeit
  • der Zugang zu Krankenversicherung bzw. kostenfreie und anonyme Angebote für Diagnostik und Therapie von Personen ohne Krankenversicherung und/oder ungeklärtem Aufenthaltsstatus
  • die Einhaltung zentraler medizinischer Standards, wie Risiko-Anamnese, Anlass-bezogene Testung und umfängliche medizinische Beratung im Sinne sexueller Gesundheit als Ganzes
  • dadurch die Förderung dauerhaften selbstverantwortlichen und gesundheitsbewussten Handelns im Sinn umfänglicher struktureller Prävention.

Budgets zu knapp

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Häufig werden diese Aufgaben, insbesondere aufsuchende Arbeit, aufgrund nicht ausreichender Budgets in den Kommunen von den Gesundheitsämtern bisher nicht wahrgenommen. Eine aktuelle Studie des RKI zeigte, dass 2012 nur 18% der Gesundheitsämter spezifische Angebote für Sexarbeiter_innen unterhielten.4 Dies betraf auch Ballungsräume mit vermutlich umfangreichen Szenen von Sexarbeit. Um genauere Angaben zum erforderlichen Ausmaß solcher Angebote zu machen, werden weitere Forschungsdaten zum Umfang von Sex-
arbeit in den verschiedenen Regionen in Deutschland benötigt.

Problem Versicherung

Zur Nutzung anderer medizinischer Versorgungseinrichtungen durch Sexarbeiter_innen (Krankenhäuser, Notfallambulanzen, niedergelassene Ärzte) liegen für Deutschland keine Daten vor. Es ist jedoch davon auszugehen, dass aufgrund des Erstattungssystems zumindest Sexarbeiter_innen ohne Krankenversicherung und/oder fehlendem Aufenthaltsstatus dort nicht versorgt werden und auch gegenüber der regelmäßigen Diagnostik und Behandlung von krankenversicherten Sexarbeiter_innen oftmals Vorbehalte in diesem Versorgungsarm bestehen.

Zentraler Punkt: Akzeptanz

Zur STI-Outreach-Studie wurde zusätzlich eine qualitative Begleitstudie durchgeführt, in der die Implementierungsbedingungen der Studie sowie die sich aus der Studie ergebenden Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung notwendiger Angebote systematisch erfasst wurden.5 Es wurden 6 halbstrukturierte Experten-Interviews mit 8 Mitarbeiter_ innen von Gesundheitsämtern aus Nordrhein-Westfalen und Hamburg durchgeführt. Aus der Begleitstudie wurde die hohe Bedeutung der Freiwilligkeit von gesundheitlichen Versorgungsangeboten deutlich, insbesondere für schwer erreichbare Personen. Gerade diese konnten durch die vor Einführung des IfSG im Jahr 2001 durchgeführten Pflichtuntersuchungen aufgrund befürchteter Stigmatisierung, Angst vor Abschiebung oder anderweitiger Sanktionen etc. nicht erreicht werden und waren damit der gesundheitlichen Versorgung nicht zugänglich. Die beschriebene Notwendigkeit, weitergehende Aspekte sexueller Gesundheit jenseits der bloßen Testung auf STI abzudecken, ist durch Pflichtuntersuchungen demnach ebenfalls nicht zu gewährleisten. Effektive Angebote zeichnen sich demnach durch „die uneingeschränkte Akzeptanz der Klient_innen und ihrer Tätigkeit, medizinische und beraterische Kompetenz und ein umfangreiches Fachwissen zu STI und den vielfältigen Formen der Sexarbeit“ aus. Angebote zur Entwicklung der sexuellen Gesundheit insgesamt, die über die alleinige Erregertestung hinausgehen, wurden ebenfalls als zentral angesehen.

Aus verschiedenen epidemiologischen, juristischen und präventionspolitischen Erwägungen ist davon auszugehen, dass die aktuell stark und kontrovers diskutierte Wiedereinführung von Pflichtuntersuchungen für Sexarbeiter_innen keine gesundheitspolitischen Effekte wie eine verbesserte Prävention, eine vermehrte Diagnostik und eine effektivere Behandlung von STI zur Folge haben, sondern diese vielmehr verhindern.

Die STI-Outreach-Studie wurde federführend vom Robert Koch-Institut und dem Labor Krone (Konsiliarlabor für Syphilis, Bad Salzuflen) unter der Studienleitung von Frau Dr. Viviane Bremer und Herrn Dr. Carsten Tiemann durchgeführt. Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen der an den Studien teilnehmenden Gesundheitsämter und freien Träger sowie den Labormitarbeitern, die die genannten Studien mit durchgeführt haben. Wir danken auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Robert Koch-Instituts, hier insbesondere Stine Nielsen (KABP-Surv-STI) und Matthias Altmann (Befragung der Gesundheitsämter zu Angebotsstrukturen).

1 Robert Koch-Institut. Projektbericht zur Studie KABP-Surv-STI. Berlin, 2012. Abrufbar unter: http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/S/STI/Studien/KABPsurvSTI/KABPsurvSTI_Bericht.pdf?__blob=publicationFile.

2 Robert Koch-Institut. Chlamydia trachomatis–Laborsentinel. Epidemiologisches Bulletin, 2013, 46: 469-475.

3 Schmid G. Trichomoniasis treatment in women: RHL commentary (last revised: 28 July 2003). The WHO Reproductive Health Library; Geneva: World Health Organization. Verfügbar unter: http://apps.who.int/rhl/rti_sti/gscom/en/index.html.

4 Altmann M. et al. Angebote der Beratungsstellen zu sexuell übertragbaren Infektionen und HIV und diesbezügliche Datenerhebung in deutschen Gesundheitsämtern im Jahr 2012. Bundesgesundheitsblatt, 2013, 56:922–929.

5 Sarma, N. Aufsuchende Arbeit in der Sexarbeit. Ergebnisse einer Expert/-inn/enbefragung zur STI-Outreach-Studie und zur gesundheitlichen Versorgung von Sexarbeiter/-inne/-n. Unveröffentlichte Masterarbeit am Studiengang Public Health der Charité – Universitätsmedizin Berlin, 2013.

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