Diana Carolina Mignano, Bayreuth
Die Suche nach einem Ehemann im Kontext der Tourismusprostitution in Antananarivo (Madagaskar)

Das westliche Verständnis von Prostitution ist nicht ohne weiteres auf andere Kulturkreise übertragbar. Bei sexuellen Beziehungen mit Gegenleistung können dort auch nicht-materielle Aspekte eine wichtige Rolle spielen.

Die These, die ich in diesem Beitrag vertreten möchte, ist, dass sich die Forschung über Prostitution in Afrika ausschließlich auf die Untersuchung der sozioökonomischen Ursachen dieses Phänomen konzentriert, nämlich auf die wirtschaftlichen Motivationen der Frauen, um ihre Körper zu verkaufen.i Beispielweise dienen immer wieder Knappheit, Ungleichheit, Unterentwicklung, Armut und die Konsumbedürfnisse der Frauen als zentrale Gründe für Prostitution in Afrika. Dabei werden andere Perspektiven und Zugangsweisen ausgeschlossen. Vor allem werden die subjektiven Verständnisse, Erfahrungen und Empfindungen der beteiligten Akteure dieses Phänomens nicht beachtet. Das geschieht, weil das westlich-moderne Verständnis von Prostitution für die Interpretation der Prostitution in nichtwestlichen Kontexten bzw. in Afrika übertragen wird.

Legitim: Sex aus Liebe

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Das westlich-moderne Verständnis ist hauptsächlich von der dialektischen Konstruktion einer „legitimen“ und einer „illegitimen“ Sexualität geprägt. Hierbei stellen nur die Ehe oder später auch die partnerschaftliche Beziehung den Ort dar, an dem Sexualität gestattet ist, weil sie aufgrund von Liebe entsteht. Die sexuelle Praxis der Prostitution wird im Gegensatz stigmatisiert und als gesellschaftliches Problem angesehen, weil sie als Mittel benutzt wird, um Geld zu verdienen. Sex aus Liebe wird legitimiert, während Sex gegen Geld untersagt ist.

Dieses Verständnis im Westen prägte auch die Forschung über Prostitution in nicht westlichen Kontexten. Zum Beispiel wird die Zunahme der „Tourismusprostitution“ in Afrika ausschließlich als Ergebnis der sozialen und ökonomischen Ungleichheiten zwischen Entwicklungs- und Industrieländern erklärt. Daraus folgt die Behauptung, dass Prostituierte Opfer dieser Ungleichheiten sind. Denn aufgrund der Armut sind sie gezwungen, ihre Körper an wohlhabende Touristen aus den Industrieländern zu verkaufen. Das heißt, dass die sexuelle Praxis der Tourismusprostitution auch stigmatisiert wird und ausschließlich als ein Mittel um Geld zu verdienen verstanden wird. Andere Bedeutungen, die Frauen und Männer in diesen Kontext erleben, entwickeln und erwarten, werden nicht berücksichtigt. Vor allem wird nicht nach der Rolle, die Emotionen, Gefühle und Liebe in der Tourismusprostitution spielen, gefragt, denn im westlich-modernen Verständnis gehören diese Aspekte ausschließlich zu solchen Beziehungen, in denen Sexualität aufgrund von Liebe entsteht. Positive Gefühle können allerdings für die Individuen und ihre Beziehungen, die sich im Kontext der Prostitution in Afrika entwickeln, eine wesentliche Bedeutung haben. Meine Überlegungen möchte ich weiter an einem Fallbeispiel aus meiner Feldforschung über Prostitution in einem Touristenclub in Antananarivo (Madagaskar) entwickeln.

Marcelia und ihre Suche nach einem Ehemann

Diesen Freitag war ich um 15:30 im Kabarett.iii Marcelia war nicht wie gewöhnlich da. Als Irma, eine andere Besucherin des Kabaretts, nach ihr fragte, erklärte sie mir voller Aufregung, dass sie mit einem Vazahaiv gegangen war. „Er ist freundlich und hoffentlich nimmt er Marcelia“, sagten sie und die anderen Frauen, die am Tisch saßen. Der Vazaha hatte Marcelia, Irma und die anderen Frauen zum Mittagessen eingeladen und alles bezahlt. Deshalb fanden ihn die Frauen besonders nett. Marcelia sah sehr glücklich aus, bekräftigte Irma. Sie sagte voller Hoffnung, dass sie sich für Marcelia wünsche, endlich einen Ehemann im Kabarett zu finden. Denn es sind schon drei Jahre vergangen, als sie aus Toliara, einer Provinz im Südwesten Madagaskars, ins Kabarett kam mit der Erwartung hier einen Ehemann zu finden. Nach einer Weile kehrte Marcelia ins Kabarett zurück. Sie war sehr wütend und beschwerte sich über den Vazaha. Der Grund ihrer Laune war nicht nur, dass sie von ihm verlassen wurde, sondern auch die 4.000 Ariary, nicht mehr als zwei Euro, und ein paar Ohrringe, die er ihr nur gab. Die Ohrringe warf sie auf unseren Tisch und setzte sich. Der Vazaha habe ihr nur diesen Betrag an Geld gegeben, weil er bereits das Mittagessen gezahlt hätte, erzählte Marcelia. (26.09.2008; Antananarivo-Madagaskar).

Selbstwahrnehmung

Dieses Geschehen im Kabarett ist in vielerlei Hinsicht charakteristisch für das Verständnis der Selbstwahrnehmung der madagassischen Frauen angesichts ihrer Aufgabe im Kabarett. Zum einen stellten sich Marcelia wie auch die anderen Mädchen, die ich dort kennenlernte, nicht als Prostituierte oder als sex worker im Sinne des Verkaufens ihres Körpers und dem Verdienst von Geld oder anderen materiellen Gewinnen vor. Zwar ist das Kabarett als ein Ort der Tourismusprostitution bekannt und die madagassischen Frauen, die dort verweilen, werden als Prostituierte bezeichnet. Sie erklären ihren täglichen Besuchen im Kabarett und das Ausgehen mit Ausländern jedoch mit der Suche nach einem Ehemann. So zeigt beispielsweise Irmas Wunsch, dass das Mitgehen Marcelias mit dem Vazaha tatsächlich als Möglichkeit angesehen wurde, einen Ehemann zu finden. Durch die Aufregung, die Irmas Worte enthielten, nahm ich wahr, dass die Erwartung seitens der Frauen, einen Ehemann in diesem Kontext zu finden, real war. Sobald die Frauen einen Beweis eines Vazahas erhielten, dass er sie mit zu sich nehmen wollte, beispielsweise eine Einladung zum Mittagsessen, wurde er als ein potenzieller Ehemann angesehen und auch so behandelt. So kommt es zum Beispiel, dass die Männer, die mit den Frauen ausgehen, als „Boyfriend“ betrachtet wurden. In diesem Kontext verstehen Marcelia und die anderen Frauen diese Art von Beziehung also nicht als Arbeitsbeziehung zwischen Prostituierter und ihrem Klient, sondern als Suche nach einer Liebesbeziehung.

Geld als Liebesbeweis

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Zum anderen ist erkennbar, dass die Aufregung und Hoffnung der Frauen sich noch weiter intensiviert hatte, weil Marcelia mit dem Vazaha eine sexuelle Beziehung einging. Denn es bestätigte ihr und den Frauen sein Interesse an ihr. Sexuelle Beziehungen werden in diesem Kontext nicht als „Verkauf des Körpers“ angesehen, sondern als eine Möglichkeit, um möglicherweise eine romantische Beziehung etablieren zu können und eventuell eine Partnerschaftsbeziehung zu gründen, die später in die Ehe führen könnte.VI Folglich sprechen die Frauen auch nicht über einen „Austausch“ von Sex gegen Geld oder Güter. Das Geld, die Geschenke, die Einladungen etc., die die Frauen von ihren „Boyfriends“ bekommen, werden als Liebesbeweis betrachtet. Als Marcelia nur ein Paar Ohrringe und etwas Geld von dem Vazaha bekam, hat es ihr deutlich gemacht, dass er doch kein Interesse mehr an ihr hatte. Grund genug für sie, enttäuscht und wütend zu werden.

Zuletzt deutet Marcelias Geschichte darauf hin, dass die Entscheidung der Frauen, ins Kabarett zu gehen, um dort einen ausländischen Ehemann zu suchen, der Weg ist, den die Frauen wählen, um ihre Träume zu verfolgen, das heißt zu heiraten und damit eine Familie gründen zu können. Das bedeutet, dass sich die eigentliche Motivation der Frauen für den Besuch des Kabaretts auf die Suche nach Liebe, Familie und einem emotionalen Zuhause gründet und nicht nur mit einem reinen wirtschaftlichen Interesse zu erklären ist.

Vielschichtiges Phänomen

Als ich damals aus Madagaskar abreiste, blieb Marcelia weiter auf der Suche nach einem Ehemann. Drei Jahre später, als ich ins Kabarett und nach Madagaskar zurückkam, war sie nicht mehr dort. Eine ihrer Freundinnen erzählte mir, dass sie einen Vazaha aus dem Kabarett geheiratet hat. Der Traum von Marcelia ist in Erfüllung gegangen. Ihre Geschichte deutet die Komplexität der Beziehungen, die im Kontext der Prostitution entstehen, und die Vielschichtigkeit der Prostitution an. Denn nach Marcelias Erfahrung lässt sich Prostitution in diesem Kontext nicht mit dem Mangel an Geld und Mitteln erklären, es sind vielmehr ihre Wünsche, Erwartungen, Träume und das Interesse an bzw. die Suche nach einem Ehemann, die diese begründen.

Neue Zugangsweise

Der Verdienst von Geld oder Gütern kann somit die sexuelle Praxis der Tourismusprostitution nicht erklären. Die Tourismusprostitution in diesem Kontext ist vielmehr ein grundlegender Schritt in der Entwicklung einer Paarbeziehung. In der Auseinandersetzung mit diesem soziokulturellen Phänomen ist es deshalb erforderlich, die Situation aus der Sicht der beteiligten Akteure zu betrachten. Nur dadurch kann man die einseitige ökonomische Interpretation der Prostitution auflösen und die Verbreitung fremder kultureller Verständnisse, beispielsweise das von einer „legitimen“ und einer „illegitimen“ Sexualität zu verhindern. Denn es gibt nicht nur ein einziges Verständnis von Prostitution, sondern verschiedene Ausgestaltungen je nach Akteuren und Kulturkreis. Dies eröffnet die Möglichkeit, neue Zugangsweisen in die Auseinandersetzung mit Prostitution einzubeziehen. Zum Beispiel ist für das Verständnis der Ehemann-Suche im Kabarett die Frage nach der Entstehung und der Entwicklung von Paarbeziehungen in diesem Kontext von Bedeutung.

i Vgl. K. Little, Francis Ogunmodede, The oldest profession is not so old in Africa, in: New African, (September 1981) 168, S. 41, Regine Bold, Selling One’s Kiosk, Bemerkungen zur Prostitution bei den Kikuyo, in:Uta Holter (Hrsg.), Bezahlt, geliebt, verstoßen. G. Kouassi. M. Maurer, Tomas Philipson/ Richard Posner, On the Microeconomics of AIDS in Africa, in: Population and Development Review 21 (1995) 4, S. 835-848. John Caldwell/Pat Caldwell/Pat Quiggin, The social context of AIDS in sub-saharan Africa, in: Population and. Development Review, 15(1989) 2, S.185-234. Tomas. Philipson/Richard A. Posner, On the Microeconomics of AIDS in Africa, in: Population and Development Review, 21 (1995) 4, 835-848. C.W. Hunt. M. Maurer. E.S. Herold/C. van Kerkwijk, AIDS and Sex Tourism, in: AIDS & Society, 4(Oct.-Nov 1992) 1, S.1-8. Dieter Kleiber/Martin Wilke, Sextourismus, ein Motor für die Ausbreitung von HIV und AIDS? in: Vehement Standpunkte, Nr.1(1995), S.48-49. Nanci Luke/Kathleen.M. Kurz, Cross-generational and Transactional Sexual Relations in Sub-Saharan Africa: Prevalence of Behavior and Implications for negotiating safer Sexual Practices, 2002. Mark Hunter, The Materiality of Every Sex: thinking beyond “prostitution”, in: African Studies, 61(2002) 1, S.99-120. Jennifer Cole, Fresh contact in Tamatave, Madagascar, Sex, money and intergenerational transformation, in: American Ethnologist, 31(2004) 4, S.573-588. Janet Maia Wojcicki. Commercial Sex Work or Ukuphanda? Sex-for-Money Exchange in Soweto and Hammanskraal Area, South Africa”, in: Culture Medicine and Psychiatry 26 (2002) 3, S.339-370.

ii Vgl. C.W. Hunt. Mary Bassett/Marvellous Mhloyi, Women and AIDS in Zimbabwe: the making of an epidemic, in: International Journal of Health Services, 21(1991) 1, S.143-156. Brooke Schoepf, Women at Risk: Case Studies from Zaire, in: Gilbert Herdt/Shirley Lindenbaum (Hrsg.), The Time of AIDS: Social Analysis, theory and Method, Sage, (1992), S. 259-286. Lea Ackermann, Prostitution und Frauenhandel am Beispiel Kenia, in: Regula Renschler (Hrsg.), Ware Liebe. Sextourismus, Prostitution, Frauenhandeln, Wuppertal 1987.

iii Das Kabarett ist eine Restaurant-Bar, die an der bekannten Avenue de l´Independence, der Hauptstraße Antananarivos liegt.

iv Vazaha ist die Benennung für Ausländer auf Madagassisch. Die Frauen im Kabarett bezeichnen mit diesem Begriff die weißen Ausländer.

v Kirsten Stoebenau erklärt, dass der Begriff sex worker aus der pro-rights Bewegung Ende der 60er Jahre und Anfang der 70er Jahre stammt. „This movement offered an alternative to derogatory associations with prostitute and also functioned to emphasize that sexual labor is a work and should be regarded as such“ (Kirsten Stoebenau spring 2009: 107).

vi Diese Art und Weise von Beziehungen wurden auch in anderen Kontexten, beispielweise in der Dominikanischen Republik, auf Kuba und in Brasilien untersucht. Siehe dazu: Brennan Denise. What‘s love got to do with it? Transnational desires and sex tourism in the Dominican Republic. Durham, NC: Duke Univ. Press (2005), Ingrid Kummels, Love in the Time of Diaspora. Global Markets and Local Meanings in Prostitution, Marriage and Womanhood in Cuba, Iberoamericana, V.20, 7-26 (2005), Adriana Piscitelli, On “gringos” and “natives”: gender and sexuality in the context of international sex tourism in Fortaleza Brasil. http://www.vibrant.org.br/downloads/a1v1_ogn.pdf (2001).

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