Harriet Langanke,
Köln
Sexuelle
Gesundheit bei Prostitutionskunden
Während Sexarbeiterinnen bei der Prävention von STI mittlerweile in viele Projekte eingebunden sind und zunehmend an Forschungsstudien teilnehmen, gelten Freier vielerorts weiterhin als unerreichbar. Gründeten die Sexarbeiterinnen im Herbst 2013 einen eigenen Verband, den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, so fehlt es ihren Kunden an dieser Form der Sicht- und Ansprechbarkeit. Dafür gibt es gute Gründe. Ein zentrales Motiv für Freier, sich nicht als solche zu erkennen zu geben, ist das moralische Stigma. Sie fürchten die gesellschaftliche Ächtung – und das nicht erst, seit die Zeitschrift „Emma“ ihren Appell gegen Prostitution veröffentlicht hat. Welch große Hemmnisse Stigma, Ausgrenzung oder gar Kriminalisierung in der Gesundheitsförderung sind, hat die HIV-Prävention klar gezeigt. Umso erstaunlicher, dass in Politik und Öffentlichkeit laut über die Kriminalisierung von Prostitution und bevorzugt von ihren Kunden nachgedacht wird.
Freier-Foren
In einem gesellschaftlichen Klima, das die Kunden von Sexarbeit ächtet, bietet sich ihnen das Internet als geschützter Rahmen an. Hier haben Prostitutionskunden für anonymen Austausch unter ihresgleichen so genannte Freier-Foren entwickelt. Dabei handelt es sich um Internetplattformen, auf denen sich Freier über Sexarbeit und Sexarbeiterinnen informieren. Hier können sie Berichte lesen, von eigenen Erlebnissen berichten, Kommentare schreiben und nach sexuellen Dienstleistungen recherchieren. Wie es auch in anderen Internet-Foren üblich ist, tauschen sie sich in der virtuellen Welt über das gemeinsame Interesse aus.
Prävention für Freier
Schon seit 2003 arbeiten einige der Freier-Foren beim Thema sexuelle Gesundheit mit einem Internet-Projekt zusammen, das speziell für die Zielgruppe der Prostitutionskunden – und mit ihnen gemeinsam – entwickelt wurde. Auf Initiative der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung haben Fachleute aus Medizin und Beratung sowie Freier das Internet-Portal www.sexsicher.de erarbeitet. Es stellt bis heute valide Informationen rund um STI bereit; in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Spanisch, Türkisch) und speziell aufbereitet für Freier und ihre spezifischen Fragen. Aktive Verlinkungen mit den Freier-Foren zeigen: die Nutzer der Foren nutzen die auf www.sexsicher.de angebotenen Informationen rund um STI.
Das Portal www.sexsicher.de informiert Freier über STI
© Bilder GSSG
Zur
Zahl der Freier in Deutschland gibt es keine wissenschaftlich
gesicherten Daten. Schätzungen schwanken enorm und auch die Daten
aus den Freier-Foren im Internet lassen nur bedingt Rückschlüsse
zu. Schließlich ist nicht jeder Nutzer eines Freier-Forums
automatisch auch im wahren Leben ein Freier. Aber auch ohne ihren
prozentualen Anteil
beziffern
zu können, lässt sich doch anhand der Internet-Foren gesichert
sagen: Kunden von Sexarbeiterinnen haben ein regelmäßiges Interesse
an sexueller Gesundheit. Die meisten Freier-Foren bieten dafür sogar
spezielle Bereiche, beispielsweise eine „Gesundheitsecke“, in
denen über Übertragungswege und Symptome sexuell übertragbarer
Infektionen diskutiert wird. Ebenso häufig kommen Umfragen von Usern
zu sexueller Gesundheit („Schon mal einen Tripper gehabt?“) vor.
Sex ohne Kondom?
Eine aktuell laufende wissenschaftliche Auswertung der Foren zeigt zudem eine immer wieder kehrende Diskussion über die Risiken des kondomlosen Sexes. Was in der schwulen Community als „bare backing“ bezeichnet wird, heißt bei den Freiern „AO“. Die Abkürzung steht für „alles ohne“ und bezeichnet manuelle, orale, vaginale und anale sexuelle Dienstleistungen ohne Kondom. Die Diskussion der Freier über die damit verbundenen Risiken für eine Ansteckung mit den unterschiedlichen STI lässt sich seit Beginn der Foren in den späten 1990-er Jahren bis heute verfolgen. Sie hat sogar zur Errichtung von reinen AO-Freier-Foren geführt, in denen die Nutzer dezidiert unbehelligt von solchen Risiko-Abwägungen bleiben wollen.
Die Angst der Freier vor einer STI manifestiert sich auch außerhalb des Internets. Sie begegnet nämlich auch den Fachkräften in den Beratungsstellen. Dort wird, nicht selten per Telefon, angefragt: „Mir ist da neulich was passiert... und jetzt habe ich da was.“
Forschung zur Nutzung von Freier-Foren
Gefragt: Potenzmittel
Neben der Diskussion zu den STI-Risiken beherrscht ein zweiter Themenkomplex der sexuellen Gesundheit die Foren-Diskussionen: Gezielte Fragen gibt es immer wieder zu Potenz steigernden Mitteln. Etwa, wo man diese beziehen kann, wie sie wirken und welche Neben- und Wechselwirkungen bestehen. Für die ärztliche Beratungspraxis kann die Frage nach einem Potenzmittel auch für die STI-Prävention bedeutend sein. Schließlich ist der Zusammenhang zwischen einer stabilen Erektion und dem Kondomgebrauch ein wichtiger Aspekt.
Mangels verlässlicher Daten wird von ärztlicher Seite, in der Beratungspraxis und von Präventionsfachleuten immer wieder diskutiert, ob Freier ein erhöhtes Risiko für STI haben – oder ob für sie dasselbe wie für Sexarbeiterinnen gilt. Denn in jedem Fall kommt es wesentlich auf das individuelle Verhalten an. Hier kann sich auch die ärztliche Beratung in den Dienst der Prävention stellen. Denn wer die sexuellen Vorlieben und Gewohnheiten seiner Patienten kennt, kann gezielt zu Impfungen, beispielsweise gegen Hepatitis A und B, oder zu Kontrolluntersuchungen raten.
Wie groß das Interesse von Freiern an der gesundheitsbezogenen Forschung über ihre Gruppe, an der eigenen sexuellen Gesundheit und an der STI-Prävention im Allgemeinen ist, zeigte auch ein Forschungsworkshop der Deutschen STI-Gesellschaft im Sommer 2014. Hier hatten Freier gemeinsam mit Fachleuten aus Medizin und Beratung wesentliche Positionen und Fragestellungen entwickelt. Ganz zentral dabei: die Pflichtuntersuchung für Sexarbeiterinnen. Nicht wenige Freier meinen noch immer, dass sie bei einer regelmäßig untersuchten Sexarbeiterin auf den Schutz durch Kondome verzichten können. Um solchem Irrglauben entgegen zu wirken und zur Übernahme von Eigenverantwortung zu motivieren, kommt der Aufklärung über die medizinischen Zusammenhänge nicht nur bei viralen Infektionen eine wichtige Rolle zu.