Wohn- und Arbeitsprojekte für männliche Prostituierte
Fünf Aidshilfen in Nordrhein-Westfalen (NRW) planen Wohn- und Arbeitsprojekte für männliche Prostituierte. Die Aidshilfen in Dortmund, Düsseldorf, Bielefeld, Essen und Köln wollen mit ihrer Konzeptarbeit ganz bewusst den politischen Diskurs zur Sexarbeit in Deutschland beeinflussen, und dies gemeinsam mit dem Landesverband, der Aidshilfe NRW, die die Antragstellung von Beginn an unterstützt hat.
Das Thema Sexarbeit braucht sich über mangelnde Tagesaktualität nicht zu beklagen. Im Zusammenhang mit einer Diskussion über die Reform des Prostitutionsgesetzes (ProstG), das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, streiten Politik und Interessenvertreter/innen über die Zielrichtung einer Novellierung. CDU/CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass eine „umfassende Überarbeitung“ des Prostitutionsgesetzes erfolgen soll. Die politische Diskussion zielt dabei auf ein Mehr an Genehmigungsverfahren für die Prostitutionsstätten, aber auch der Frauen und Männer, die der Sexarbeit nachgehen. Für die Sexarbeiter/innen geht es dabei letztlich um die Frage einer Registrierung – wie weitgehend hier auch immer Auflagen beschlossen werden.
Michael Schuhmacher Geschäftsführer Aidshilfe Köln
Nicht wenige Akteure der aktuellen Novellierungsdiskussion, nutzen diese, um Positionen und Haltungen vorzutragen, die eigentlich in der Novellierungsdiskussion des Prostitutionsgesetzes nichts verloren haben. In einer Bandbreite vom Verbot der Prostitution bis zur vollständigen Anerkennung als Beruf werden Argumente ausgetauscht, moralische Bewertungen schwingen in vielen Diskussionen mit.
Was haben Aidshilfen mit dem Thema Sexarbeit zu tun?
Seit dem Auftreten von HIV und Aids und mit der genaueren Kenntnis über die Übertragungswege standen vor allem weibliche Prostituierte im Verdacht, sogenannte Hauptrisikogruppe einer HIV-Infektion (und damit der möglichen Weitergabe des Virus) zu sein. Bestätigt hat sich das freilich nie. Männliche Prostituierte kamen in der Diskussion nur selten vor, so verwundert es nicht, dass bis heute Forschung zum Thema der männlichen Sexarbeit fast völlig fehlt.
Konkrete Präventions- und Beratungsangebote für männliche Prostituierte gab es schon früh im Umfeld von Aidshilfen. So entstand in den 1980er Jahren das BASIS-Projekt in Hamburg, einige Zeit später ein Angebot der Aidshilfe Frankfurt. In Köln etablierte sich als selbständiges Projekt Looks e.V., in Essen einige Jahre später in Trägerschaft der dortigen Aidshilfe das Angebot des Nachtfalken.
Mehr als nur Prävention im Blick
Die deutschen Aidshilfen haben sich von Beginn an mit dem Thema Sexarbeit beschäftigt, freilich niemals ausschließlich aus der Sicht der HIV-Prävention oder Gesundheitsförderung, sondern stets auch mit Blick auf die Lebens- und Arbeitssituation weiblicher und männlicher Prostituierter. Dieser Blick auf das Ganze wird hier, wie in anderen Bereichen der Präventionsarbeit der deutschen Aidshilfen als strukturelle Prävention bezeichnet, die eben nicht nur das Individuum, sondern auch seine Lebensverhältnisse im Blick hat.
Nur wer sein Leben selbstbestimmt gestalten kann, nur wer Zugang zu Informationen hat, nur wer ohne Zwang Entscheidungen treffen kann, der oder die hat auch die Möglichkeit für die eigene Gesundheit und Unversehrtheit selbst-bewusst einzutreten.
Daher gehören zu den Inhalten der strukturellen Prävention beispielsweise auch Forderungen nach völliger rechtlicher Gleichstellung von Homosexuellen, die Akzeptanz der unterschiedlichen Lebensweisen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, ein Diskriminierungsverbot, aber auch die Entkriminalisierung des Drogengebrauchs. Folglich ist somit die Entscheidung, den Lebensunterhalt mit Sexarbeit zu verdienen zu respektieren und akzeptieren, so diese Entscheidung aus freien Stücken erfolgt ist. Das bedeutet auch, dass Aidshilfen weder die Ausnutzung von Notlagen, noch Gewalt oder Freiheitsberaubung akzeptieren, weder in der Sex-Arbeit, noch in anderen Bereichen des Lebens.
Nach wie vor sind schwule Männer die Gruppe, die von der HIV-Infektion am meisten bedroht und betroffen ist. Zum schwulen Leben gehört auch die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen, wie es in der heterosexuellen Bevölkerung ebenfalls zur Lebensrealität gehört. Es liegt also nahe, dass sich Aidshilfen auch dem Thema der männlichen Sexarbeit zuwenden und hier im Sinne struktureller Prävention nach Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen suchen und einen Beitrag leisten.
Konzepterstellung läuft
Einen
solchen Beitrag stellt der Förderantrag der Aidshilfen in Bielefeld,
Dortmund, Düsseldorf, Essen und Köln zum Thema Wohn- und
Arbeitsprojekte für männliche Prostituierte dar. Die Aids-hilfe NRW
hat aus Fördermitteln der
sogenannten
zielgruppenspezifischen Prävention des Landes Nordrhein-Westfalen
einen Betrag von 4.000 Euro in 2014 bewilligt, um den Antragstellern
die Erarbeitung eines Konzeptes für den Betrieb und die
Ausgestaltung von Wohn- und Arbeitsprojekten für Sexarbeiter zu
ermöglichen. Für 2015 sind weitere 2.000 Euro beantragt, im
Ergebnis soll ein Konzept vorliegen, dass ein Manual für die
Beantragung, Errichtung und das Genehmigungsverfahren für ein
solches Angebot darstellt.
Peter Struck, Vorstand der Aidshilfe NRW, erklärt: „Die Aidshilfe NRW fördert seit ihrer Gründung eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von weiblichen und männlichen Sexarbeiter/innen und einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung, denn beides sind wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Gesundheitsförderung. Wir unterstützen das Projekt der fünf Mitgliedsorganisationen. Wir benötigen dringend zuverlässige Informationen über die Bedarfe von männlichen Sexarbeitern, um Hilfsangebote vor Ort zu entwickeln, die die Selbstbestimmung und berufliche Professionalisierung fördern.“ so Struck.
Wohn- und Gewerberaum
Was muss man sich unter einem Wohn- und Arbeitsprojekt für männliche Prostituierte vorstellen? Nun, einen Ort an dem Sexarbeiter eigenen Wohnraum und zudem Gewerberaum für die Ausübung ihres Jobs anmieten können. Dies in einer gewerbefreundlichen Lage in Städten, also bestenfalls in guten Innenstadtlagen und damit gut erreichbar. Den Wohn- und Gewerberaum stellt der Vermieter, nehmen wir an es ist eine regionale Aidshilfe, Beratungsangebote werden durch geeignete Anbieter zur Verfügung gestellt – nicht zuletzt ebenfalls durch die Beratungsstellen der Aidshilfen. Angebote umfassen von der psychosozialen bis zur sozialrechtlichen Beratung, von der Gesundheitsberatung bis zur Ausstiegsberatung, auch Angebote, die der Professionalisierung im Job dienen. Alle Rechtsverhältnisse zwischen Anbieter und Nutzer sind dabei voneinander unabhängig und frei wählbar.
Damit ein solches Wohn- und Arbeitsprojekt auch im Sinne des „Broterwerbs“ funktioniert, muss es beworben und so ausgestattet sein, dass alle erforderlichen Genehmigungen und Betriebserlaubnisse vorliegen. Möglicherweise also eine Herausforderung in der Zukunft.
Besteht tatsächlich ein Bedarf?
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Offen ist, ob und in welchem Umfang ein Bedarf für ein solches Angebot tatsächlich besteht. Die Antragsteller gehen von der These aus, dass der Bedarf da ist. Diese Einschätzung fußt auf der Präventionsarbeit der beteiligten Einrichtungen der letzten 30 Jahre.
Mit Unterstützung der SPI Forschung gGmbH in Berlin wird bis Ende des Jahres eine Überprüfung dieser Annahme per Bedarfserhebung in den fünf Städten durchgeführt. Mittels durch Fragebogen strukturierter Interviews mit Sexarbeitern, aber auch durch online gestellte und beworbene Fragebögen soll in kleinerem Rahmen erhoben werden, ob ein solcher Bedarf von den Männern, die anschaffen gehen, formuliert wird.
Die Konzeptarbeit, die aktuell fünf Aidshilfen in Nordrhein-Westfalen vorantreiben, dient also in erster Linie der Verbesserung der Arbeitssituation männlicher Prostituierter. Sie berücksichtigt dabei die Eckpunkte struktureller Prävention und hat das Ziel konkrete Angebote, in diesem Fall ein Wohn- und Arbeitsprojekt für männliche Prostituierte tatsächlich betreiben zu können.
Neben den Bedarfsfragen, sowie den rechtlichen und sozialrechtlichen Fragestellungen greift dieses Konzept jedoch auch mit voller Absicht die aktuelle politische Diskussion zur Reform des Prostitutionsgesetzes auf. Mit einem an Bedarf, Erfahrung und Lebenswelt der Beteiligten orientierten pragmatischen Ansatz wird der Versuch unternommen, Prostitutions-Realität für Freier und Sexarbeiter dort sicherer und verlässlicher zu machen, wo der Kontakt stattfindet. Beide Seiten profitieren also von einem derartigen Angebot und mit etwas Glück verändert ein von Aidshilfen betriebenes Wohn- und Arbeitsprojekt für Sexarbeiter über die dort selbstverständlich geltenden Standards auch die übrigen gewerblichen Angebote.