Kommentar Dr. Franz
Audebert, Regensburg
Alle
MSM unter 40 Jahre impfen!
Dr. Franz Audebert, Praxiszentrum
Alte Mälzerei, Regensburg
Aus meiner Sicht erscheint eine Impfung mit Gardasil® sinnvoll, auch wenn es in Deutschland noch einen Off-Label-Use darstellt. Off-Label-Use heißt nicht, dass die Impfung nicht sinnvoll ist. In den letzten Jahren wurde die Indikation für die HPV-Vakzine ja schon deutlich ausgeweitet und endlich auch für Jungen empfohlen. Wir wissen, dass MSM ein deutlich erhöhtes Risiko haben Papillomaviren zu akquirieren. Beim oben genannten Fall sind zwar anale Kondylome diagnostiziert worden, aber das heißt nicht, dass der Patient schon alle impfpräventablen HPV-Typen erworben hat. Zudem hat der Patient angegeben, immer auf Safer-Sex geachtet zu haben und keine anderen sexuell übertragbaren Infektionen gehabt zu haben. Nun da er die PrEP in Erwägung zieht, ist das Risiko sich mit HPV oder anderen STIs anzustecken höher. Das ist ein weiteres Argument für die Impfung. Zudem steht in der Fachinformation unter „Besondere Hinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung von Gardasil®: „Die Impfentscheidung sollte nach Abwägung einer möglichen früheren HPV-Exposition und des daraus abzuleitenden möglichen Nutzens durch die Impfung getroffen werden.“ Wäre der Patient HIV-positiv würde es an meiner Entscheidung einer Impfempfehlung nichts ändern, sondern für mich wäre die medizinische Indikation sogar noch klarer.
Aus meiner Sicht ist es medizinisch sinnvoll, alle MSM mindestens bis 40 Jahre, besonders im Zeitalter von PrEP gegen HPV zu impfen, würde mir aber natürlich wünschen, dass hier weitere Studien folgen. In der praktischen Umsetzung habe ich den Antrag auf Kostenübernahme auf der DAIG-Internetseite für meine Praxis adaptiert (https://daignet.de/site-content/news/stellungnahmen/antrag-auf-den-off-label-gebrauch-von-gardasil-r-9-bei-hochrisikogruppen/view).
Kommentar
Dr. Georg Härter, Ulm
HPV-Impfung
bei Risikogruppen
Dr. med. Georg Härter
Facharzt
für Innere Medizin, Infektiologie
Münsterplatz 6 · 89073 Ulm,
· Medicover Ulm MVZ
Bei
homosexuellen Männern (Men who have sex with men, MSM) und
insbesondere HIV-Infizierten besteht eine
erhöhte Inzidenz von
HPV-Infektionen und HPV-assoziierten Folgeerkrankungen wie u.a. der
analen intraepithelialen Neoplasie (AIN) und Analkarzinomen aber auch
Hypopharynxkarzinomen. Daher ist aus internistisch-infektiologischer
Sicht ein Impfzyklus gegen HPV bevorzugt mit dem neunvalenten
Impfstoff (GARDASIL®
9) zur Prophylaxe bei Risikogruppen von HPV-Infektionen bzw.
Dysplasien auch jenseits der von der STIKO empfohlenen Altersgrenze
von >17 Jahren zu empfehlen.
Da bei dem Patienten bereits anale Kondylome als potentielle Präkanzerosen vorliegen, ist dies umso wichtiger. Es handelt sich somit um eine präventive Impfung, um eine weitere Infektion mit hochkanzerogenen weiteren HPV-Typen bei entsprechendem Risikoprofil zu verhindern. Für den Einsatz als therapeutische Impfung bei bestehenden Kondylome oder Präkanzerosen ist die Datenlage hierbei jedoch uneinheitlich.
Meine persönliche Erfahrung ist, dass inzwischen viele der Gesetzlichen Krankenversicherungen einen präventiven Impfzyklus mit dem 9-valenten Impfstoff übernehmen. Hierzu kann auch eine ausführliche gemeinsame Stellungnahme des Autors und der DAIG im Internet heruntergeladen werden (https://daignet.de/site-content/news/stellungnahmen/antrag-auf-den-off-label-gebrauch-von-gardasil-r-9-bei-hochrisikogruppen-1).
Kommentar
Professorin Dr. med. Ulrike Wieland, Köln
Kein
nachgewiesener Nutzen bei vorliegender HPV-Infektion
Prof.
Dr. med. Ulrike Wieland
Nationales
Referenzzentrum für Papillom- und Polyomaviren – Institut für
Virologie
Uniklinik
Köln · Fürst-Pückler-Str. 56 · 50935 Köln
Die prophylaktische Impfung mit dem bi-, tetra- oder nonavalenten HPV-Impfstoff schützt bei HPV-naiven Personen sehr effektiv sowohl vor Infektionen mit den Impfstoff-HPV-Typen als auch vor HPV-bedingten Läsionen wie Genitalwarzen oder Krebsvorstufen wie zervikale (CIN) oder anale intraepitheliale Neoplasien (AIN).1-3
In Deutschland ist die prophylaktische HPV-Impfung gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) geschlechtsneutral für alle Kinder und Jugendlichen von 9-14 Jahren empfohlen. Versäumte HPV-Impfungen sollten spätestens bis zum Alter von 17 Jahren nachgeholt und die vollständige Impfserie sollte vor dem ersten Sexualkontakt abgeschlossen sein. Die STIKO erwähnt, dass auch Personen, die älter als 17 Jahre sind, von einer HPV-Impfung profitieren können, die Wirksamkeit der Impfung aber bei nicht HPV-naiven Personen reduziert ist.4
Die
HPV-Impfung wirkt rein prophylaktische und nicht therapeutisch.5,
6 Dies wird auch in den
Fachinformationen der HPV-Impfstoffe erwähnt und darauf hingewiesen,
dass der Impfstoff nur prophylaktisch anzuwenden ist und keinen
Effekt auf aktive HPV-Infektionen oder bereits bestehende
Erkrankungen hat.
Bei MSM sind anogenitale HPV-Infektionen sehr stark verbreitet und Infektionen mit multiplen HPV-Typen sehr häufig.7 In einer kürzlich publizierten Studie mit HIV-negativen MSM die PrEP benutzen, wurden anale HPV-Infektionen in allen Altersgruppen bei über 85% der Männer gefunden (74% mit multiplen HPV-Typen), bei den 19- bis 29- Jährigen sogar in 95,2%.8 Auch bei jugendlichen HIV-negativen MSM zwischen 16 und 20 Jahren wurden hohe HPV-Inzidenzraten gezeigt.9 Im Gegensatz zu anderen STI schützen Kondome nur partiell vor HPV-Infektionen.
Die „European AIDS Clinical Society (EACS) Guidelines“ empfehlen die HPV-Impfung für HIV-positive Personen zwischen 9 und 40 Jahren, weisen aber darauf hin, dass bei bereits vorliegender HPV-Infektion die Wirksamkeit der Impfung fraglich ist.10 Auch in den amerikanischen Empfehlungen der CDC wird darauf hingewiesen, dass die Effektivität der Impfung bei Personen mit Risikofaktoren für HPV-Infektionen (z.B. multiple Sexpartner) und wahrscheinlicher früherer Infektion mit den Impfstofftypen niedrig ist.11
In den EACS Guidelines10 wurde offensichtlich eine kürzlich publizierte doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Phase-3 Studie von Wilkin et al. zur Wirksamkeit der HPV-Impfung bei HIV-positiven Patienten ab 27 Jahren noch nicht berücksichtigt. Die Studie mit 575 Patienten (82% Männer, 18% Frauen) wurde vom „Data and Safety Monitoring Board“ wegen Sinnlosigkeit vorzeitig beendet, da der quadrivalente Impfstoff weder neue persistierende anale Infektionen mit den Impfstofftypen verhinderte, noch einen Einfluss auf die anale Zytologie oder auf histologisch bestätigte hochgradige AIN hatte.12
Die Studie von Wilkin et al.12 zeigt klar, dass die HPV-Impfung von HIV-positiven Patienten, die 27 Jahre oder älter sind keinen Effekt hat. Der in dem Fallbeispiel erwähnte MSM ist zwar jünger als 27 Jahre und HIV-negativ, es ist aber davon auszugehen, dass er aufgrund der oben erwähnten sehr hohen HPV-Nachweisraten bei jungen HIV-negativen MSM und aufgrund des Vorliegens von Kondylomen bereits Infektionen mit zahlreichen HPV-Typen erworben hat und somit die Impfung höchstwahrscheinlich kein Effekt mehr hat. Aus diesem Grund würde ich ihm die HPV-Impfung nicht nahelegen. Sollte er sich dennoch für die Impfung entscheiden, wird dies voraussichtlich keinen Schaden anrichten und für den unwahrscheinlichen Fall, dass er einen der im Impfstoff enthaltenen HPV-Typen noch nicht erworben hat, vor einer Neuinfektion mit diesem Typ schützen. Vorstellbar wäre auch ein Schutz vor Neuinfektion mit den vom Impfstoff abgedeckten HPV-Typen an nicht-anogenitalen Lokalisationen wie der Mundhöhle. 12
Bei HIV-positiven Patienten würde ich die HPV-Impfung gemäß STIKO allen Personen bis 17 Jahre empfehlen. HIV-positiven Patienten ab einem Alter von 27 Jahren würde ich die HPV-Impfung nicht empfehlen, da die Studie von Wilkin et al. die Wirkungslosigkeit der Impfung in dieser Altersgruppe gezeigt hat.12 Für HIV-Infizierte zwischen 18 und 26 Jahren liegen meines Wissens keine kontrollierten randomisierten Studien zur Wirksamkeit der HPV-Impfung vor. Vermutlich ist die HPV-Impfung bei den meisten HIV-positiven Patienten und Patientinnen dieser Altersgruppe aufgrund der bereits erworbenen multiplen HPV-Infektionen nicht sinnvoll, je nach Sexualanamnese (wenige Sexualpartner) und HIV-Transmissionsweg, könnte die Impfung aber erwogen werden.
1 Giuliano et al. Efficacy of quadrivalent HPV vaccine against HPV Infection and disease in males. N Engl J Med. 364(5):401-11, 2011
2 Arbyn et al. Prophylactic vaccination against human papillomaviruses to prevent cervical cancer and its precursors. Cochrane Database Syst Rev. 5:CD009069, 2018
3. Palefsky et al. HPV vaccine against anal HPV infection and anal intraepithelial neoplasia. N Engl J Med. 365(17):1576-85, 2011
4 Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut – 2019/2020. Epidemiologisches Bulletin 34/2019
5 Hildesheim et al. Impact of human papillomavirus (HPV) 16 and 18 vaccination on prevalent infections and rates of cervical lesions after excisional treatment. Am J Obstet Gynecol. 215(2):212.e1-212.e15, 2016
6 Schiller & Lowy. Explanations for the high potency of HPV prophylactic vaccines. Vaccine 36(32 Pt A):4768-4773, 2018
7 Palefsky et al. Prevalence and risk factors for human papillomavirus infection of the anal canal in human immunodeficiency virus (HIV)-positive and HIV-negative homosexual men. J Infect Dis. 177(2):361-7, 1998
8 Mboumba Bouassa et al. High Prevalence of Anal and Oral High-Risk Human Papillomavirus in Human Immunodeficiency Virus-Uninfected French Men Who Have Sex With Men and Use Preexposure Prophylaxis. Open Forum Infect Dis. 6(9):ofz291, 2019
9 Zou et al. Site-specific human papillomavirus infection in adolescent men who have sex with men (HYPER): an observational cohort study. Lancet Infect Dis. 15(1):65-73, 2015
10 European AIDS Clinical Society. EACS Guidelines, Version 10.0, November 2019 https://www.eacsociety.org/files/2019_guidelines-10.0_final.pdf.
11 Meites et al. Human Papillomavirus Vaccination for Adults: Updated Recommendations of the Advisory Committee on Immunization Practices. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 68(32):698-702, 2019
12 Wilkin et al. A Randomized, Placebo-Controlled Trial of the Quadrivalent Human Papillomavirus Vaccine in Human Immunodeficiency Virus-Infected Adults Aged 27 Years or Older: AIDS Clinical Trials Group Protocol A5298. Clin Infect Dis. 67(9):1339-1346, 2018