Interview mit Professorin Sandra Ciesek, Frankfurt
Wie gefährlich ist die Vogelgrippe?
Professorin
Sandra Ciesek
Frankfurt
Medizinische
Virologie
Goethe-Universität
Frankfurt
Seit 2003 haben sich Menschen mit Vogelgrippe-Viren infiziert. Was ist jetzt besonders?
Ciesek: Derzeit beobachten wir einen Ausbruch von H5N1, also dem Erreger der Vogelgrippe, in Milchkühen in mehreren Staaten der USA. Es ist schon einmal besonders, dass sich das Virus in Nutztieren so stark ausbreiten kann. Der Ausbruch in der Viehzucht in den USA hat meine Sorge, dass H5N1 ein hohes Pandemie- also Ausbreitungspotenzial besitzt, jedenfalls verstärkt. Wobei noch völlig offen ist, ob Menschen dann schwer oder vor allem leicht erkranken würden. Bisher wurden drei Fälle von entsprechenden Infektionen bei US-amerikanischen Milchbauern nachgewiesen. Alle drei Infizierten hatten eine Konjunktivitis, einer der Infizierten hatte außerdem Symptome eines Infekts der oberen Atemwege – alles eher leichte Verläufe. Auch außerhalb der USA wurden sporadisch Fälle von Vogelgrippe beim Menschen nachgewiesen. Zwischen Januar 2022 und Juni 2024 sind insgesamt 7 Menschen an H5N1 nachweislich verstorben.
Viren verändern sich ständig, insbesondere Influenza-Viren. Wie beurteilen Sie die Dynamik der Veränderung von A H5N1?
Ciesek:Es ist korrekt, dass Influenzaviren auch durch ihr segmentiertes Genom äußerst variabel sind. Bei einem der Milchbauern konnte eine Mutation gefunden werden, die auch als adaptive Mutation in den meisten Kühen nachgewiesen wurde und die in Mausexperimenten mit einer gesteigerten Virusreplikation und Krankheitsschwere assoziiert war. Das ist erstmal virologisch nicht sehr überraschend. Es ist jedoch wichtig, genau zu beobachten, ob es zu weiteren adaptiven Mutationen in Säugetieren kommt und dann zu untersuchen, welche Eigenschaften diese Mutationen haben.
Ausgangspunkt der Corona-Pandemie war ein Tiermarkt in China. Könnte das hier auch passieren?
Ciesek:Generell kann ein Virusübersprung vom Tier auf den Menschen immer erfolgen, wenn es einen engen Kontakt zu einem infizierten Tier gibt. Ein Risiko sind zum Beispiel Wildtiermärkte, in denen Wildtiere in atypischen engeren Kontakt zum Menschen kommen. Wenn ein Virus sich jedoch bereits in Nutztierherden ausbreitet, wie das in den USA bei H5N1 beobachtet wurde, dann ist für den Übersprung vom Säugetier auf den Menschen sicher kein Tiermarkt mehr nötig.
Reichen die aktuellen Schutz-Maßnahmen?
Ciesek: Ich denke, viele Wissenschaftler sind der Meinung, dass wir nicht genug Surveillance betreiben. Es wäre generell sinnvoll, mehr asymptomatische und/oder mild symptomatische Fälle zu testen, um besser zu verstehen, wie sich das Virus über Atemwege und kontaminierte Oberflächen wie Melkinstrumente übertragen kann. Erst wenn wir genau wissen, wie sich das Virus überträgt und welche Tätigkeiten zum Beispiel ein Risiko sind, können entsprechende Schutzmaßnahmen angepasst werden.
Ein infizierter Mann hat den Neuraminidasehemmer Oseltamivir erhalten. Wirkt dies auch bei aviärer Influenza?
Ciesek: Ja. Oseltemivir ist sowohl bei der saisonalen humanen Influenza als auch bei einer Infektion mit aviärer Influenza A wirksam. Sollte es zu weiteren Mutationen kommen, muss die Wirksamkeit natürlich immer wieder neu beurteilt werden. Die Therapie muss so schnell wie möglich nach Symptombeginn eingeleitet werden. Die Krankheitsdauer konnte in klinischen Studien nur geringfügig verkürzt werden. Es ist davon auszugehen, dass der alleinige Einsatz von Oseltamivir in einer pandemischen Situation und bei hohen Viruslasten kaum ausreichen würde, um eine Ausbreitung des Virus effizient zu verhindern.
Es gibt ja bereits Impfstoffe? Funktionieren diese?
Ciesek: Im Februar 2024 hat die EMA zwei H5N1-Impfstoffe (bedingt) zugelassen, diese könnten bei einer entsprechenden Pandemie eingesetzt werden. Wie wirksam diese Impfstoffe dann bei dem die Pandemie auslösenden Virusstamm sind, muss natürlich dann in entsprechenden Experimenten untersucht werden.
Vielen Dank für das Gespräch