Brit Häcker, Ralf Otto-knapp, Torsten Bauer, Tom Schaberg, Berlin
Update S2k-Leitlinie Tuberkulose
im Erwachsenenalter – Was ist neu, was bleibt?
Seit Mitte 2022 ist die überarbeitete S2k-Leitlinie Tuberkulose im Erwachsenenalter verfügbar. In insgesamt neun Kapiteln und 109 Empfehlungen und Begründungstexten wird detailliert auf die unterschiedlichen Aspekte von Diagnostik, Versorgung, Therapie sowie spezielle Situationen eingegangen.
Diagnostik
Empfehlung diagnostische Verfahren zur Empfindlichkeitsprüfung
Bei jeder Patientin und jedem Pati-
enten mit Tuberkulose soll vom ersten
verfügbaren Bakterienisolat eine Re-
sistenzprüfung für die Medikamente
der Standardtherapie (INH, RMP,
EMB, PZA) durchgeführt werden.
Bei Nachweis von Resistenzen muss
eine Resistenzprüfung für Medikamen-
te der Nicht-Standardtherapie erfolgen.
Die Diagnose der Tuberkulose (TB) soll durch den mikrobiologischen Nachweis gesichert werden. Dazu eignen sich bei V.a. eine Lungentuberkulose drei hochwertige Sputa. Im Rahmen der Primärdiagnostik soll nun neben dem mikroskopischen und kulturellem Erregernachweis aus mindestens einer Probe auch eine molekularbiologische Untersuchung einschließlich dem Nachweis häufiger Erregermutationen erfolgen. Bei V.a. extrapulmonale Tuberkulose soll immer eine Diagnosesicherung mittels Punktion, CT- oder Sonographie-gestützte Punktion, Endoskopie, chirurgische Biopsie o.ä. angestrebt werden.
Vom ersten verfügbaren Bakterienisolat soll eine kulturelle Resistenzbestimmung für die Medikamente der Standardtherapie und zusätzlich sollte eine molekularbiologische Untersuchung auf die mit einer Isoniazid- und Rifampicinresistenz assoziierten Genabschnitte erfolgen.
Standardtherapie
Die Standardtherapie der sensiblen Lungentuberkulose hat sich aktuell nicht geändert. Die sechsmonatige Therapie soll für acht Wochen mit den Medikamenten Rifampicin (RMP), Isoniazid (INH), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) und anschließend für vier Monate mit RMP und INH durchgeführt werden. Die international mögliche Therapieverkürzung auf vier Monate mit Rifapentin, Moxifloxacin, Isoniazid und Pyrazinamid wurde aufgrund fehlender Verfügbarkeit von Rifapentin in der EU noch nicht übernommen. Alle Medikamente der Standardtherapie sollten von Beginn an gleichzeitig nüchtern und möglichst 30 Minuten vor dem Frühstück eingenommen werden. Bei Patienten mit Nierenfunktionseinschränkung muss die Dosis angepasst, bei Leberinsuffizienz sollen engmaschige Kontrollen erfolgen. Bei schlechter Verträglichkeit kann die Einnahme nach einem leichten, fettarmen Frühstück erfolgen. Nach einer Therapieunterbrechung, die länger als 2 Monate gedauert hat, soll die Standardtherapie neu begonnen werden. Wenn Therapieunterbrechungen durch die Patientin oder den Patienten wegen mangelnder Adhärenz verursacht sind, soll eine direkt überwachte Therapie durchgeführt werden.
Kontrollen
In regelmäßigen Abständen sind als Kontrolluntersuchungen ein Routinelabor, Sputummikroskopie und -kultur, augenärztliche Untersuchungen und radiologische Kontrollen empfohlen. Zu Beginn ist zusätzlich ein HIV-Test und ggf. eine Hepatitisserologie zu veranlassen. Die klinischen und radiologischen Verlaufsuntersuchungen sollen nach einem, zwei und sechs Monaten erfolgen. Weitere Kontrollen sind 6 und 12 Monate nach Therapieende empfohlen. Bei ausgedehnten Befunden, einigen Formen der extrathorakalen Tuberkulosen, Nebenwirkungen oder bei Begleiterkrankungen können sich die Dauer und Zusammensetzung der Therapie ändern.
Monoresistenz
Bei einer INH-Monoresistenz soll die Therapie über 6 Monate mit Rifampicin, Levofloxacin, Pyrazinamid und Ethambutol erfolgen, wobei eine verkürzte Gabe von PZA und/oder EMB prinzipiell möglich ist. Im Fall einer Rifampicin-Resistenz, bei der keine Informationen über weitere Medikamentenresistenzen zu erhalten sind, empfiehlt die WHO eine MDR-TB-Therapie. Eine Pyrazinamid- oder Ethambutol-Monoresistenz ist in Deutschland sehr selten und sollte individuell nach Rücksprache mit einem spezialisierten TB-Behandlungszentrum therapiert werden.
MDR-TB
Die multiresistente (MDR-) TB erfordert eine komplexe und langwierige Behandlung, daher soll die Therapie in oder in Kooperation mit einem erfahrenen TB-Behandlungszentrum erfolgen. Da die internationalen Studien und Therapieempfehlungen bei MDR-TB in raschem Wandel sind, kann es bereits zeitnah zu Änderungen der Empfehlung kommen.
Bei einer MDR-TB, also bei Vorliegen von Resistenzen gegen Rifampicin und Isoniazid soll die Therapie individualisiert zusammengestellt und über 18 Monate durchgeführt werden. Bei nachgewiesener Empfindlichkeit werden die drei Medikamente der WHO-Gruppe A (Bedaquilin, Moxifloxacin oder Levofloxacin, Linezolid) und mindestens ein Medikament der WHO-Gruppe B (Terizidon oder Clofazimin) verwendet. Kann aufgrund von weiteren Resistenzen, Unverträglichkeiten oder Kontraindikationen damit keine Therapie aus mindestens vier Medikamenten zusammengestellt werden, wird durch Medikamente der Gruppe C ergänzt.
Verkürzte Therapieregime sollten aktuell nur in Ausnahmefällen und in Absprache mit einem spezialisierten Zentrum angewendet werden. Durch die WHO ist eine Anpassung der Therapieempfehlung angekündigt. Eine Therapieverkürzung auf 6-9 Monate mit BPaL(M) (Bedaquilin, Pretomanid, Linezolid) (Moxifloxacin) soll als Alternative empfohlen werden. Eine vorzeitige Aktualisierung der deutschen Empfehlungen zur MDR-TB-Therapie ist nach Sichtung der teilweise noch unveröffentlichten Studiendaten geplant.
Bei Verdacht auf Therapieversagen ohne Nachweis zusätzlicher Medikamentenresistenzen, bei potentiellen Resorption- oder Eliminationsstörungen, bei Risiken für Toxizität oder Interaktionen (z.B. bei HIV-Koinfektionen) oder bei fraglicher Adhärenz sollte eine Messung der Medikamentenspiegel im Blut erfolgen und die Dosierung der Medikamente daran angepasst werden.
Die Tuberkulose ist eine meldepflichtige Infektionskrankheit, aber auch die Behandlungsführung und die Isolierung muss in Rücksprache mit dem zuständigen Gesundheitsamt erfolgen. Dies betrifft auch Kostenfragen bei Isolierungsmaßnahmen aus Infektionsschutzgründen und die Behandlung bei Unversicherten. Die Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Tuberkulose ist häufig mit komplexen sozialmedizinischen Herausforderungen verbunden, die den Behandlungserfolg gefährden können und daher frühzeitig adressiert werden sollten. Hilfreich ist hierbei eine muttersprachliche Aufklärung und Kommunikation, eine wohnortnahe und wenn möglich ambulante Behandlung, Einbindung digitaler Unterstützungsangebote, die vorausschauende Evaluation und Klärung von Begleiterkrankungen, sozialen Risikofaktoren, finanziellen Fragen und aufenthaltsrechtlicher Probleme sowie Unterstützung bei dringlichen organisatorischen Herausforderungen (z.B. Kinderbetreuung während Isolationsmaßnahmen).
Post-TB Lung Disease
Auch nach erfolgreicher Beendigung der TB-Therapie, insbesondere nach MDR-TB, können Beschwerden persistieren, die eine Abklärung von Folgeerkrankungen erfordern. Diese werden als Post-TB lung disease (PTLD) zusammengefasst. Zur Diagnostik können radiologische und lungenfunktionelle Untersuchungen sowie Fragebögen herangezogen werden. Eine mögliche Therapie, Rehabilitationsbedarf oder Symptomlinderung richtet sich nach dem vorliegenden Krankheitsbild.
Latente Tuberkulose
Per Definition ist eine latente tuberkulöse Infektion (LTBI) ein positiver immunologischer Test (Tuberkulin-Hauttest/THT oder Interferon-gamma release assay/IGRA) bei gleichzeitigem Ausschluss einer Erkrankung an Tuberkulose. Die verfügbaren Tests weisen nur eine Immunantwort nach, können aber nicht zwischen einer Erkrankung und einer Infektion unterscheiden und auch das Risiko einer Progression von der Infektion zur Erkrankung nicht vorhersagen. Daher soll die Indikation für einen Test gezielt nur bei Risikogruppen gestellt und über eine präventive Therapie bei Nachweis einer Infektion soll gemeinsam mit der betroffenen Person auf Grundlage einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung und der vorhandenen Rahmenbedingungen entschieden werden.
Kontaktpersonen, Menschen, die mit HIV leben (PLWH) mit zusätzlichen Risikofaktoren und Patientinnen und Patienten vor Therapie mit TNF-Inhibitoren (TNFi) und ggf. anderen Biologika und JAK-Inhibitoren sollen auf eine LTBI untersucht und präventiv behandelt werden. Bei Personen mit schwerwiegenden Grunderkrankungen mit Immunsuppression, Personen vor Transplantationen oder Menschen aus Hochprävalenzländern sollte im Falle einer LTBI eine präventive Therapie angeboten werden. Dazu stehen verschiedene präventive Therapieregime zur Verfügung, wobei die kürzeren Rifamycin-basierten Schemata (vier Monate RMP oder drei Monate RMP und INH) zu bevorzugen sind. Auch Rifapentin-basierte Schemata sind theoretisch möglich, stellen allerdings aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit in Europa aktuell keine praktische Alternative dar. Auch bei Kontakt zu Erkrankten mit einer ansteckenden MDR-TB und nachfolgender Infektion sollte nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung eine präventive Therapie (nach Resistogramm der Indexperson) angeboten werden.
Beratung jederzeit
In diesem Beitrag konnten wir nicht auf alle Details und Sonderfälle dieser in Deutschland seltenen Erkrankung eingehen. Bei Fragen lohnt es sich, einen ausführlicheren Blick in die Leitlinie zu werfen und/oder sich mit in der Tuberkulosetherapie erfahrenen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. Bei Unklarheiten oder komplexen Fragen steht auch das DZK und das NRZ/FZB zur Verfügung. Direkte Rückmeldungen zur Leitlinie können an das DZK gerichtet werden.