Genschere

20. September 2019

Erste Anwendung bei HIV-Patienten in China.

Wieder preschen die Chinesen vor – oder warum CRISPR/Cas zur Heilung von HIV vielleicht doch keine so gute Idee war.

Im renommierten New England Journal of Medicine berichtet eine chinesische Arbeitsgruppe von einem sensationell erscheinenden Experiment: Ein 27jähriger Mann mit HIV-Infektion und akuter lymphoblastischer Leukämie erhielt zunächst eine der üblichen Chemotherapien. Um ihn zu heilen, sollte aber eine Transplantation hämatopoetischer Stammzellen eines Spenders durchgeführt werden. Damit es aber wissenschaftlich interessanter wurde, versuchte man zunächst, in diesen Stammzellen das CCR5-Gen mittels der CRISPR/Cas-Technologie auszuschalten – in der Hoffnung, den Patienten auch noch von seiner HIV-Infektion zu heilen. Es sollte aber „möglichst wenig riskant“ sein; deshalb wurde dafür kein viraler Vektor gewählt, sondern die Zellen wurden direkt mit dem CRISPR/Cas Ribonukleoprotein transfiziert. Dies führte aber vermutlich dazu, dass die Effizienz der Genmodifikation nicht besonders hoch war: Nur knapp 18% der behandelten Zellen waren auch genmodifiziert. Da diese Zellen nicht ausreichten, wurden schließlich auch nicht behandelte Zellen transfundiert, was dazu führte, dass nur 5-8% der Stammzellen, die sich erfolgreich angesiedelt hatten, die Genveränderung trugen. Aus nicht ganz verstandenen Gründen war der Anteil der aus diesen Vorläuferzellen gebildeten, CCR5-negativen CD4-Zellen noch geringer, nämlich noch nicht einmal 3%.

Dennoch entschied man sich nach 7 Monaten, als die CD4-Zellzahl auf über 500/µl angestiegen war, die antivirale Therapie zu pausieren. Innerhalb von vier Wochen stieg die Viruslast auf 30 Millionen Kopien/ml (!) an, worauf die Therapie wieder begonnen wurde. In dieser Phase stieg der Anteil der CCR5-negativen CD4-Zellen auf bis zu 4,39% an – ein Hinweis darauf, dass sie einen Selektionsvorteil hatten. Leider reichte dieser aber nicht für einen messbaren (Therapie-)Erfolg aus.

Im weiteren Artikel erklären die Autoren vor allem detailliert, wie sicher die Methode sei. Es seien keine „off-target“ effects gefunden worden und in der zweijährigen Nachbeobachtung seien auch keinerlei genetische Schädigungen aufgetreten. Die vor kurzem publizierte Beobachtung, dass eine natürliche CCR5-Deletion mit einer um etwa zwei Jahre verkürzten Lebenserwartung kontern die Autoren mit dem Hinweis, dass die Genveränderung ja „nur“ in hämatopoetischen Zellen stattgefunden hätte, weitere somatische Zellen also nicht betroffen wären.

So weit, so gut?

So ganz wohl ist einem bei dem ganzen chinesischen Optimismus doch nicht.

Fangen wir mal bei CRISPR/Cas an: Diese enzymatische Genmanipulationsmethode hat eine Rekordkarriere hinter sich, da sie im Labor besonders leicht zu handhaben ist. Leider hat das einen Preis: CRISPR/Cas macht „glatte“ Doppelstrangbrüche in der DNA. Das ist so eine Art Alarmsignal für die zelleigenen Reparatursysteme, die alles tun, um diesen Bruch so schnell wie möglich zu flicken. Da der Doppelstrangbruch aber glatt ist, gibt es keine Matrize, anhand der Reparaturvorgang durchgeführt werden könnte. Die Zellmaschinerie fügt also auf gut Glück irgendwelche Nukleoside in die Lücke ein. Das führt dann zu „Indels“ also Insertionen bzw. Deletionen von einigen Nukleosidpaaren. In 2/3 der Fälle führt das zu einer Verschiebung des Leserahmens, oft auch zum Einbau eines Stoppcodons. Damit wird das Protein, in dessen Gen der Schnitt stattfand, unbrauchbar – und genau dieses Ziel sollte im Falle des Gens für den CCR5-Rezeptor erreicht werden.

Aber: Es ist durchaus denkbar, dass noch ein – verkürztes – Protein gebildet wird, das zwar nicht mehr als CCR5-Rezeptor fungiert, aber doch eine evtl. auch unerwünschte Funktion ausführt.

Dann ist das mit der Genauigkeit von CRISPR/Cas auch so eine Sache. Auch wenn sie inzwischen optimiert wurde, lassen sich „off-target“ effects, also Schnitte, wo sie eigentlich nicht sein sollten, nie ganz ausschließen. Dass in dieser Untersuchung keine gefunden wurden, ist zwar auf den ersten Blick beruhigend, bedeutet aber noch lange nicht, dass es auch tatsächlich keine gab. Dafür ist das menschliche Genom einfach zu groß und die Anzahl der veränderten Zellen zu hoch. Auch die Nachbeobachtungszeit von zwei Jahren ist für Prozesse wie z.B. die Krebsentstehung viel zu kurz. Und das Argument, dass ja nur Zellen des hämatopoietischen Systems modifiziert worden wären ist auch nicht wirklich beruhigend, denn bei gerade diesen Zellen nimmt man ja eine Funktion des CCR5-Rezeptors an, durch dessen Verlust es zu einer höheren Empfindlichkeit gegenüber anderen Infektionen kommen könnte – ganz ist das ja noch nicht geklärt.

Da man bereits wusste, dass die verwendete Methode nur eine geringe Effizienz hat, kann es keine große Überraschung gewesen sein, dass nur ein kleiner Teil der neugebildeten CD4-Zellen einen Schutz vor einer HIV-Infektion hatte. Doch die Daten zu einer solchen Situation haben wir längst: Die Firma Sangamo hat schon vor Jahren mit einer anderen Gen-Editing-Methode (Zinkfingernukleasen) die CD4-Zellen von chronisch HIV-Infizierten außerhalb des Körpers behandelt (auch hier wurden die Gene für den CCR5-Rezeptor stillgelegt) und wieder zurück infundiert. Auch hier gelang es gerade einmal wenige Prozent der Zellen zu verändern und auch hier hatte der Schutz dieser wenigen Zellen keine großen klinischen Verbesserungen zur Folge.

Das Ergebnis war also weitgehend vorhersagbar. Hätte man für den Patienten einen Spender mit homozygotem CCR5-Defekt gesucht, hätte eine wirkliche Chance bestanden, ihn von seiner Leukämie und seiner HIV-Infektion zu heilen (ähnlich wie beim „Berlin Patient“ Timothy Brown). So kann man sich leider des Verdachts nicht erwehren, dass man – vielleicht um des wissenschaftlichen Ruhmes willen – einen Patienten zusätzlichen, derzeit noch nicht vollständig absehbaren Risiken aussetzte, ohne dass davon ein Nutzen zu erwarten war.


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