PROF. GERD FÄTKENHEUER, KÖLN
Neu im EAP: CCR5-Inhibitor Maravir

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer
Klinik für Innere Medizin
- Infektiologie
Kerpener Straße 62
50924 Köln
Tel. 0221 / 478 48 86
Fax 0221/478 34 24
g.faetkenheuer@uni-koeln.de

Die erstmals auf der CROI 2007 präsentierten 24-Wochen-Daten der Studien MOTIVATE 1 und 2 belegen die gute Wirksamkeit des neuen CCR5-Hemmers Maraviroc. Im Vergleich zu Placebo erreichten etwa doppelt so viele der stark vorbehandelten Patienten eine Viruslast unter der Nachweisgrenze. Maraviroc wird in Deutschland demnächst im Early Access Program zur Verfügung stehen.

MOTIVATE 1 und 2 sind die bisher größten Studien mit einem CCR5-Hemmer. Das Design der beiden Studien ist identisch, MOTIVATE 1 wurde in den USA und Kanada, MOTIVATE 2 in Europa, Australien und den USA durchgeführt. Es nahmen insgesamt 1049 Patienten (585 in MOTIVATE 1, 464 in MOTIVATE 2) an der Studie teil. Die Patienten waren mit allen drei herkömmlichen Substanzklassen vorbehandelt und mussten beim Screening ausschließlich CCR5-tropes Virus aufweisen. Die mittlere CD4- Zellzahl lag zwischen 150 und 180/µl, die mittlere Viruslast bei 4,8log10 Kopien/ml. Die Patienten erhielten zusätzlich zu einer optimierten Hintergrundtherapie (optimized background therapy, OBT) Maraviroc 150 mg BID oder Maraviroc 150 mg QD oder Plazebo. Das Studiendesign ist in Abbildung 1 dargestellt.


Abb. 1: MOTIVATE-Studienplan

24-WOCHEN-ERGEBNISSE

Die 24-Wochen-Ergebnisse beider MOTIVATE-Studien zeigten eine klare Überlegenheit der Therapie mit Maraviroc in beiden Dosierungen gegenüber Plazebo, wobei sich die Ergebnisse zwischen den beiden Studien und den beiden Maraviroc-Armen (150 mg OD und 150 mg BID) kaum unterschieden. Im Vergleich zu Plazebo erreichten unter Maraviroc doppelt so viele Patienten eine Viruslast <400 bzw. <50 Kopien/ml. Das immunologische Ergebnis war ähnlich. Die CD4-Zahl stieg unter Maraviroc doppelt so stark wie unter Plazebo (Tab. 1).


Tab. 1: Virologische und immunologische Ergebnisse der MOTIVATE-Studien

In den bislang vorliegenden Subgruppenanalysen war Maraviroc bei Patienten mit hoher und niedriger Viruslast (Grenze 100.000 Kopien/ml) genauso wirksam.

VERTRÄGLICHKEIT

Maraviroc wurde insgesamt sehr gut vertragen, es gab keine signifikanten Unterschiede im Sicherheitsprofil zwischen Plazebo und Maraviroc. In allen Gruppen waren Kopfschmerzen, Diarrhoe und Übelkeit die häufigsten unerwünschten Symptome. Insbesondere wurde keine vermehrte Hepatoxizität beobachtet, und ein gehäuftes Auftreten von Lymphomen fand sich auch nicht.

FAZIT FÜR DIE PRAXIS

Die erste unmittelbare Folge ist sicherlich, dass Maraviroc der erste CCR5-Antagonist im klinischen Alltag sein wird. Von der neuen Substanz werden zunächst stark vorbehandelte Patienten mit virologischem Versagen profitieren. Voraussetzung ist allerdings, dass Patienten mit ausschließlich CCR5-tropem Virus behandelt werden. In MOTIVATE 1 und 2 wurden nur solche Patienten untersucht.

Die Behandlung von Patienten mit CXCR4- bzw. dual tropem CCR5-/CXCR4 Virus hat der Studie (1029), die auf der WeltAids-Konferenz 2006 in Toronto vorgestellt wurde, nach 24 Wochen keinen virologischen Vorteil für den Einsatz von Maraviroc zusätzlich zu einer OBT gezeigt. Die Ergebnisse dieser Studie sind dennoch bedeutsam, denn sie belegen, dass Patienten mit CXCR4-tropem Virus durch eine Therapie mit einem CCR5-Antagonisten zumindest über 24 Wochen keinen Schaden erleiden. Bei Beginn der klinischen Studien mit CCR5-Inhibitoren war nämlich befürchtet worden, dass ein Tropismus-Shift zu einer rascheren Progression der HIV-Infektion führen könnte. In der 1029-Studie zeigte sich jedoch sogar ein besserer CD4-Zellverlauf unter der Therapie mit Maraviroc.

TROPISMUS-TEST

Ein Problem bei der Anwendung von Maraviroc in der Praxis, das sich grundlegend von anderen Therapieformen unterscheidet, ist die Notwendigkeit eines Testes zur Bestimmung des Tropismus. In den Studien wurden alle diese Untersuchungen mit dem Trofile®-Test der Firma Monogram (San Francisco) durchgeführt. Dieser Test ist auch in spezialisierten Labors in Deutschland möglich. Die Erstattung der Kosten für den Test ist allerdings bisher noch nicht geklärt. Für die Zukunft ist es deshalb sehr wichtig, dass rasch andere Testmethoden etabliert werden, zum Beispiel genotypische Tests, die dann im Rahmen einer üblichen Resistenztestung durchgeführt werden könnten.

INTERAKTIONEN

Maraviroc wird über das Cytochrom P450- System abgebaut. Deshalb kann es quasi geboostert werden, d.h. bei gleichzeitiger Gabe von Ritonavir 100 mg wird die Maraviroc-Dosis auf 150 mg ein- oder zweimal täglich reduziert im Vergleich zur Standarddosis 300 mg zweimal täglich. Bei gleichzeitiger Gabe von Tipranavir muss die Dosierung von 300 mg zweimal täglich beibehalten werden.

Von besonderem Interesse ist die Kombination von Enfuvirtid und Maraviroc, da in vitro ein Synergismus dieser beiden Entry-Inhibitoren beschrieben wurde. In den MOTIVATE-Studien erhielten zwischen 37% und 46% der Patienten in den verschiedenen Armen zusätzlich Enfuvirtid. Das virologische Ansprechen auf Maraviroc war jedoch unabhängig vom Einsatz von Enfuvirtid.

Eine differenzierte Auswertung der Patienten, die im Rahmen der Studien erstmals mit Enfuvirtid behandelt wurden, liegt allerdings noch nicht vor.

EINSATZ IM KLINISCHEN ALLTAG

Zunächst sollte Maraviroc - solange noch keine Studien bei therapienaiven Patienten vorliegen - ausschließlich bei vorbehandelten Patienten mit virologischem Therapieversagen eingesetzt werden. Vor der Gabe muss eine Untersuchung auf den Rezeptor-Tropismus erfolgen. Maraviroc sollte man wie alle anderen neuen Substanzen auch keine funktionelle Monotherapie sein, das heißt man sollte Maraviroc mit mindestens einem weiteren aktiven Medikament kombinieren. Für Patienten mit fortgeschrittener HIV-Infektion und multiresistentem Virus stehen hier derzeit einige sehr gute neue Therapieoptionen zur Verfügung, z.B. Darunavir oder der Integrasehemmer Raltegravir im Early Access Program.

Aufgrund der sehr guten Verträglichkeit bietet sich Maraviroc grundsätzlich auch für andere Patientengruppen an. Eine Umstellung von einer anderen gut funktionierenden Kombinationstherapie auf ein Maraviroc-haltiges Regime kann derzeit dennoch nicht empfohlen werden, da der notwendige Tropismus-Test nur bei nachweisbarer Viruslast durchgeführt werden kann. Der Einsatz bei therapienaiven Patienten derzeit ebenfalls nicht empfehlenswert. Die Ergebnisse der entsprechenden Studienergebnisse werden voraussichtlich auf dem Internationalen AIDS Kongress 2007 in Sydney präsentiert werden.

Korezeptorantagonisten - ein langer Weg zum Ziel

Medikamente, die den Zelleintritt von HIV hemmen, stellen theoretisch eine ideale Therapieform der HIV-Infektion dar, da sie das Eindringen des Virus in die Zelle verhindern:

Je nach Zielort unterscheidet man drei Untergruppen von Eintrittsinhibitoren:

  1. die Attachment-Inhibitoren, die Bindung des viralen Glycoproteins gp120 an den zellulären Rezeptor CD4 stören,
  2. die Korezeptor-Inhibitoren, die den Korezeptor CCR5 oder CXCR4 an der CD4-Zelle blockieren, an den physiologischerweise Chemokine und bei der HIV-Infektion das Virus andockt, und
  3. Fusionsinhibitoren, die die Konformationsänderung im viralen Hüllenprotein und dadurch die Verschmelzung von Virusmembran und Zellmembran verhindern.

Maraviroc gehört zur Gruppe der Korezeptor-Inhibitoren und hemmt den CCR5-Korezeptor. Die Substanzgruppe hat trotz des vielversprechenden Ansatzes schon einige Rückschläge hinnehmen müssen. So wurde die Entwicklung von Aplaviroc wegen erhöhter Lebertoxizität eingestellt und eine Phase-II-Studie mit Vicriviroc an Therapie-naiven Patienten wegen virologischem Versagen gestoppt. Der klinische Nutzen bei stark vorbehandelten Patienten darf jetzt allerdings nach den Studien MOTIVATE 1 und 2 als gesichert gelten.

Die Anträge auf Zulassung von Maraviroc sind eingereicht und werden in den USA wie in Europa in einem beschleunigten Zulassungsverfahren geprüft. Mit der Zulassung rechnet man noch in diesem Jahr.

CXCR4-Antagonist

CCR5-Antagonisten wirken nur gegen Viren, die den Korezeptor CCR5 als Eintrittspforte benutzen. Es befindet sich aber auch ein CXCR4-Antagonist in der Entwicklung. Die Substanz AMD 11070 hat in einer ACTG-Studie, die auf der CROI präsentiert wurde, zwar den "Proof of Concept" geliefert, jedoch die Viruslast insgesamt nicht wesentlich gesenkt. In der Untersuchung wurden sechs Patienten (VL 4,23 log, CD4-Zahl 196/µl) mit X4-Viren (Luciferase Aktivität >2.000 rlu, rein oder dual/gemischt) 10 Tage lang mit 2x 200 mg AMD 11070 per os behandelt. Unter der Therapie fielen die X4-tropen Viren um -1 bis -3,3 log rlu bei 3/6 Patienten und bei den restlichen 3/6 nicht wesentlich. Alle Patienten hatten ein dual/gemischtes Virus, bei einem war es ein R5-Shift aufgetreten. Eine Absenkung der Viruslast um >1log wurde in keinem Fall beobachtet. RV

P Saag M et al., 14th CROI 2007, Los Angeles, Abstr. 512

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