PROF. JÜRGEN ROCKSTROH, BONN
Neu im EAP: Integrasehemmer Raltegravir
Korrespondenzanschrift: Prof. Dr. J. K. Rockstroh Medizinische Universitätsklinik I Sigmund-Freud-Str. 25 53105 Bonn Tel.: 0228/287-6558 FAX: 0228/287-5034 Email: rockstroh@uni-bonn.de |
Die bislang vorliegenden Daten zu dem neuen Integraseinhibitor Raltegravir (früher MK-0518) wecken große Hoffnungen. In den jüngst auf der CROI vorgestellten Studien BENCHMRK 1 und 2 erreichten unter Raltegravir plus erstmals Darunavir oder Enfuvirtid nach 16 Wochen nahezu 90% der schwer zu behandelnden Patienten mit Dreiklassen-Resistenz eine Viruslast unter der Nachweisgrenze - und das bei guter Verträglichkeit. Es wurden aber auch schon erste Resistenzen beschrieben. Wie schnell es dazu kommt, ist noch unklar.
Interaktionen
Die Metabolisierung vom Raltegravir erfolgt hauptsächlich über Glukuronidierung (UGT1A1) in der Leber. Raltegravir ist allerdings kein potenter Inhibitor oder Inducer des CYP3A4-Systems. Deshalb muss Raltegravir nicht mit Ritonavir geboostet werden. Eine Dosisanpassung in Verbindung mit anderen antiretroviralen Medikamenten ist nach dem aktuellen Kenntnisstand nicht erforderlich, lediglich eine Abnahme des Raltegravir-Spiegels bei Kombination mit Tipranavir ist beschrieben.
Die Integration der viralen HIV-DNA verläuft in mehreren Schritten und stellt einen ausgesprochen komplexen biochemischen Prozess dar. Der Integrasehemmer Raltegravir (früher MK-0518) inhibiert im Rahmen der Integration der viralen DNA den Strangtransfer und wird daher auch als Strangtransfer-Inhibitor bezeichnet. Aufgrund des neuartigen Wirkmechanismus der Integraseinhibitoren erscheint der Einsatz dieser Substanzklasse insbesondere bei stark vorbehandelten Patienten mit multiresistenten Viren sinnvoll. Raltegravir zeigt in vitro eine deutliche Aktivität gegen multiresistente HIV 1-Stämme, wirkt gegen R5- und X4-trope Viren und supprimiert auch HIV 2. In Verbindung mit anderen antiretroviralen Medikamenten wurde eine deutliche synergistische Aktivität beobachtet. Die IC95 von Raltegravir beträgt 33 nmol (+/- 23 nmol) im Vorhandensein von 50% Human-Serum.
BEEINDRUCKENDE POTENZ
Die Sicherheit von Raltegravir wurde in einer ersten Phase-I-Untersuchung in einer 10-tägigen Monotherapie-Studie an antiretroviral naiven HIV 1-infizierten Patienten (Viruslast >5.000 Kopien/ml, CD4-Zellen>100 absolut/µl) gegen Placebo geprüft1. Es wurden insgesamt vier Dosierungen 100, 200, 400 und 600 mg Raltegravir jeweils 2 x täglich versus Placebo verglichen. Zum Tag 10 betrug die mittlere Abnahme der Viruslast im Vergleich zu Baseline für die Placebo-Gruppe 0,2 HIV-RNA log10 Kopien/ml und jeweils 1.9, 2.0, 1.7 und 2.2 log10 Kopien/ml für die Raltegravir-Gruppen. Damit wiesen alle Raltegravir-Dosierungen im Vergleich zu Placebo eine deutlich überlegene antiret-rovirale Aktivität auf (p <0,001). Die beeindruckende Potenz der Integrasehemmer lässt sich daran erkennen, dass 50% (!) der Patienten in jeder Dosisgruppe bereits am Tag 10 einen Viruslastabfall unter die Nachweisgrenze von 400 Kopien/ml aufwies.
VERTRÄGLICHKEIT: SEHR GUT
Im Sommer 2006 wurden die Ergebnisse einer Phase-2-Studie mit längerer Beobachtungszeit präsentiert2. In dieser Studie wurden 198 antiretroviral Therapie-naive Patienten mit einem Backbone aus Tenofovir und Emtricitabine plus Raltegravir in verschiedenen Dosierungen oder Efavirenz behandelt. In allen Behandlungsarmen erreichten etwa 85-90% der Patienten einen Abfall der Viruslast unter die Nachweisgrenze. Auffällig ist jedoch, dass dieser Abfall in den Raltegravir-Armen rascher erfolgte als im Efavirenz-Arm (Abb. 1).
Abb. 1: Patienten mit Viruslast <50 Kopien/ml (NC=F)
Parallel zum guten virologischen Ansprechen zeigt sich auch eine befriedigende immunologische Verbesserung. In allen vier Gruppen stiegen die CD4-Zellen deutlich um >75/µl an. Nebenwirkungen (Häufigkeit >5%) wie Kopfschmerzen (24% vs. 9%), Schwindel (26% vs. 8%) und abnorme Träume (18% vs. 6%) waren unter Efavirenz häufiger. Die ansonsten am häufigsten genannten Nebenwirkungen, nämlich Durchfall und Übelkeit, waren unter beiden Medikamenten etwa gleich häufig (Efavirenz vs. Raltegravir-Gruppen etwa 11% und 13% vs. 7% und 11%).
VORBEHANDELTE PATIENTEN
In einer ersten placebokontrollierten Phase-2-Dosisfindungsstudie an 179 Patienten mit langer antiretroviraler Vorbehandlung (mediane Therapiedauer 9-10 Jahre) stand einem Drittel laut Resistenztest keine weitere aktive Substanz mehr zur Verfügung. Die Patienten erhielten nach Randomisierung zweimal täglich zwischen 200 und 600 mg Raltegravir oder aber Placebo3. Nach 24 Wochen wiesen 57-67% der Raltegravir-Patienten eine Viruslast <50 Kopien/ml auf, im Placeboarm waren es hingegen nur um die 10%.
CROI: BENCHMRK 1 UND 2
Auf der amerikanischen CROI wurden nun erstmals die Ergebnisse der laufenden Phase-3-Studien zu Raltegravir BENCHMRK 1 und 2 (BENCHMRK= Blocking integrase in treatment experienced patients with a novel compound against HIV: MeRcK) vorgestellt4,5. BENCHMRK 1 wurde in Europa, Asien und Peru, BENCHMRK 2 in Nord- und Südamerika durchgeführt. Das Studiendesign ist identisch. Es handelt sich um eine randomisierte, doppeltblinde, placebokontrollierte Untersuchung von Raltegravir 400 mg 2 x täglich versus Placebo in einem Randomisierungsverhältnis von 2:1. Die zusätzliche optimierte Basistherapie (OBT) konnte anhand der genotypischen/phänotypischen Resistenztestung frei gewählt werden. Einschlusskriterien waren eine dokumentierte Dreiklassen-Resistenz sowie eine Viruslast >1.000 Kopien/ml. Primäre Endpunkte waren zum Zeitpunkt der Woche 16 Viruslast und Helferzellzahl sowie Nebenwirkungen. Patienten, die nach 16 Wochen ein virologisches Versagen aufwiesen, konnten aus ethischen Gründen auf open-label Raltegravir wechseln.
STARK VORBEHANDELTES KOLLEKTIV
In BENCHMRK 1 erhielten 232 Patienten Raltegravir plus OBT-Arm und 118 Placebo plus OBT, in BENCHMRK 2 waren es 230 bzw. 119 Patienten. Auffällig ist hier die ausgeprägt lange Dauer der antiretroviralen Vorbehandlung. Die Helferzellzahl bei Therapiebeginn lag in allen Studienarmen deutlich unter 200 Zellen/µl bei einer moderaten Virämie um 50.000 Kopien/ml. Fast alle Patienten hatten bereits eine manifeste AIDS-Erkrankung hinter sich. In BENCHMRK 1 (überwiegend Europa und Asien) bekam ungefähr ein Viertel der Patienten im OBT-Arm den neuen Proteasehemmer Darunavir, in BENCHMRK 2 nahezu jeder zweite Patient. In beiden Studien erhielten zudem ungefähr ein Viertel der Patienten zum ersten Mal Enfuvirtid.
UNTER DER NACHWEISGRENZE
In beiden Studien erreichten unter Raltegravir nach 16 und 24 Wochen signifikant mehr Patienten einen Abfall der Viruslast unter die Nachweisgrenze als unter Placebo (<400 Kopien/ml 80% vs. 40%, <50 Kopien/ml ca. 60 vs. 30%) (Abb. 2).
Abb. 2: Patienten <50 Kopien/ml (Non Completer=Failure)
Hier ist allerdings anzumerken, dass möglicherweise auch nach Woche 24 noch vereinzelt Patienten mit sehr hoher Ausgangsviruslast unter die Nachweisgrenze gehen können. Die CD4-Zellen stiegen unter Raltegravir vs. Placebo fast doppelt so stark an.
WICHTIG: AKTIVE SUBSTANZEN
In den Subanalysen wurde das virologische Ansprechen in Abhängigkeit von den antiretroviralen Medikamenten im OBT-Regime ausgewertet. Erwartungsgemäß schnitten Patienten mit mehreren aktiven Substanzen im OBT am besten ab. Von den Patienten, die Enfuvirtid und Darunavir im OBT erreichten unter Raltegravir bzw. Placebo erhielten, fast 100% bzw. 87% die Nachweisgrenze von <400 Kopien/ml (Abb. 3). Wurde zu Raltegravir nur eine aktive Substanz gegeben, z.B. erstmals Enfuvirtid, war die Differenz zwischen dem Integrasehemmer und Placebo deutlich stärker ausgeprägt (<400 Kopien/ml 90% vs. 63%). Die Subanalyse hinsichtlich der virologischen Wirksamkeit in Abhängigkeit vom genotypischen Suszeptibilitäts-Score bei Baseline zeigt ebenfalls, dass bei zwei oder mehr aktiven Substanzen im OBT-Arm unter Raltegravir 87% der Patienten den Abfall der Viruslast unter 400 Kopien/ml erreichen gegenüber nur 57% im Placebo-Arm. Doch selbst wenn Raltegravir mangels anderer Optionen als einzige aktive Substanz eingesetzt wird, lässt sich - zumindest bis Woche 16 - bei mehr als 50% der Patienten die Viruslast <400 Kopien/ml senken.
Abb. 3: Patienten <400 Kopien/ml in Woche 16 nach ausgewählten Substanzen im OBT
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN
Die Anzahl der klinischen Nebenwirkungen in den Raltegravir- und Placebo-Armen der Studien war vergleichbar. Spezifische Raltegravir-assoziierte Nebenwirkungen wurden nicht festgestellt. Am häufigsten waren die typischen Nebenwirkungen in einem solchen stark vorbehandelten Kollektiv, nämlich Injektionsreaktionen auf Enfuvirtid und Diarrhoen im Rahmen der Proteasehemmer-Behandlung.
RESISTENZ
Erstmals wurden auch Analysen zur Resistenzentwicklung vorgestellt. Ein virologisches Versagen wurde bei 16% (n=76) der Raltegravir-Patienten vs. 51% (n=121) bei den Placebo-behandelten Patienten dokumentiert. Das Versagen unter einer Raltegravir-Therapie führte zu einer Resistenzentwicklung über zwei unterschiedliche genetische Pfade entweder über die Mutation N155A oder die Mutation Q148K/R/H. Zusätzliche Mutationen wurden bei beiden Resistenzwegen beobachtet4.
FAZIT FÜR DIE PRAXIS
In Deutschland beginnt in Kürze das Expanded Access Program für Patienten, bei denen Therapiewechsel aufgrund von virologischem Versagen ansteht. Die Zulassung von Raltegravir wird voraussichtlich Ende des Jahres erfolgen.
Literatur beim Verfasser