DR. JÖRG GÖLZ, BERLIN
Heroin und kein Ende
Die politische Debatte um die Substitution mit Heroin ist noch nicht abgeschlossen. Ein spannender zweiter Durchgang beginnt im Augenblick.
Heroin war in einer Studie erfolgreich zur Substitution eingesetzt worden. Doch wie soll es nun nach Abschluss der Studie weitergehen? Eine parlamentarische Abstimmung über die Fortsetzung der Heroinstudie als Regelversorgung drohte die große Koalition in eine peinliche Lage zu bringen. Mit den Stimmen von FDP, Grünen, PDS, SPD und Teilen der CDU schien es eine Mehrheit für die Heroinsubstitution zu geben. Dies wäre gegen den Wunsch der CDU/CSU-Fraktion gewesen. Wegen der Heroinfrage wollte man nicht riskieren, dass der eine Koalitionspartner mit den Stimmen der Opposition vom anderen Partner überstimmt wird. Die Fraktionsvorsitzenden Kauder (CDU) und Struck (SPD) verhinderten deshalb entsprechend der Koalitionsvereinbarung eine Abstimmung im Bundestag, ohne die eine notwendige Änderung des Betäubungsmittelrechts nicht eingeleitet werden konnte.
Adresse der Geschäftsstelle:
Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (vorm. DGDS) e.V.
c/o Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52 · D-20246 Hamburg
PARTEIPOLITISCHE RANGELEI
Damit kehrte aber keineswegs Ruhe in die Diskussion ein. Denn nun meldeten sich die überwiegend CDU-regierten Städte, in denen der Modellversuch durchgeführt wird, und forderten von Bundestag und Bundesrat die gesetzlichen Vorraussetzungen für die weitere Heroinversorgung von Schwerstabhängigen. Die CDU-Regierungschefs der Länder Hamburg und Hessen - Ole von Beust und Roland Koch - schalteten sich ebenfalls gleichsinnig ein.
Gleichzeitig wurde erneut ein Gruppenantrag der SPD-Fraktion im Bundestag gestellt, dass sich das Parlament wieder mit der Frage auseinandersetzen soll. Flankiert wurde dieser kommunale, länder- und bundespolitische Aufstand von den entsetzten Kommentaren aller suchtmedizinischen Gesellschaften und Institutionen sowie kirchlichen Kreisen, die die Inhumanität der ablehnenden Entscheidung monierten. Die Studie hatte exzellente Ergebnisse im Hinblick auf Haltequoten, soziale Rehabilitation, Senkung der Kriminalität und Verbesserung des Gesundheitszustands erbracht. Die Kosten mit 18 000.- pro Jahr und Patient waren gering verglichen mit den gesamtgesellschaftlichen Folgelasten, die durch ein Jahr Heroinkonsum entstehen, z.B. Vermögensschäden durch Diebstahl und Einbruch, Kosten für Strafverfahren und Gefängnisaufenthalte und die Kosten für neue Infektion und stationäre Aufnahmen.
ALLE PRO HEROIN?
Dadurch wurde deutlich, wie sehr sich die beiden parlamentarischen Zuchtmeister der Koalitionsfraktionen verschätzt hatten, als sie glaubten, die Fortsetzung der Heroinvergabe durch Reaktivierung der alten Abwehrbastionen verhindern zu können. Mit Argumenten aus der Steinzeit der Suchtmedizin - die Abstinenz als dringlichstes Ziel der Suchttherapie wurde plötzlich wieder belebt - würde sich die Bundesrepublik in der internationalen Debatte isolieren. In Ländern wie die Schweiz, Holland und Großbritannien wird die Heroinsubstitution praktiziert und die WHO hält diese Therapie für eine wichtige Variante bei Patienten, die mit Methadon nicht in der Behandlung gehalten werden können. Zur Unterstützung der Ablehnung wurden dann auch noch populistischen Argumente bemüht. Die Heroinsubstitution sei im Vergleich zur Methadonsubstitution, die 7 000,-- pro Jahr und Patient kostet, zu teuer. Das könne man in Zeiten allgemeiner Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen der Bevölkerung nicht vermitteln. Verschwiegen wird aber, dass es sich insgesamt um eine verschwindend geringe Summe im Gesundheitsetat handelt und dass pro Patient durch die Heroinsubstitution jährlich 20 000,-- bis 40 000,-- gesellschaftliche Kosten eingespart werden.
Dem Suchtarzt und Interessierten bleibt nur mit Spannung zu verfolgen, ob die Schlussfolgerungen aus einer wissenschaftlich hoch gelobten Studie am Argumentationsniveau in den Wahlkreisen der deutschen Provinz zerschellen.
Dr. med. Jörg Gölz
Kaiserdamm 24 · 14057 Berlin
goelz@snafu.de