1/2008 Editorial
Liebe Leserin,
lieber Leser,
SEX UNTER DER NACHWEISGRENZE
Das Schweizer Statement HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös hat viele Irritationen und Diskussionen ausgelöst. Ärzte und Wissenschaftler irritiert es, weil es eine Aussage ohne die sonst übliche wissenschaftliche Evidenz trifft. Die vorliegenden Daten lassen dennoch den Schluss zu, dass eine effektive HAART das Risiko einer HIV-Transmission drastisch senkt - wenn auch nicht ganz ausschließt. Die Schweizer leugnen dieses Restrisiko nicht, halten es aber unter bestimmten Umständen für vernachlässigbar.
RISIKO MUSS KOMMUNIZIERT WERDEN
Doch wer entscheidet, wann ein Risiko vernachlässigbar ist? Derjenige, der es berechnet oder derjenige, der es eingeht? Aus diesem Grund muss das Restrisiko kommuniziert werden, ebenso wie die unabdingbaren Voraussetzungen sechs Monate HAART, ärztliche Kontrollen, Viruslast unter der Nachweisgrenze und keine Geschlechtskrankheiten. Und genau hier liegt das Problem. Diese Botschaft ist für die Primärprävention viel zu komplex. Die internationalen Organisationen wie WHO und UNAIDS haben sich deshalb rasch und klar von dem Papier distanziert. Zu Recht, wie ich meine. Falsche Signale können hier viel Schaden anrichten.
INDIVIDUELLE BERATUNG IN DER PRAXIS
Bei der Beratung in der Praxis ist die Situation anders. Hier hat man die Möglichkeit genau die Patienten individuell zu beraten, für die diese Botschaft gedacht ist, nämlich diskordante Paare in einer festen Partnerschaft. Hier kann man Ängste abbauen. Gleichzeitig müssen aber auch Restrisiko und Bedingungen angesprochen werden. Sexualkontakte sind ein so häufiges Ereignis, dass selbst bei optimalen Bedingungen kleine Risiken relevant werden können.
ZEIT ZUM LERNEN
Wir und unsere Patienten in fester Partnerschaft werden also lernen müssen, mit einem wenig fassbaren Risiko umzugehen. Geduld, Wahrhaftigkeit und Fingerspitzengefühl sind gefragt, um den schmalen Grat zwischen Entwarnung und Warnung verantwortungsvoll zu bewältigen.
Dr. Ramona Pauli-Volkert