ALEXANDER KREUTER1, NORBERT H. BROCKMEYER1, ULRIKE
WIELAND2, BOCHUM
Steigende Inzidenzen HPV-assoziierter analer Dysplasien und Analkarzinome bei HIV-infizierten Männern
Der Zusammenhang zwischen HPV-Infektion und der Entstehung von AIN (anale intraepitheliale Neoplasie) bzw. Analkarzinom ist gesichert. Flächendeckende standardisierte Screeningprogramme für HIV-Positive, besonders für Hochrisikogruppen, erscheinen aus mehreren Gründen sinnvoll. Zum einen steigt die Inzidenz HPV-assoziierter analer Dysplasien und Analkarzinome trotz Einführung der HAART stetig weiter. Zum anderen scheint das Analkarzinom ähnlich wie das Zervixkarzinom im Stadium der Vorläuferläsionen erfassbar und auch therapierbar zu sein.
Abb.: HPV-Virus
Humane Papillomviren (HPV) sind kleine, unbehüllte DNA-Viren, deren ringförmiges Genom ca. 8.000 Basenpaare umfasst. HPV infizieren mehrschichtige Plattenepithelien von Haut und Schleimhäuten. Infektionen mit HPV gehören zu den häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen des Menschen. Über 70% aller sexuell aktiven Menschen erwerben im Laufe Ihres Lebens eine Infektion mit HPV. Laut einer großen Untersuchung an immunkompetenten, amerikanischen Studentinnen wird HPV jedoch vom Immunsystem innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne (7 bis 10 Monate) wieder eliminiert.1 Für die Kontrolle von HPV-Infektionen ist das Zusammenspiel von angeborener und T-Zell Immunität entscheidend, wobei für die Eliminierung HPV-infizierter Zellen eine Th1-Antwort notwendig ist. Nur ein geringer Anteil in der Allgemeinbevölkerung hat persistierende HPV-Infektionen, von denen wiederum nur ein geringer Bruchteil HPV-assoziierte Tumorerkrankungen entwickelt. Es konnte gezeigt werden, dass Frauen mit HPV16-positivem Zervixkarzinom im Vergleich zu Gesunden beeinträchtigte CD4-T-Zell-Antworten gegen die HPV-(Onko-) proteine E2 und E6 aufweisen.
MEHR ALS 100 HPV-TYPEN
Bisher sind mehr als 100 verschiedene HPV-Typen komplett klassifiziert worden. Die Einteilung der einzelnen Typen erfolgt in die Genera alpha, beta, gamma, und mu/nu, wobei die alpha HPV-Typen überwiegend zu Infektionen der Genitoanalregion führen und entsprechend ihrem onkogenen Potential in Hochrisiko (High-risk) und Niedrigrisiko (Low-risk) HPV-Typen eingeteilt werden können.2 Condylomata acuminata, so genannte Feigwarzen, werden meist durch die Low-risk HPV-Typen 6 oder 11 verursacht, wohingegen High-risk HPV, insbesondere die Typen 16 und 18, mit der Entstehung von Zervixkarzinomen assoziiert sind. Bei einer chronischen Infektion mit High-risk-HPV kann es durch die Expression der viralen Onkogene E5, E6, und E7 zunächst zu Krebsvorstufen, den sogenannten cervikalen intraepithelialen Neoplasien (CIN), und schließlich zur Entstehung eines Zervixkarzinoms kommen. E6 und E7 von High-risk-HPV interagieren mit zellulären, an der Zellzykluskontrolle beteiligten Proteinen und inaktivieren Tumorsuppressor-Proteine. Dies führt zu gesteigerter Proliferation, verzögerter Differenzierung, genetischer Instabilität sowie zur Akkumulation onkogener Mutationen, so dass schließlich nach mehreren Jahren die Progression der Krebsvorstufen zu einem invasiven Karzinom erfolgen kann. In niedriggradigen Dysplasien liegt die virale DNA episomal (ringförmig extrachromosomal) vor. Die Integration der viralen DNA in das zelluläre Genom erleichtert die Progression zu hochgradigen Dysplasien und Karzinomen, da dies typischerweise zu einer verstärkten Expression der viralen Onkogene führt. Neben dem Zervixkarzinom gelten Analkarzinome sowie Untergruppen der Penis-, Vulva- und Oropharynx-Karzinome als High-risk-HPV bedingt.
PERSISTIERENDE INFEKTIONEN FÜHREN HÄUFIG ZU ANALEN DYSPLASIEN
Im Gegensatz zu Immunkompetenten sind bei HIV-infizierten regelmäßig persistierende HPV-Infektionen der Genitoanalregion nachweisbar und Infektionen mit multiplen HPV-Typen sind häufig. Aufgrund sexuellen Risikoverhaltens (in erster Linie ungeschützter rezeptiver Analverkehr) stellen HIV-infizierte Männer die Sex mit Männern haben (MSM) eine wichtige Risikogruppe für persistierende HPV-Infektionen dar. Große epidemiologische Untersuchungen zu analen HPV-Infektionen bei HIV-infizierten MSM wurden bereits vor mehr als 10 Jahren veröffentlicht. Dabei konnten in Patientenkollektiven aus San Francisco in über 90% der Fälle anale HPV-Infektionen nachgewiesen werden, wobei HPV16 am häufigsten gefunden wurde.3 Eigene, im Rahmen des deutschen Kompetenznetzwerkes HIV/AIDS erhobene Untersuchungen an mittlerweile mehr als 350 HIV-positiven MSM zeigen ähnliche Ergebnisse. Die in der Bochumer Kohorte longitudinal verfolgten Patienten haben fast alle persistierende anogenitale HPV-Infektionen. Dementsprechend waren anale Dysplasien, potentielle Vorläuferläsionen eines Analkarzinoms, häufig nachweisbar. So zeigte sich bei 60% aller untersuchten HIV-positiven MSM in Bochum anale Dysplasien unterschiedlichen Grades, wobei niedriggradige Dysplasien (AIN Grad 1) etwa genauso häufig gefunden wurden wie hochgradige Dysplasien (AIN Grad 2 und 3).4 In einer 2005 veröffentlichten Studie aus San Francisco, in der bei 52% aller untersuchten HIV-positiven MSM hochgradige anale Dysplasien gefunden wurden, hatte die Einnahme einer hochwirksamen antiretroviralen Therapie (HAART) keinerlei Einfluss auf diese analen Dysplasien.5
FRÜHERKENNUNG ANALER DYSPLASIEN
Aufgrund gemeinsamer biologischer Charakteristika von Anal- und Zervixkarzinom wurden von amerikanischen Arbeitsgruppen einfach durchzuführende und kostengünstige Vorsorgeuntersuchungen vorgeschlagen, die sich an denen der in der Gynäkologie seit den 70er Jahren etablierten Untersuchungen orientieren.6, 7 Hierbei werden Abstriche von der Oberfläche des Analkanals entnommen und zur zytologischen Aufarbeitung an einen Pathologen oder zytologisch arbeitenden Gynäkologen verschickt. Ziel dieses Vorsorgeprogramms ist die frühzeitige Erkennung und Therapie von Karzinomvorstufen bei Hochrisikopatienten und damit die Verhinderung von Analkarzinomen. Abbildung 1 zeigt einen von unserer Arbeitsgruppe kürzlich publizierten Algorithmus zur Vorsorge und Therapie analer Dysplasien.8 Nach Meinung der Autoren sollten alle HIV-infizierten Patienten auf das Vorhandensein analer Dysplasien untersucht werden. Bei normaler Zytologie können jährliche Verlaufskontrollen erfolgen. Patienten mit einer auffälligen Analzytologie sollten in einem auf anale Dysplasien spezialisierten Zentrum vorgestellt werden, um eine hochauflösende Anoskopien (HRA) durchführen zu lassen. Hierbei handelt es sich um eine Untersuchung der Perianalregion, des Analkanals, der Transformationszone (Linea dentata) und des distalen Rektums in bis zu 30-facher Vergrößerung, wobei ein konventionelles Kolposkop eingesetzt wird. Im Rahmen der HRA können dann dysplasie-suspekte Areale biopsiert bzw. therapiert werden.
Abb. 1: Algorithmus zur Diagnostik und Nachsorge der analen intraepithelialen Neoplasie bei HIV-Infektion*
Abb. 2: Fortgeschrittenes Analkanalkarzinom bei einem HIV-positiven Patienten im AIDS-Vollbild (Stadium
CDC/WHO C3).
Abb. 3: Komplette Abheilung zwei Monate nach kombinierter Radio-Chemotherapie. Im weiteren
Krankheitsverlauf entwickelte der Patient erneute multifokale Dysplasien im vorab bestrahlten Areal. Etwa
drei Jahre nach Erstdiagnose des Analkarzinoms entwickelte der Patient trotz mehrfacher Ablationen dieser
Dysplasien ein Rezidiv des Analkarzinoms. Dies führte letztendlich zur Durchführung einer
abdominoperinealen Rektumextirpation.
THERAPIE ANALER DYSPLASIEN
Mittlerweile gilt es als sicher, dass hochgradige Dysplasien der Analregion ein erhöhtes Risiko der Progression zu Analkarzinomen haben. Für niedriggradige Dysplasien (AIN Grad 1), die eher als das "gutartige Spektrum" dieser Krebsvorstufen angesehen werden, ist dies bisher nicht gesichert. Nach Meinung der Autoren sollten jedoch alle HPV-assoziierten Läsionen der Genitoanalregion behandelt werden. Bisher existieren noch keine verbindlichen Therapieleitlinien für anale Dysplasien bei HIV-Infektion. Generell können topische (z.B. hochprozentige Trichloressigsäure, Imiquimod, 5-Fluouracil) von ablativen Therapieverfahren (chirurgische Exzision, elektrokaustische Abtragung, Infrarotkoagulation) unterschieden werden.
Ein von unserer Arbeitsgruppe kürzlich durchgeführter Review der aktuell zugänglichen Literatur zeigte, dass die topische Behandlung mit dem Immunmodulator Imiquimod bezüglich der Langzeitremission nach Therapie bessere Resultate erbringt als konventionell durchgeführte ablative Therapien.8 In einer kürzlich veröffentlichten randomisierten plazebo-kontrollierten Studie zur Imiquimod-Therapie bei der vulvären intraepithelialen Neoplasie zeigte sich bei immunkompetenten Frauen mit kompletter Remission auch in hoher Prozentzahl eine zeitgleiche Eradikation der zugrunde liegenden HPV-Infektion.9 Diese Beobachtung konnte in unseren Untersuchungen zu Imiquimod bei analen Dysplasien nicht gemacht werden. Hier zeigte sich in fast allen Fällen eine Persistenz von HPV, jedoch bei deutlich niedrigeren Viruslasten als im Vergleich zum Behandlungsbeginn.10
ANALKARZINOM - EINTEILUNG UND THERAPIE
In der Normalbevölkerung ist das Analkarzinom ein seltener Tumor, der weniger als 2% aller gastrointestinalen Tumorerkrankungen ausmacht und Frauen etwas häufiger (2:1) als Männer betrifft. Die meisten Tumoren sind Plattenepithelkarzinome oder Adenokarzinome, selten sind Basalzellkarzinome oder maligne Melanome der Analregion. Analkarzinome werden in Analrandkarzinome und Analkanalkarzinome eingeteilt. Das Analrandkarzinom entsteht im Bereich der Perianalregion, wohingegen das Analkanalkarzinom in 75% der Fälle im Bereich der Linea dentata entsteht. Die genaue Einteilung ist wichtig, da Analrandkarzinome primär exzidiert und somit wie Hautkarzinome behandelt werden und Analkanalkarzinome ab dem Stadium T2 mittels kombinierter Radiochemotherapie behandelt werden (Abb. 2/3). In der Regel wird die kombinierte Radiochemotherapie mit Mitomycin C und 5-Fluouracil sowie einer Radiatio von bis zu maximal 50 Gray Gesamtdosis durchgeführt. Eine gleichzeitig prophylaktische Mitbehandlung von Lymphknoten ist nicht erforderlich. In einer aktuellen kontrollierten Studie zum Vergleich von Cisplatin versus Mitomycin C bei der Radiochemotherapie des Analkarzinoms zeigte sich unter Cisplatin keine Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens, so dass Mitomycin C und 5-Fluouracil immer noch als erste Wahl gelten.11 Generell wird immer ein kontinenzerhaltendes Therapieregime angestrebt. Eine abdominoperineale Rektumresektion erfolgt nur bei lokoregionärem Rezidiv, Strahlenfibrose oder Proktitis. Der Wert einer palliativen Chemotherapie bei fortgeschrittenen Krankheitsstadien mit Fernmetastasierung ist aufgrund der Seltenheit der Erkrankung unklar. Auch hier kommen häufig Mitomycin C und 5-Fluouracil zum Einsatz, Remissionen darunter sind jedoch selten und kurz.
Literatur
1 . Ho GY, Bierman R, Beardsley L, Chang CJ, Burk RD. Natural history of cervicovaginal papillomavirus infection in young women. N Engl J Med. 1998;338:423-428.
2. de Villiers EM, Fauquet C, Broker TR, Bernard HU, zur Hausen H. Classification of papillomaviruses. Virology. 2004;324:17-27.
3. Palefsky JM, Holly EA, Ralston ML, Jay N. Prevalence and risk factors for human papillomavirus infection of the anal canal in human immunodeficiency virus (HIV)-positive and HIV-negative homosexual men. J Infect Dis. 1998;177:361-367.
4. Kreuter A, Brockmeyer NH, Weissenborn SJ, Gambichler T, Stücker M, Altmeyer P, Pfister H, Wieland U. Penile Intraepithelial Neoplasia Is Frequent in HIV-Positive Men with Anal Dysplasia. J Invest Dermatol. 2008 Apr 3. [Epub ahead of print].
5. Palefsky JM, Holly EA, Ralston ML, Jay N, Berry JM, Darragh TM. High incidence of anal high-grade squamous intra-epithelial lesions among HIV-positive and HIV-negative homosexual and bisexual men. AIDS. 1998;12:495-503.
6. Goldie SJ, Kuntz KM, Weinstein MC, Freedberg KA, Welton ML, Palefsky JM. The clinical effectiveness and cost-effectiveness of screening for anal squamous intraepithelial lesions in homosexual and bisexual HIV-positive men. JAMA. 1999;281:1822-1829.
7. Palefsky JM. Anal squamous intraepithelial lesions in human immunodeficiency virus-positive men and women. Semin Oncol. 2000;27:471-479.
8. Kreuter A, Brockmeyer NH, Altmeyer P, Wieland U. Anal intraepithelial neoplasia in HIV infection. J Dtsch Dermatol Ges. 2008 Apr 12. [Epub ahead of print].
9. van Seters M, van Beurden M, ten Kate FJ, Beckmann I, Ewing PC, Eijkemans MJ, Kagie MJ, Meijer CJ, Aaronson NK, Kleinjan A, Heijmans-Antonissen C, Zijlstra FJ, Burger MP, Helmerhorst TJ. Treatment of vulvar intraepithelial neoplasia with topical imiquimod. N Engl J Med. 2008;358:1465-1473.
10. Kreuter A, Potthoff A, Brockmeyer NH, Gambichler T, Stücker M, Altmeyer P, Swoboda J, Pfister H, Wieland U. Imiquimod Leads to a Decrease of Human Papillomavirus DNA and to a Sustained Clearance of Anal Intraepithelial Neoplasia in HIV-Infected Men. J Invest Dermatol. 2008 Feb 14. [Epub ahead of print].
11. Ajani JA, Winter KA, Gunderson LL, Pedersen J, Benson AB 3rd, Thomas CR Jr, Mayer RJ, Haddock MG, Rich TA, Willett C. Fluorouracil, mitomycin, and radiotherapy vs fluorouracil, cisplatin, and radiotherapy for carcinoma of the anal canal: a randomized controlled trial. JAMA. 2008;299:1914-1921.