R. KAISER, M. OBERMEIER, A. THIELEN, H. WALTER IN KOOPERATION MIT HIV-GRADE e.V.
Empfehlung zur
Bestimmung des HIV-1-Korezeptor-Gebrauchs
Die neuen Medikamente aus der Gruppe der CCR5-Antagonisten haben ihre Wirksamkeit bei therapie-naiven und vorbehandelten Patienten gezeigt, bei denen keine CXCR4-tropen (X4-) Viren nachgewiesen wurden. Um den Einsatz von CCR5-Antagonisten im klinischen Alltag zu ermöglichen, sind Methoden zur Feststellung des HIV-1-Korezeptorgebrauchs unerlässlich, die ein schnelles und sicheres Screening für CXCR4-trope (X4-) Viren im Plasma der Betroffenen gewährleisten.
Bei der Intra- und Inter-Labor-Validierung durch zehn ausgewählte Laboratorien in Deutschland, koordiniert durch das Nationale Referenzzentrum für Retroviren, wurden simultan genotypische und phänotypische Analysen durchgeführt. Aufgrund dieser Vergleiche erachten wir die konventionelle HIV-Sequenzanalyse aus dem Plasma mit nachfolgender Interpretation als gleichwertig zu dem meist benutzten phänotypischen Assay Monogram Trofile.
Agreement Trofile vs. TRT | FNR |
85,1% | 28,0% |
Agreement TRT vs. Trofile | FNR |
85,1% | 12,5% |
Für andere phänotypische Teste wie EuroFins TRT und InPheno Teste konnte ebenfalls eine akzeptable Konkordanz gezeigt werden (Tab. 1). Für weitere alternative Testverfahren müssen die gleichen Validierungskriterien angelegt werden.
INTERPRETATION NOTWENDIG
Wie bei den Resistenzanalysen, bedürfen genotypische Analysen einer Interpretation, die die festgestellten Mutationen deutet. Mehrere solche Systeme zur Bestimmung des Korezeptortropismus aus Sequenzinformation sind frei über das Internet zugänglich:
Wetcat: http://genomiac2.ucsd.edu:8080/wetcat/tropism.html
WebPSSM: http://ubik.microbiol.washington.edu/computing/pssm/
geno2pheno [coreceptor]: http://coreceptor.bioinf.mpi-inf.mpg.de/index.php
Nach Erfahrung der zehn beteiligten Labore bietet das System geno2pheno durch seinen differenzierten Interpretationsansatz die verlässlichsten Resultate in Bezug auf den Ausschluss von X4-Varianten.
INDIVIDUALISIERTER CUTOFF
Methode | Übereinstimmung zu Trofile (%) |
Falsch negative Rate (FNR in %) * |
---|---|---|
G2P 20 % FPR | 76 | 23 |
G2P 15 % FPR | 77 | 30 |
G2P 10 % FPR | 80 | 34 |
G2P 5 % FPR | 83 | 40 |
G2P 2.5 % FPR | 81 | 54 |
G2P 1 % FPR | 75 | 74 |
WepPSSM | 84 | 45 |
WETCAT:C4.5 | 72 | 79 |
WETCAT: C4.5 p8 and p12 | 72 | 81 |
Wetcat: Part | 56 | 57 |
Wetcat: SVM | 76 | 50 |
Wetcat: Charge | 78 | 63 |
one of the algorithms X4 | 70 | 19 |
*named R5-tropic by g2p but X4-tropic by Trofile |
Nur so kann die Interpretation individuell auf die jeweilige Patientensituation angepasst werden. Für Patienten mit stark limitierten Therapieoptionen empfiehlt sich der Einsatz von CCR5-Antagonisten nur bei einer Vorhersage für einen CCR5-Gebrauch mit einer falsch positiven Rate (False Positive Rate, FPR) von über 10%. Dagegen sollte für Patienten mit vielen Therapieoptionen der stringentere Cutoff von 20% FPR gewählt werden.
Je höher die FPR gewählt wird, desto sicherer ist die Vorhersage für die exklusive Benutzung des CCR5-Korezeptors, d.h. umso wahrscheinlicher ist die Wirksamkeit des CCR5-Blockers (Tab. 2). Im Gegenzug wird einem größeren Anteil an Patienten die Gabe von CCR5-Antagonisten vorenthalten, die profitieren hätten können (höhere FNR). Für diese Abwägung zur individualisierten Therapieauswahl wird ein besonders intensiver Austausch zwischen Klinikern und Virologen dringend empfohlen.
Bei Patienten mit limitierten Therapieoptionen, bei denen es zu einer Diskrepanz zwischen den geno2pheno-Vorhersagen bei der Einstellung von 20% FPR und 10% FPR kommt, ist eine zusätzliche phänotypische Korezeptorbestimmung zu erwägen.
PHÄNOTYPISCHE ASSAYS AUCH WEITERHIN WICHTIG
Unabhängig davon, ist es notwendig, auch weiterhin phänotypische Analysen durchzuführen, um die genotypischen Interpretationssysteme kontinuierlich mit aktuellen phänotypischen und korrespondierenden genotypischen Daten trainieren zu können. Da jedes phänotypische Verfahren seine Limitationen hat, ist es erstrebenswert, Ergebnisse aus verschiedenen phänotypischen Methoden verwerten zu können.
NACHWEIS AUS PROVIRALER DNA
Mittlerweile ist auch der Nachweis des HIV-1-Korezeptor-Gebrauchs bei Patienten mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze möglich durch die Untersuchung von proviraler DNA. Diese Methode untersucht HIV, das nicht frei im Blut vorkommt, sondern in die menschlichen Zellen integriert ist. Auch hier wurden von mehreren Laboren international und in Deutschland Daten und Erfahrungen gesammelt. Es ist heute schon vertretbar, diese Analysen aus proviralen DNA-Sequenzen für die Therapieentscheidung zu verwenden.
Wegen der stabilen Therapiesituation mit zufrieden stellender Suppression der Virusreplikation sollte hierfür geno2pheno mit einer FPR-Einstellung von 20% verwendet werden, um das Risiko der Umstellung so gering wie möglich zu halten. Zusätzliche Sicherheit gibt in dieser Situation die Tatsache, dass in proviraler DNA geno- und phänotypisch mehr X4-trope Viren als in viraler RNA gefunden werden. Somit wird einem Patienten mit R5-tropem Virus eher CCR5-Blocker vorenthalten als einem Patienten mit X4-tropem Virus fälschlicherweise ein CCR5-Blocker verabreicht (siehe Beitrag M. Obermeier HIV&more).
STETIGE AKTUALISIERUNG
Das Wissen um die klinische Bedeutung der CXCR4-tropen Viren steigt derzeit stetig an. Daher werden diese Empfehlungen rasch aktualisiert und sind unter www.viro.med.uni-erlangen.de auf der Seite des NRZ für Retroviren (unter Service) und anderen Foren (www.genafor.org) in der jeweils aktuellen Version erhältlich.
Literatur beim Verfasser
Phänotyp und Sequenzanalyse bei der Bestimmung des Korezeptor-Tropismus
Das Funktionsprinzip des Trofile-Assays. Mittels PCR wird das Gen für das virale Hüllprotein aus dem Plasma amplifiziert und zusammen mit einer HIV-1-Labormutante als DNA in Zellen zur Expression gebracht. Der Mutante fehlt genau das vom Patientenvirus stammende Hüllprotein, stattdessen hat sie ein Indikatorgen (Luciferase). Die Zelle erstellt von der DNA der Mutante und des Hüllproteins des Patientenvirus infektiöse Partikel, die dann zur Infektion von T-Zellen genutzt werden, die entweder CCR5 oder CXCR4 besitzen. Das erfolgreiche Eindringen in die eine oder andere T-Zellart beweist den viralen Tropismus und wird direkt an der Menge des Indikators in den infizierten Zellen abgelesen.
In funktionellen oder phänotypischen Tropismus-Tests werden HIV-1-infizierbare Zellen mit Viren infiziert, die zuvor mit dem Hüllprotein gp120 des Patientenvirus versehen wurden (Abb.). Funktionelle Verfahren sind den genotypischen überlegen, da sie den Tropismus direkt nachweisen. Bei genotypischen Verfahren beruht das Ergebnis auf der Interpretation des Wissen über Mutationen, wobei bekannt sein muss, welche Relevanz die Mutationen haben. Bei der Testung der Wirksamkeit neuer Stoffklassen spielen daher funktionelle Verfahren eine entscheidende Rolle, denn es gibt noch kein Wissen zu den möglichen Mutationen. Ein weiterer Vorteil der funktionellen Tests ist die im Vergleich zur Sequenzanalyse höhere Nachweisempfindlichkeit für CXCR4-trope Viren (bisher ca. 25% vs. 5%). In vivo kommen CXCR4-trope Viren auch in Mischung mit CCR5-tropen Viren vor, und es hat sich in den klinischen Studien gezeigt, dass auch ein Anteil von weniger als 5% prädiktiv für ein Therapieversagen unter CCR5-Antagonisten ist. Darum war die Entwicklung eines funktionellen Tropismus-Tests mit einer verbesserten Empfindlichkeit von <1% für CXCR4-trope Viren unerlässlich, z.B. der neue Trofile-Test ES-Trofile. Diese notwendige Erhöhung der Empfindlichkeit geht aber mit einer verringerten Testspezifität einher, d.h. die Wahrscheinlichkeit eines falsch positiven Nachweises eines CXCR4-Tropismus ist höher als vorher. Aus diesem Grund stellt der Nachweis von CXCR4- tropem Virus im ES-Trofile-Test kein 100%iges Kriterium für eine versagende Therapie mehr dar. Wie beim Genotyp ist auch beim neuen Trofile-Test eine Interpretation notwendig. Diese gibt es derzeit aber - wohl auf Grund der mangelnden Erfahrung mit dem neuen Test - nicht und es ist auch unklar, ob es je eine geben wird.
Dagegen liegen für die genotypische Korezeptortropismus-Bestimmung mittlerweile umfangreiche Erfahrungen mit der Interpretation vor. Die mangelnde Nachweiskraft an einzelnen Positionen lässt sich teilweise durch größere Sequenzinformationen kompensieren und die Vorhersagekraft der funktionellen und genotypischen Tests in der klinischen Anwendung ist absolut vergleichbar. Angesichts der geringeren Kosten und des wesentlich geringeren Zeitaufwands ist die Sequenzanalyse deutlich praktikabler und wird daher in Deutschland vom NRZ für Retroviren empfohlen.
Grundlagen Tropismus
Im ersten Kontakt zwischen HIV und CD4-Zelle heftet sich das Virus an den CD4-Rezeptor auf der Oberfläche der Zelle. Durch die Bindung an den CD4-Rezeptor ändert sich die Struktur des viralen Hüllproteins gp120 und erhöht so die Effizienz des Viruseintritts.
Je nach Beschaffenheit des viralen Hüllproteins kann das Virus nach der Bindung an den CD4-Rezeptor die zellulären Chemokin-Rezeptoren CCR5 (CCR5-Tropismus) oder CXCR4 (X4-Tropismus) oder auch beide (dualer Tropismus) als Korezeptoren nutzen. Entscheidend für diesen Zell-Tropismus sind Struktur und Ladung im V3-Loop des viralen gp120-Proteins, aber auch andere Anteile des Hüllproteins, allen voran der angrenzende V2-Loop, nehmen Einfluss. Nach der Bindung an den Korezeptor ändert sich die Struktur des gp120-Proteins. Dadurch wird die letzte Stufe des Viruseintritts eingeleitet, in der das zweite virale Hüllprotein gp41 einen Anker in die Membran der Wirtszelle schießt und Virus und Zelle so nahe aneinander zieht, dass ihre Membranen verschmelzen.