XVII INTERNATIONAL AIDS CONFERENCE, MEXICO CITY 3.-8. AUGUST 2008
Antiretrovirale Substanzen und Strategien
Zu Abacavir wurden im Hinblick auf die virologische Wirksamkeit und den kardiovaskulären Effekt widersprüchliche Studienergebnisse vorgestellt. Efavirenz war bei Patienten mit fortgeschrittenem Immundefekt besser als Lopinavir/r und Raltegravir zeigte auch bei therapienaiven Patienten eine anhaltend gute Wirkung.
In der laufenden Studie ACTG5202 werden derzeit die beiden Backbones Abacavir/Lamivudin und Tenofovir/Emtricitabin in Kombination mit Efavirenz oder Atazanavir/r bei therapienaiven Patienten (n=1.858) direkt miteinander verglichen. Der NRTI-Arm bei den hochvirämischen Patienten wurde im Januar dieses Jahres entblindet, da Abacavir/Lamivudin in dieser Gruppe weniger wirksam war als Tenofovir/Emtricitabin.
Nun wurden die 48-Wochen-Daten von 797 Teilnehmern mit einer Ausgangsviruslast >100.000 Kopien/ml vorgestellt. 85% der Teilnehmer waren Männer, 47% Weiße, 26% Afroamerikaner und 25% Latinos. Die Viruslast zu Baseline in dieser Gruppe lag bei 5,1 log Kopien/ml, die CD4-Zahl bei 181/µl. 10% in beiden Armen brachen die Therapie vorzeitig ab.
VERSAGEN UNTER ABACAVIR
Tab. 1: Virologisches Versagen unter Abacavir/Lamivudin vs. Tenofovir/Emtricitabin
Unter Abacavir/Lamivudin kam es im Vergleich zu Tenofovir/Emtricitabin insgesamt doppelt so häufig zum virologischen Versagen (p=0.0003). Die Rate des Versagens unter Abacavir/Lamivudin war höher im Hinblick auf den Zeitpunkt (vor und nach 24 Wochen Therapie), auf primäres Versagen (Nicht-Erreichen einer Viruslast unter der Nachweisgrenze) und sekundäres Versagen (virologischer Rebound nach kompletter Suppression) (Tab. 1). Zudem wurden unter Abacavir/Lamivudin signifikant mehr gravierende Nebenwirkungen (Grad 3 oder 4) beobachtet als unter Tenofovir/Emtricitabin (33% vs. 19%). Dabei handelte es sich in erster Linie um erhöhte Blutfette (10% vs 3%) und allgemeine Körperschmerzen (14% vs. 10%). Myokardinfarkte wurden nicht beobachtet (THAB0303, Sax P et al.).
WIRKSAMKEIT IN GSK-ANALYSE
Dagegen zeigte die Auswertung der 48-Wochen-Daten von fünf klinischen GSK-Studien (KLEAN, SHARE, CNA30021, CNA30024 und ESS30009) nach den ACTG-Kriterien eine gute virologische Wirksamkeit von Abacavir/Lamivudin auch bei hochvirämischen Patienten. In der sechsten klinischen Studie, der HEAT-Studie, deren 96-Wochen-Daten gesondert präsentiert wurde, war die virologische Wirksamkeit der beiden Backbones ebenfalls unabhängig von der Viruslast vergleichbar. Auch bei der Verträglichkeit zeigten sich keine Unterschiede (THAB 0304, Pappa et al., LBPE1138 Smith KY et al.).
MEHR KARDIOVASKULÄRE EREIGNISSE
Zum Infarktrisiko unter Abacavir wurden ebenfalls kontroverse Daten präsentiert. In der SMART-Studie war Abacavir (ähnlich wie in der DAD-Analyse) mit einem erhöhten koronaren Risiko assoziiert. In SMART wurden bei den über 5.000 Teilnehmern 19 Herzinfarkte, 70 kardiovaskuläre Ereignisse und 112 kardiovaskuläre Ereignisse plus Herzinsuffizienz, AVK, therapiebedürftige KHK und unbeobachtete Todesfälle beschrieben. Das Risiko für diese Ereignisse war bei den Patienten, die von Beginn an eine kontinuierliche Therapie mit Abacavir erhalten hatten, 4mal, 1,8 mal und 1,9 mal so hoch wie in der Vergleichsgruppe. In der Abacavir-Gruppe waren zudem das hochsensitive C-reaktive Protein und Interleukin-6 um 27% bzw. 16% signifikant höher als unter den anderen NRTI (n=500).
Abb. 1: SMART: Kardiovaskuläres Risiko unter ABC vs "andere NRTI"
Die SMART-Patienten hatten insgesamt ein mittleres kardiovaskuläres Risiko. Drei Viertel waren Männer, das Alter betrug 44 Jahre, 40% rauchten, 20% nahmen Antihypertensiva oder Lipidsenker ein und 7% hatten einen Diabetes mellitus. 15% hatten fünf oder mehr Risikofaktoren. Das Fazit von Jens Lundgren, Kopenhagen: "Das erhöhte Risiko scheint nur bei Patienten mit ohnehin erhöhtem kardiovaskulären Risiko klinisch relevant zu sein." (Abb. 1) (THAB0305, Lundgren J et al.).
GSK-STUDIEN ZEIGEN KEIN ERHÖHTES RISIKO
In einer Auswertung der gepoolten Daten von 54 GSK-gesponsorten Studien der Phasen II bis IV wurde dagegen kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko unter Abacavir beobachtet. 9.639 Patienten hatten Abacavir (7.845 Personenjahre) und 5.044 Regime ohne Abacavir (4.653 Personenjahre) eingenommen. Die Beobachtungsdauer unter Abacavir betrug 24 bis 96 Wochen. Die Studienteilnehmer waren meist Männer (80%), das Alter betrug 38 Jahre, die mittlere CD4-Zahl lag bei 300/µl und etwa zwei Drittel waren therapienaiv. Die kardiovaskulären Risikofaktoren, z.B. Rauchen, Hypertonie usw., wurden in diesen Studien nicht vollständig erfasst. Inflammatorische Marker (u.a. hsCRP und IL-6) wurden nur in der aktuellen HEAT-Studie gemessen. Das Risiko für koronare Ereignisse unter Abacavir war in dieser Analyse nicht erhöht ebenso wenig die inflammatorischen Marker in der HEAT-Studie (WEAB0106, Cutrell et al.).
EFV vs. LPV/r
In einer mexikanischen Studie wurden 198 therapienaive Patienten mit fortgeschrittenem Immundefekt (CD4 zu Baseline ca. 60/µl, 50% der Patienten <50/µl) mit Efavirenz oder Lopinavir/r (Weichkapseln) jeweils in Kombination mit Zidovudin/Lamivudin behandelt. Nach 48 Wochen hatten in der ITT-Analyse 70% der Patienten im Efavirenz-Arm und 53% im Lopinavir/r-Arm eine Viruslast <50 Kopien/ml (p=0.0141). Der immunologische Effekt war vergleichbar. Die CD4-Zahl unter Efavirenz stieg um 156/µl, unter Lopinavir/r um 170/µl. In der Lopinavir/r-Gruppe brachen mehr Patienten die Therapie ab als in der Efavirenz-Gruppe (34% vs. 27%), meist wegen virologischem Versagen oder Unverträglichkeit (22,3% vs. 17,8%). Die Blutfette waren unter dem geboosterten Proteasehemmer ebenfalls höher als unter Efavirenz. Die Studie war von nationalen Fonds unterstützt worden (TUAB0104, Sierra Madero J et al.).
RAL: ANHALTEND ERFOLGREICH
Abb. 2: Protocol 004 - Raltegravir vs. Efavirenz - 96 Wochen. Prozent Patienten mit HIV-RNA <50 Kopien/ml [Non-Completer=Failure]
In der Studie 004 wurden 198 therapienaive Patienten entweder mit Raltegravir oder Efavirenz jeweils in Kombination mit Tenofovir/Lamivudin behandelt. In den ersten 48 Wochen erhielten 160 Patienten Raltegravir 100, 200, 400 oder 600 mg BID. Danach wurden alle Raltegravir-Patienten auf die Dosis 400 mg BID umgestellt. Nach 96 Wochen hatten (ähnlich wie nach 48 Wochen) unter Raltegravir bzw. Efavirenz in der ITT-Analyse 83% bzw. 84% und in der AT-Analyse 92% bzw. 91% der Patienten eine Viruslast <50 Kopien/ml (Abb. 2).
Die CD4-Zellzahl war im Schnitt um 221/µl bzw. 232/µl gestiegen. Die Verträglichkeit war sehr gut. Lediglich bei 10 Patienten eine CK-Erhöhung >10xULN beobachtet. Die Blutfette unter Raltegravir waren unverändert. Neue Raltegravir-assoziierte Mutationen wurden nicht beschrieben (TUAB0102, Markowitz M et al.).
NEUE SUBSTANZEN
In einer Phase 2-Studie war der neue NNRTI Rilpivirin (TMC-278) bei therapie-naiven Patienten (n=368) in Kombination mit zwei NRTI vergleichbar gut wirksam wie Efavirenz. Die neue Substanz wird einmal täglich gegeben und scheint besser verträglich zu sein als Efavirenz im Hinblick auf ZNS-Nebenwirkungen, Exanthem, Schlafstörungen und Lipidveränderungen. Die Dosierung 25 mg wird derzeit in Phase 3-Studien geprüft (TUAB0103, Santoscoy M et al.). Der neue NNRTI IDX899 führte in einer ersten Untersuchung nach 7 Tagen Monotherapie zu einer Reduktion der Viruslast um 1,81 log10 bei guter Verträglichkeit (THAB0402, Zala C et al.). RPV
KOREZEPTOR-POLYMORPHISMUS BEI EUROPÄISCHEN MUMIEN
Photo:Sonnenberg-Schwan
Die D32-Deletion am CCR5-Rezeptor ist der wichtigste genetische Schutzfaktor gegen HIV. Menschen mit einer homozygoten CCR5D32-Deletion sind vor einer HIV-Infektion geschützt, Menschen mit einer heterozygoten Mutation haben einen günstigeren Krankheitsverlauf. Die Mutation kommt in erster Linie bei Europäern vor mit absteigender Prävalenz von Nord nach Süd. Wie lange es diese Mutation hierzulande gibt, ist unbekannt. Nach den Ergebnissen ungarischer Forscher jedenfalls schon sehr lange. Die Wissenschaftler untersuchten 256 Mumien aus den Jahren 1731 bis 1838, die 1994 in der Krypta einer Kirche im ungarischen Vac entdeckt wurden. Dabei mussten sie viele technische Herausforderungen meistern. Die DNA musste mit 13 verschiedenen Methoden aus dem Gewebe isoliert werden und für die Analyse der CCR5-Rezeptoren mussten spezielle Primer hergestellt werden, da die gewonnene DNA für die kommerziellen Kits zu kurz war. Der Aufwand hat sich jedoch gelohnt. Mehrere Mumien hatten eine heterozygote CCR5D32-Mutation, die älteste davon war eine im Jahr 1766 verstorbene Frau (WEPE0008Nagy K et al.).