Free Billy Boy!

"Wollen Sie auch noch eine Tüte?", fragt die Verkäuferin an der Kasse des Supermarkts die recht betagte Kundin, nachdem sie deren gesamten Einkauf auf dem Laufband eingescannt hatte. Die antwortet: "Nein danke, junge Frau, wenn ich jetzt auch noch kiffe, kriege ich meinen schweren Einkauf nicht mehr selbst nach Hause getragen!"

Kondome

An diesen uralten Witz musste ich auf der WeltAIDS-Konferenz in Mexiko im August 2008 denken. Dort berichteten Studien, dass die Akzeptanz von Kondomen steigen würde, wenn deren Preis so niedrig und die Verfügbarkeit so gut wäre, wie die von Supermarkttüten. Natürlich wurde in der Diskussion wortreich darauf hingewiesen, dass neben der Verfügbarkeit der Latextüte das Schaffen von Bewusstsein und die Beratung für die bestimmungsgemäße Anwendung mindestens ebenso wichtig sei (Was uns wieder zum oben bereits erwähnten Dialog im Supermarkt zurückführt). Immerhin aber blieb bei mir die Schlüsselbotschaft der Studie haften: Die Investition in frei verfügbare Kondome wäre hochgradig kosteneffektiv.

Wäre …!

Seither nehme ich meine Umwelt mit anderen Augen wahr. Überall werde ich dazu aufgefordert kostenlos Tüten anzunehmen, um mit deren Benutzung dem Gemeinwohl zu dienen. In der Toilette des Hotels in Mexico wurde mir ein beträchtlicher kostenloser Vorrat von mehrsprachig beschrifteten "Sanitary bag - Hygienebeutel - Sac pour Bandes hygiéniques - Molimo Dame" zur Benutzung anempfohlen. Als Mann sind diese kaum nutzbringend zu verwenden. Aber nach meinen durch die Kondomstudie geschärften Bewusstsein konnte ich immerhin nachrechnen, dass dieser Vorrat sogar bei Doppelbelegung des Zimmers mit zwei Frauen selbst unter ungünstigsten Umständen für etliche Wochen reichen müsste - selbst dann, wenn der täglich mehrfach stattfindende Zimmerservice komplett ausfallen würde.

Auf dem Rückflug fand ich in der Tasche an der Rückenlehne des Vordersitzes außer dem Lageplan der Notausgänge eine neutral beschriftete, sicher zwei Liter Volumen fassende Tüte aus wachsbeschichtetem, reißfesten Papier. Deren Sinn: Es wird - anders als beim Kondom ganz ohne weitere Belehrungen oder Gebrauchsanweisungen - stillschweigend davon ausgegangen, dass ich im Falle von "Reisekrankheit" diskret in diese Tüte erbreche statt auf den Schoß meines Sitznachbarn.

Nach meiner Rückkehr - beim ersten Gassi gehen mit meinem Hund - fand ich im Stadtpark einen Spender mit "Doggy Station®" blickdichten Hundekotbeuteln. Auch hier keine weiteren Erklärungen, aber der vieldeutige Hinweis: "Ihre Umwelt dankt es Ihnen".

Nicht zu vergessen die Unmengen von "gelben Säcken", die wir deutschlandweit kostenlos erhalten und - im Missachtungsfall bußgeldbewehrt! - mit gesondert vom Hausmüll zu sammelnden Leichtverpackungen füllen müssen, damit diese dann gemeinsam mit dem Hausmüll als so genannter Wertstoff einer thermischen Verwertung zugeführt - vulgo: verbrannt - werden.

Ich habe inzwischen recherchiert: Es gibt keine wissenschaftlichen Studien zum Nachweis einer Kosteneffektivität von Gelbem Sack, Hygienebeutel, Kotztasche oder Hundekacktüten, die man alle gratis bekommt. Warum also gibt es ausgerechnet das Kondom - die offensichtlich einzige Tüte mit bewiesenem volkswirtschaftlichem Nutzen - nicht umsonst? Als "Endverbraucher" könnte man da konsequenterweise auf eines von beiden verzichten: Entweder auf die wissenschaftlichen Studien oder auf die Politiker, die deren Ergebnisse nicht umsetzen.

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