Deutsche AIDS-Hilfe
Kriminalisierung einer Popsängerin
Auf allen Ebenen höchst bedenklich
Der „Fall” an sich
Ein Mann behauptet, seine Ex-Freundin sei
HIV-positiv und habe ihn vor Jahren wissentlich infiziert. Statt einer in einem
solchen Fall üblichen Vorladung und Vernehmung wird die Frau von ihrem
Arbeitsplatz in Handschellen abgeführt,
weil sie zu Hause nicht anzutreffen gewesen sei. Im konkreten Fall besteht
weder Gefahr auf Flucht oder Verdunklung, da es sich um eine allein erziehende
Mutter mit festem Wohnsitz handelt. Allein die „Wiederholungsgefahr“ wird als
Grund angeführt, um das überfallsartige Vorgehen der Staatsanwaltschaft zu
rechtfertigen und die Frau für zehn Tage in
Untersuchungshaft zu
nehmen.
So weit, so unverhältnismäßig wie erschreckend. Aber es kommt noch schlimmer: Erstens ist der Arbeitsplatz der Frau ein gut besuchter Club für Konzerte. Zweitens ist sie prominent. Die Staatsanwaltschaft nimmt dies zum Anlass, sie als „Person von öffentlichem Interesse“ zu betrachten und Details des laufenden Ermittlungsverfahrens öffentlich zu verkünden, die dann in vielen Medien unter voller Namensnennung breitgetreten werden.
Zehn Gründe gegen die Kriminalisierung der HIV-Übertragung
Aus dem internationalen Positionspapier des Open Society
Institutes
(www.aidshilfe.de/media/de/10_Gruende_gegen_Kriminalisierung.pdf)
- Die Kriminalisierung der HIV-Übertragung ist nur dann gerechtfertigt, wenn HIV absichtlich oder böswillig übertragen wird, um anderen zu schaden. Für solche Einzelfälle können und sollten bestehende strafrechtliche Bestimmungen angewendet werden, statt neue HIV-spezifische Gesetze zu verabschieden.
- Die Anwendung des Strafrechts auf die potenzielle Übertragung dämmt die HIV-Ausbreitung nicht ein.
- Die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung untergräbt die HIV-Prävention.
- Die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung führt zu Angst und Stigmatisierung.
- Statt Frauen Gerechtigkeit zu verschaffen, bringt die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung sie in Gefahr und führt zu noch stärkerer Unterdrückung.
- Gesetze zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung sind zu weit gefasst und bestrafen oftmals Verhalten, das nicht schuldhaft ist.
- Gesetze zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung werden oft ungerecht, selektiv und ineffektiv angewendet.
- Gesetze zur Kriminalisierung der (potenziellen oder tatsächlichen) HIV-Übertragung ignorieren die tatsächlichen Herausforderungen für die Prävention.
- Anstatt Gesetze zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung einzuführen, sollten Bestimmungen, die der HIV-Prävention und -Behandlung im Weg stehen, reformiert werden.
- Am effektivsten sind Maßnahmen, die auf den Menschenrechten basieren.
Vorverurteilung
Da die Staatsanwaltschaft rechtsstaatliche Errungenschaften wie Unschuldsvermutung und Geheimhaltung laufender Ermittlungen offensichtlich missachtet hat, ´überführen´ viele Medien die somit Vorverurteilte mit ihren Mitteln. Aidshilfen und Presse- und Medienrechtler kritisieren diese Missachtung der Persönlichkeitsrechte, die auch bei Personen öffentlichen Interesses im ausgewogenen Verhältnis zur Pressefreiheit stehen müssen. In den Worten der AIDS-Hilfe Frankfurt: „In eklatanter Weise wurde damit der Schutz der menschlichen Würde einem nachgeordneten Rechtsgut geopfert.“
Strafrecht und Prävention
„Die Erfahrung anderer Länder, die stärker als Deutschland auf
strafrechtliche Abschreckung setzen, zeigt, dass das Strafrecht sich nicht als
Mittel der Prävention eignet. Zudem steht die verfassungsrechtliche Legitimation
einer Strafverfolgung in hohem Maße in Frage“. Für die Deutsche AIDS-Hilfe
(DAH) ist die Justiz keine Akteurin der HIV-Prävention in Deutschland und darf
es auch nicht sein. In ihrer Pressemitteilung vom 14. April 2009 zum aktuellen
Fall heißt es weiter: „Die deutsche Politik der HIV- und Aidsbekämpfung wird
aber gerade deshalb als beispielhaft betrachtet, weil sie von der Verantwortung
jedes einzelnen, von der Solidarität und der Bekämpfung jeder Art von
Stigmatisierung ausgeht. (...) Seit den 1990er Jahren haben die Verurteilungen
im Zusammenhang mit HIV-Übertragungen zugenommen. Das ist nicht ohne
Auswirkungen auf die Präventionsarbeit im HIV/Aids-
Bereich geblieben. Die öffentlichkeitswirksame
Bestrafung von Menschen mit HIV/Aids kann aber leicht die Illusion entstehen
lassen, der Staat habe das Problem unter Kontrolle, und so Personen dazu
veranlassen, ihr Schutzverhalten (Safer Sex) zu vernachlässigen. Die DAH geht
weiterhin von gemeinsamer Verantwortung aller Beteiligten in einvernehmlichen sexuellen
Kontakten aus. Das war und bleibt die Basis unserer Arbeit.“
Aus diesem Grund hat sich die DAH auch dem internationalen Positionspapier des Open Society Institutes „Zehn Gründe gegen die Kriminalisierung der HIV-Übertragung“ (s. Kasten) angeschlossen. Das von der DAH ins Deutsche übersetzte Papier gibt wichtige Argumentationshilfen gegen eine Kriminalisierung der HIV-Übertragung. Dabei steht für die Deutsche AIDS-Hilfe nicht in Frage, dass bei absichtlicher Infizierung eines Sexualpartners das Strafrecht zur Anwendung kommen sollte. Auch darauf wird in dem Papier hingewiesen.
Konkrete Auswirkungen
Durch den Fall gingen bei Aidshilfen nicht nur mehr Anfragen ein, sondern auch üble Beschimpfungen „der Positiven“ und der („verantwortungslosen“) Haltung von Aidshilfe.
Die Kriminalisierung von HIV-Übertragungen und das stigmatisierende Klima führen sicherlich bei einigen dazu, sich trotz Risikoverhaltens nicht testen zu lassen beziehungsweise ihre Infektion zu verheimlichen. Hierzu die AIDS-Hilfe Frankfurt: „Damit werden unsere Präventionsaussagen konterkariert. Seit langem vertreten wir die Ansicht, dass nur der verantwortungsvoll mit einer Infektion umgehen kann, der früh um sie weiß und haben deshalb in den letzten Jahren dazu aufgerufen, sich bei einem begründeten Verdacht auf eine Infizierung testen zu lassen. Es ist absehbar, dass sich als Folge der Affäre um die verhaftete Sängerin die Einstellung breit macht, es sei besser, sich nicht testen zu lassen, nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß und unangreifbar für strafrechtliche Verfolgung.“
Literatur
Pressemitteilung der Deutschen AIDS-Hilfe „DAH kritisiert Verhaftung von Sängerin“ vom 14.04.09: www.aidshilfe.de (Aktuell/Presse)
Stellungnahme der AIDS-Hilfe Frankfurt „Vorgehen der Justiz im Fall Nadja B. schadet der AIDS-Prävention“: www.frankfurt-aidshilfe.de/geschaeftsstelle/news/298
Positiv schwanger
Arbeitshilfe für Beratungsstellen und Arztpraxen
Mit der Arbeitshilfe will die DAH die Beratung HIV-positiver Schwangerer in Arztpraxen, Aidshilfen und anderen Beratungsstellen unterstützen. „Positiv schwanger“ verbleibt in der Beratungsstelle, um die Kommunikation zwischen Beraterin und Klientin – oftmals Migrantinnen – zu verbessern. Pro Arztpraxis reicht also eine Broschüre aus, pro Aidshilfe (je nach Größe) reichen wenige Exemplare.
Die bereits dritte aktualisierte Auflage erscheint in vier Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch.
Die Texte der Mappe erläutern sehr gut verständlich, was während und nach einer Schwangerschaft zu beachten ist, damit Mutter und Kind gesund bleiben und sich das Kind nicht mit HIV infiziert. In der letzten Umschlagseite liegt ein Kalender, der der Schwangeren mitgegeben und separat nachbestellt werden kann.
Natürliche Geburt
Neu ist die Thematisierung der Möglichkeiten der natürlichen Geburt statt eines Kaiserschnitts zur Vermeidung einer HIV-Übertragung auf das Kind. Eine natürliche Geburt ohne Risiken ist bei nicht nachweisbarer Viruslast in den letzten Schwangerschaftswochen möglich. Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass eine natürliche Geburt für HIV-Positive leider nur in wenigen Kliniken möglich ist.
DINA4 quer
DAH-Bestellnummer: 026007
DAH-Forum Band 54
Gabriele Arendt (Hg.): Neurologische Komplikationen bei Menschen mit HIV und Aids
Dieser Band bietet einen guten Überblick über die bei einer HIV-Infektion möglichen neurologischen Erkrankungen sowie entsprechende Erfordernisse in den Feldern Medizin, psychosoziale Begleitung und Pflege. Zu Wort kommen aber auch die Betroffenen selbst, die Experten in eigener Sache: Wichtig ist, dass Mediziner/innen und Betreuer/innen nicht nur über die Patientinnen und Patienten sprechen, sondern im Rahmen eines partnerschaftlichen Verhältnisses mit ihnen reden. Zugleich soll deutlich werden: Neurologische Erkrankungen können, müssen aber nicht auftreten, und nicht jede mentale oder körperliche Beeinträchtigung ist dem Virus oder antiretroviralen Medikamenten geschuldet. Trotzdem ist es sinnvoll, Menschen mit HIV entsprechend zu informieren und ihnen die Möglichkeit einer Betreuung durch HIV-erfahrene Fachärzte anzubieten. Wichtig ist in jedem Fall, mentale und körperliche Veränderungen möglichst früh zu erkennen, um gezielt medizinisch intervenieren zu können. Bei bleibenden Beeinträchtigungen gilt es, gemeinsam mit den Betroffenen Strategien zu finden, die ihnen bei der Bewältigung des Alltags helfen, und angemessene Unterstützungsangebote für ein möglichst selbstständiges Leben bereitzuhalten.
Berlin: Deutsche AIDS-Hilfe 2009 DIN A5, 216 Seiten · Bestellnr.: 030054