Ramona Pauli, München
EACS-Leitlinien
Die neuen Leitlinien sind – wie auch im letzten Jahr – als kleine handliche Broschüre erhältlich. Die Erweiterung macht sich bereits beim Anfassen bemerkbar. Das Heftchen ist von 54 Seiten auf 80 Seiten angeschwollen. Erweitert wurden insbesondere die Empfehlungen zur Prävention und Therapie von nicht-infektiösen Begleiterkrankungen. Im Folgenden geht es um den ersten Teil der Leitlinien, um die Empfehlungen zum klinischen Management von HIV-infizierten Erwachsenen in Europa. Die Kästen sind Übersetzungen des englischen Orginals. Der Fließtext enthält eine Zusammenfassung und Kommentare der Autorin.
Die Leitlinien beginnen wie bisher mit allgemeinen Empfehlungen zur Evaluation beim neuen Patienten sowie zu den Routineuntersuchungen bei den späteren Visiten. Es folgt der Abschnitt zur „Beurteilung und Unterstützung der Bereitschaft des Patienten eine ART zu beginnen. Dabei gilt es Barrieren zu identifizieren, d.h. man sollte nicht nur die persönliche Einstellung des Patienten erfragen, sondern auch Depressionen, Alkoholabusus, kognitive Einschränkungen und eine „low health literacy“ (geringes Gesundheitswissen) sowie Systemimmanente Probleme wie Versicherung und Disclosure berücksichtigen. Bei der Primären HIV-Infektion hat sich ebenfalls wenig geändert. Entfallen ist hier allerdings die Empfehlung von 2008, man solle möglichst im Rahmen von klinischen Studien behandeln.
Empfehlungen zum Therapiestart
Hier gibt es nur wenige, aber wichtige
Änderungen. Die EACS folgt weiter dem Trend zum früheren Therapiebeginn. Neu
ist lediglich die Therapieempfehlung bei 350-500 CD4/µl, wenn eine Hepatitis
C-Koinfektion oder Hepatitis B-Koinfektion mit Indikation zur Hepatitis
B-Behandlung vorliegt (Tab. 1).
Tab. 1: Empfehlungen für den Therapiebeginn bei
therapienaiven HIV-Patienten
Firstline-Therapie
Die aktuellen Empfehlungen zu den initalen Regimen sind mehr Evidenz-basiert als die vorigen. Ob sich hier die konservativen Kräfte durchgesetzt haben oder einfach zahlreiche solide Studien veröffentlicht wurden, die bei der letzten Auflage noch nicht vorlagen, sei dahingestellt.
Bei den NNRTI hat sich nichts geändert. Bei den NRTI gibt es eine neue Reihenfolge. Tenofovir/Emtricitabin findet man jetzt auf Platz 1, Abacavir/Lamivudin steht auf Platz 2. Viel Bewegung ist bei den Proteasehemmern zu verzeichnen. Darunavir/r ist in die Firstline aufgestiegen, während Fosamprenavir/r neuerdings als Alternative bezeichnet wird. Bei den Dosierungen der Proteasehemmer hält sich die EACS im Gegensatz zu 2008 diesmal genauer an die Zulassung. Neu im Kreis der empfohlenen Substanzen ist Raltegravir als Alternative in Kombination mit Tenofovir/Emtricitabin. Maraviroc dagegen hat den Sprung in die Firstline immer noch nicht geschafft (Tab. 2).
Tab. 1: Empfehlungen für den Therapiebeginn bei
therapienaiven HIV-Patienten
HAART in der Schwangerschaft
Neuerungen in diesem Kapitel sind, dass von TDF und ABC als neue Medikamente in der Therapie nicht mehr abgeraten wird und dass ATV/r neu in die Riege der empfohlenen PI aufgenommen wurde. Bei der Sectio war 2008 noch klar, dass keine Indikation bei einer VL <50 Kopien/ml besteht, 2009 wurde der Benefit der Sectio bei diesem Grenzwert lediglich angezweifelt (Tab. 3).
Tab. 3: Therapie in der Schwangerschaft – Bei Schwangeren
sollten Kontrollen monatlich sowie möglichst nahe am Entbindungstermin durchgeführt
werden
Post-Expositionsprophylaxe
Tab. 4: Indikation zur HAART in Abhängigkeit von der CD4-Zahl bei TB/HIV-Koinfektion
Auch in diesem Jahr findet das Schweizer Papier keinen Niederschlag in den Leitlinien zur PEP, was angesichts der internationalen Ablehnung der These der „Nicht-Infektiosität“ bei Viruslast unter der Nachweisgrenze und anderen Bedingungen nur konsequent ist. Als empfohlenes Regime wird TDF/FTC (alternativ (ZDV/3TC) plus LPV/r genannt. SQV/r ist entfallen. Bei nachgewiesenen Resistenzen sollte das Regime entsprechend angepasst werden.
HAART bei TB/HIV-Koinfektion
Neu in den Leitlinien sind die Empfehlungen zur HAART bei Patienten mit Tuberkulose. Hier findet man neben der Indikation zur ART auch umfangreiche Hinweise zu Interaktionen der antiretroviralen Substanzen mit Tuberkulostatika sowie zum Firstline-Regime bei gleichzeitiger Tuberkulose-Therapie (Tab. 4, 5 und 6).
Tab. 5: Interaktionen zwischen antiretroviralen Substanzen und Tuberkulostatika
Tab. 6: Empfohlene Firstline-Regime bei gleichzeitiger TB-Therapie
Switch-Strategien
Komplett neu ist das Kapitel Switch-Strategien bei virologisch supprimierten Patienten. Die Listen der Indikationen zum Therapiewechsel, zu „Do und Don´t“ sind lang und spiegeln den klinischen Alltag getreu wieder. Lediglich im letzten Absatz „Andere Strategie“ kommt erneut ein Pioniergedanke mit in das Werk. Der Absatz enthält eine vorsichtig formulierte Empfehlung der PI/r-Monotherapie mit Lopinavir/r bzw. Darunavir/r, der zumindest bislang das feste wissenschaftliche Fundament fehlt (Tab. 7).
Tab. 7: Switch-Strategien bei virologisch supprimierten Patienten (Viruslast <50 Kopien/ml)
(Klick auf Grafik um zu vergrößern)
Virologisches Versagen
Bei den Empfehlungen zum virologischen Versagen gibt es nur wenige Änderungen. Im allgemeinen Teil wird neuerdings explizit ein voll aktiver Proteasehemmer plus ein Medikament einer noch nicht eingesetzten Klasse oder ein NNRTI je nach Resistenztest empfohlen (Tab. 8).
Tab. 8: Empfehlungen bei virologischem Versagen
Neue DHHS-Leitlinien empfehlen noch frühere Therapie
Die DHHS-Leitlinien wurden ebenfalls aktualisiert. Darin ist ein noch stärkerer Trend zur früheren Therapie erkennbar als in den europäischen Leitlinien. Normalerweise werden die Leitlinien erst geändert, wenn zwei Drittel der Mitglieder dafür stimmen. In diesem Jahr war das nicht möglich. Die Amerikaner empfehlen aktuell eine Therapie auch bei einer CD4-Zellzahl zwischen 350 und 500/µl, wobei 55% des Komitees für eine „starke“ und 45% für eine „moderate“ Empfehlung plädierten. Uneinig war man sich auch bei der Therapieempfehlung bei >500 CD4-Zellen/µl. Doch immerhin votierten 50% der Experten für die Therapie, während für die Hälfte die Therapie dieser Situation „optional“ ist.
Bei den Empfehlungen zum initalen Regime hat sich ebenfalls einiges geändert. Die Regime werden neuerdings als „bevorzugt“, „alternativ“ oder „akzeptabel“ klassifiziert. In der neuen Kategorie „bevorzugt“ werden folgende Regime aufgeführt :
- Efavirenz + Tenofovir/Emtricitabin
- Atazanavir/r + Tenofovir/Emtricitabin
- Darunavir/r + Tenofovir/Emtricitabin
- Raltegravir + Tenofovir/Emtricitabin
Neu in der Riege ist somit Raltegravir plus Tenofovir/Emtricitabin. Dieses Regime hat nach Meinung des Panels aufgrund der SARTMRK-Studie eine AI-Evidenz für die Firstline. Dagegen wurden Kombinationen mit Lopinavir als „alternativ“ eingestuft. Als Grund hierfür wird die erhöhte kardiovaskuläre Morbidität unter Lopinavir/r sowie Fosamprenavir/r in der D:A:D-Studie und einer französischen Kohorte angegeben. Für Atazanavir/r und Darunavir/r wäre allerdings eine solche Analyse aufgrund der zu geringen Patientenzahl nicht möglich gewesen. Ferner mache die höhere gastrointestinale Nebenwirkungsrate und Hyperlipidämie Lopinavir/r eher zur Alternative als zum bevorzugten Proteasehemmer. Lediglich bei Schwangeren ist Lopinavir/r plus Zidovudin/Lamivudin noch Regime der Wahl. RP