HIV/AIDS UND KUNST
Cloaca Maxima
Abb. 1: Robert Gober, Slanted Playpen, 1987. Holz, Lackfarbe. 23,5“ x 50“ x 36“. ©Robert Gober
Ein Hundekorb in einer Ecke, dessen buntes Kissen bei näherer Betrachtung ein irritierendes Muster aus einem schlafenden Weißen und einem erhängten Schwarzen zeigt, ein bleiches, haariges Männerbein mit Socken und Schuh vor einer Wand, eine lebensgroße, kitschig anmutende Madonna aus Beton breitet segnend ihre Hände aus, wie um den Betrachter in ihren Armen zu empfangen, würde sie nicht ein phallisches Drainage-Rohr durchbohren und dies unmöglich machen – wir sind in der Welt von Robert Gober angekommen.
Die Unheimlichkeit des Banalen
Es sind alltägliche, vertraute Gegenstände, die in den meisten Haushalten zu finden sind, die Robert Gober zum Ausgangspunkt für seine Objekte nimmt. Seine Nachbildungen von Laufställen, Waschbecken, menschlichen Körperteilen und anderem knüpfen formal zwar an die Pop-Art an, doch anders als etwa Andy Warhol oder Marcel Duchamp verwendet Gober keine Readymades – anonyme in Massen gefertigte, identische Gegenstände – und versetzt sie aus der alltäglichen Situation des Gebrauchs und Konsums in die das Individualistische betonende Kunstwelt, sondern er baut diese Objekte detailgetreu nach – jedoch wie durch eine Art Zerrspiegel betrachtet.
Mit der Serie „Sinks“ – Waschbecken – wurde Gober in den Achtzigerjahren erstmals einem breiteren Publikum bekannt. Duchamps bekanntestes Werk „Fontäne“, ein industriell gefertigtes, jedoch von ihm signiertes Urinal, das durch die verkehrte Positionierung zum Symbol für das weibliche Geschlechtsorgan pervertiert, mag dabei eine Art Vorbild gewesen sein, doch Gober geht einen anderen Weg, den der Entstellung: Seine Waschbecken und Kinderlaufställe wären zwar im Prinzip immer noch verwendbar, aber die Verdopplungen und Verzerrungen wecken beim Betrachter die Frage, wie wohl jemand damit zurechtkäme, der gezwungen wäre, sie zu benutzen.
Abb. 2: Robert Gober, Prayers are Answered, 1980-1981.
Verschiedene Materialien. 152,5 x 81,3
x 132 cm. ©Robert Gober
Foto: Tom Bisig, Basel
Abb. 3: Robert Gober: Untitled, 1981-1993. Holz, Bienenwachs, menschliches Haar, Stoff, Farbe, Schuhe. 9“ x 16,5“ x 45“. ©Robert Gober
Durch diese Eingriffe entsteht der Eindruck einer verschobenen Realität. Man fühlt sich in einen Alptraum versetzt, in dem Gegenstände in einen Zwischenzustand von vertraut und fremd verschoben sind und dadurch bedrohlich werden. Der Eindruck des Banalen ist einer surrealen, unheimlichen Atmosphäre gewichen, in der die klare Bedeutung der Dinge aufbricht und in Fluss gerät, die vertrauten Gegenstände verlieren ihre Unschuld und werden plötzlich zu Symbolen des Verdrängten verkehrt.
Individualität und Abnormität
Hinter den monströsen Deformierungen ist stets das „vertraute – genormte – Modell erkennbar, doch das Anderssein, die von der Normalität abweichende Variante trägt dadurch paradoxerweise auch Züge von Individualität, wie verquer diese auch sein mag. Dieser Zwiespalt zwischen anders sein und dazugehören wollen ist charakteristisch für Minderheiten und Randgruppen der Gesellschaft.
In einem Artikel für das Kunstmagazin „Parkett“ schrieb Gober einmal, seine beiden persönlichen Obsessionen, das Heim und die Kirche, seien als Unterströmung immer mit dem Gefühl der Ausgeschlossenheit und Vorurteilen verbunden. Durch Aids waren Homosexuelle sehr aufeinander angewiesen, so Gober, und „sollte es homosexuellen Männern gelingen, die Diskriminierung zu überleben, die diese Pandemie nährt, so haben sie einen bemerkenswerten Erfolg erreicht – denn sie haben es fast ohne Unterstützung durch Familie und Religion geschafft, die Institutionen, die unterdrückten Minderheiten früher den größten seelischen Beistand und Unterstützung boten“.
Ein weiterer Werkkomplex Gobers hat den menschlichen Körper zum Gegenstand: Halbnackte, behaarte Beine, die fast immer Socken und Schuhe tragen, kommen aus Wänden heraus, sind einfach da. Auf den ersten Blick abstoßend, entsteht doch genau durch diese Nicht-Stilisierung der Eindruck der Privatheit. Ausgüsse, die einen männlichen Unterleibstorso durchbohren, werden so zu Wundmalen und zeigen die Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit Menschen in einer verstörenden Symbolik.
Trautes Heim – Unglück allein
In neueren Installationen Gobers findet die Begegnung mit seinen Objekten häufig nicht mehr in einer häuslichen Umgebung statt, in der Ausstellungswände mit Mustern von Genitalien tapeziert sind, sondern vor Waldlandschaften. Natur als Symbol der – verlorenen oder nie dagewesenen – Unschuld und zugleich der – triebhaften, unbewussten – Wildheit.
Abb. 4: Robert Gober: Untitled, 1992: „Recreated Rat Bait” (1992/2007), „Untitled (functioning sinks)” (1992), „Prison Window” (1992), „Newspapers” (1992), Wandbild. 511,8“ x 363,2“ x 177,2“. © Robert Gober
So zerstören in der Landschaft hängende Waschbecken die Illusion ihrer Unberührtheit und ironisieren sie zugleich durch aus den Hähnen plätscherndes Wasser, gestapelte Zeitungsbündel zeigen auf der obersten Seite Nachrichten oder Anzeigen, die Aids oder Homosexualität thematisieren, z.B. das Foto einer Wollsocke und dem Satz: „Ten years into the AIDS epidemic, this is the closest our government has come to showing a condom.“, ein überdimensionaler Sack Rattengift erinnert daran, dass Tiere auch eine Bedrohung oder Plage darstellen können und ein vergittertes Fenster charakterisiert die Natur schließlich als ein Gefängnis – wie das traute Zuhause unserer eigenen Ängste und Obsessionen, das wir in Wahrheit nie verlassen haben, weil dies gar nicht möglich ist.
Der Unterleib der Welt
Viele der aktuelleren Objekte scheinen einem Freudschen Alptraum oder einer gruseligen Variante von „Hänsel und Gretel“ entsprungen zu sein – ein Kaminfeuer, in dem Kinderbeine brennen, ein Torso, der mit Ästen verwachsen ist, die Vernunft sagt uns, dass das nicht normal ist – dennoch beunruhigt es uns und ist „unheimlich“. In dieser Hinsicht hält es Gober mit Regisseur David Lynch, der einmal sagte: „Das traute Heim ist ein Ort, an dem Dinge schiefgehen können.“
Abb. 5: Robert Gober: Untitled (Teil einer größeren Installation), 1995-1997. Beton, Bronzeguß, verschiedene Metalle und Kunststoffe. 5’10“ x 5’10“ x 5’10“. © Robert Gober
Mit diesen Bildern bezieht sich Gober längst nicht mehr auf die Themen Aids und Homosexualität, sondern übt vielmehr generell Kulturkritik, an einer Kultur der Verdrängung und Nichtbenennens, die alles Tabuisierte ausscheidet und in den Untergrund verbannt, wo es uns dennoch weiter zu bedrohen scheint, weil es ein Teil des Menschseins ist – die Zunahme von Phobien in unserer Zivilisation scheint das zu bestätigen.
Das antike Rom verfügte über ein ausgedehntes Abwasserkanalsystem, der wichtigste dieser Kanäle war die „Cloaca Maxima“, die dem Lauf eines Gewässers folgte und an manchen Stellen bis zu 3 m breit und mehr als 4 m hoch war. Der Göttin dieses Flusses, Venus Cloacina, zu Ehren war sogar auf dem Forum Romanum ein Schrein errichtet. Die Kloake ist das ideale Symbol für das Ausgeschiedene und Abzusondernde, das Verdrängte als Unterströmung, die verschwiegen und ignoriert werden kann, aber lebensnotwendig ist.
Die eingangs erwähnte Madonnenfigur steht denn auch auf einem Abflussgitter – bei näherem Blick öffnet sich unter ihr ein zweiter Raum, in eine Unterwelt – den Unterleib der Welt – Ort der Ausscheidung, aber auch der Sexualität – also lebensnotwendig für ihr Bestehen.
Robert Gober beschrieb einmal seine Installationen als „naturgeschichtliche Dioramen zu menschlichen Wesen der Gegenwart“ – und wie in vielen Dioramen vermischt er Reales mit Illusionistischem auf eine Art und Weise, die den Betrachter zugleich fasziniert und desorientiert.