Fortbildung für Sexarbeiterinnen in Clubs und Bordellen – ein Modellprojekt
Da es für Prostituierte keine Institutionen der Aus- und Fortbildungen gibt und sie aufgrund der speziellen Rahmenbedingungen ihrer Arbeit auch kaum andere Stellen zur Informationsgewinnung, Stärkung und Professionalisierung aufsuchen, stellt sich die Frage: Wie und wo können sie erreicht werden?
Die Fortbildungen vor Ort richten sich also an Frauen, die bisher keinen oder kaum Zugang zu HIV- und STD-Prävention hatten, um sie über Safer Sex, Safer Work, Gesundheitsförderung und rechtliche Fragen zu informieren. Während der Fortbildungen in Clubs und Bordellen sollen die Frauen relevante, praxisorientierte Informationen zu ihrer besonderen Berufssituation erhalten, sich der Diskrepanzen und Gefahren bewusst werden, um professionell, eigenverantwortlich und selbstbewusst arbeiten zu können. Aufgrund der großen Mobilität in der Prostitutionsbranche können die so fortgebildeten Frauen als wichtige Multiplikatorinnen ihr Wissen an den nächsten Arbeitsplatz oder in ein anderes Prostitutionssegment mitnehmen und im Rahmen kollegialer Unterstützung weitergeben.
Modellprojekt in Wohnbordellen
Abb. 1: Die Berliner Prostitutionslandschaft
Abb. 2: Ein Viertel der 103 befragten Sexarbeiterinnen sind Frauen mit Migrationshintergrund
Abb. 3: Behandelte Themen in den insgesamt zehn Fortbildungen
Sichtweisen und Aspekte der Zielgruppe wurden als ein partizipativer Ansatz bei der Entwicklung der Fortbildungsmodule berücksichtigt und einbezogen. Die Durchführung von Schulungen an den Orten kommerzieller Sexarbeit ist auf eine kooperierende Zusammenarbeit sowohl mit den Betreiber/innen der Orte als auch mit den Sexarbeiterinnen angewiesen, um erfolgreich zu sein. Die Ausstellung einer Teilnahmebestätigung für die einzelnen Sexarbeiterinnen stand im Widerspruch zum Anspruch auf Anonymität. So wurde jeweils ein Zertifikat auf den Namen des Betriebes ausgestellt. Dies wurde ausdrücklich von den Betreiber(inne)n unterstützt, um deutlich zu machen, dass ihnen die Fortbildung ihrer Sexarbeiterinnen wichtig ist und um ein Zeichen für Transparenz und Zusammenarbeit mit Institutionen zu setzen. Da der Anteil von Wohnungsbordellen in der Berliner Prostitutionslandschaft mit schätzungsweise 49% sehr groß ist, erschien dieses Segment in der Prostitutionslandschaft als besonders geeignet für die Durchführung des Modellprojekts (Abb. 1).
In der Zeit vom 21.11.2008 bis 23.01.2009 wurden 10 Schulungen in Berliner Wohnungsbordellen durchgeführt. Die Wohnungsbordelle unterschieden sich nach Größe und örtlicher Verteilung über das Stadtgebiet. Die Veranstaltungen dauerten zwischen 3,75 und 9 Stunden (Ø 7 Stunden) und es wurden 103 Sexarbeiterinnen erreicht, das sind 5 bis 16 Personen je Veranstaltung. Insgesamt 24% der Frauen hatten einen Migrationshintergrund, davon kamen die meisten Frauen aus Polen (Abb. 2). Es bestand ein großer Informationsbedarf, weil Sexarbeiterinnen sich in der Regel nicht an andere Stellen und Institutionen wenden. Sie befürchten dort ihr „Doppelleben“ preisgeben zu müssen sowie andere Diskriminierungen und negative Konsequenzen.
Die behandelten Themenbereiche konzentrierten sich einerseits auf gesundheitliche Belange, andererseits auf sozialrechtliche und steuerliche Fragen (Abb. 3). Es bestätigte sich, dass die Sexarbeiterinnen besonders unter der Rechtsunsicherheit im Rahmen des Prostitutionsgesetzes leiden. Frauen, die schon länger in der Prostitution arbeiten, sind meist gut informiert, gehen offen mit ihrem Beruf um und arbeiten sehr professionell. Sie machen sich Gedanken zu einheitlichen Berufsstandards. „Anfängerinnen“ oder „Neueinsteigerinnen“ sind eher arglos, zum Teil besserwisserisch und haben große Träume vom großen Geld. Ein „Erwachen“ erfolgt meist, wenn die ersten Probleme auftauchen.
Entgegen der ursprünglichen Einschätzung der Workshopleiterin hat das Thema HIV und andere STDs große Bedeutung für die Frauen. Es besteht große Sorge bezüglich der Ansteckungsmöglichkeiten und -gefahren, insbesondere wenn sie Unsafe-Sexualpraktiken anbieten. Die Fortbildung vor Ort bietet den idealen Rahmen für kontroverse Diskussionen und einen ehrlichen Erfahrungsaustausch.
Die ersten Schulungen von Sexarbeiterinnen in Clubs und Bordellen haben bestätigt:
- Sexarbeiterinnen sind für Fortbildungen ansprechbar.
- Workshops sind während der Arbeitszeit durchführbar, wenn der Arbeitsablauf nicht gestört wird.
- Es besteht ein enorm großes Informationsbedürfnis, dem viele widersprüchliche und falsche Informationen gegenüber stehen. Daraus resultiert Unsicherheit, die Auswirkungen auf die Arbeit mit Kunden hat.
- Der Informationsstand und Grad der Professionalisierung in der Gruppe älterer, schon länger im Beruf tätiger Frauen unterscheidet sich signifikant von dem in der Gruppe jüngerer, gerade eingestiegener Frauen.
- HIV, andere STDs und allgemeine gesundheitliche Aspekte sind wichtige Themen, die häufig jedoch nicht offen angesprochen werden. Andere Themenbereiche können als „Vehikel“ dienen, um diese Inhalte zu vermitteln.
- Sexarbeiterinnen wünschen sich breitere, regelmäßige Informationen zu HIV und anderen STDs im Kontext sexueller Dienstleistungen, verknüpft mit Strategien professioneller Umsetzung.
- Sexarbeiterinnen sind im Kontakt mit ihren Kolleginnen und aufgrund der großen Mobilität in der Prostitutionsbranche wichtige Multiplikatorinnen.
Alle Beteiligten profitieren von den Fortbildungen: Sexarbeiterinnen erhalten Informationen über alle, den Beruf der Prostitution tangierender Rechtsgebiete einschließlich gesundheitlicher Aspekte. Empowerment hat dabei Vorrang vor Delegation auf andere. Die Bordellbetreiber(inne)n werden zunächst vom Informations- und Hilfebedürfnis der Sexarbeiterinnen entlastet. Sie haben es folglich mit selbstbewussten und selbstverantwortlichen Sexarbeiterinnen zu tun, die sich mehr und besser auf die tatsächliche Arbeit mit dem Kunden konzentrieren können. Dadurch wird sich der Service verbessern, was dem Geschäft als auch den Kunden zugute kommt.
Erfolgreicher Start der „Ich weiß was ich tu“-Testwochen
Im Rahmen der „ICH WEISS WAS ICH TU“(IWWIT)-Kampagne werden von September bis November 2009 bundesweit HIV- und STD-Beratungs- und Testangebote für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), beworben und angeboten. Es ist das erste Mal, dass die DAH eine Test-Kampagne für MSM initiiert.
Hauptzielgruppe der IWWIT-Testwochen sind (ungetestete) MSM mit erhöhtem Risikoverhalten. Der Zugang zu Beratungs- und Testangeboten soll durch die Erschaffung und Bewerbung niedrigschwelliger Angebote erleichtert werden. „Niedrigschwellig“ bedeutet hier vor allem: nah an den Lebenswelten der schwulen Männer, Lebensstil-akzeptierend und mit zielgruppengerechten Öffnungszeiten. Ziel ist es, hiermit MSM zu erreichen, die durch das bisherige Versorgungssystem nicht erreicht wurden. Dies kann durch den Abbau von Hemmschwellen geschehen, beispielsweise indem Beratungs- und Testangebote an schwulen Szeneorten oder auf Crusingparkplätzen, angeboten werden – an Orten eben, wo sich MSM treffen.
Durch die IWWIT-Testwochen soll das Bewusstsein über Risikoverhalten erhöht werden. Im Mittelpunkt der Beratung zum Test stehen deshalb Fragen zur Risikoabklärung. Die an den IWWIT-Testwochen teilnehmenden Projekte garantieren die Einhaltung der gemeinsam formulierten Beratungs- und Teststandards. Die IWWIT-Testwochen werden durch die FU Berlin evaluiert, auf deren Ergebnisse wir sehr gespannt sind.
Testwochen gut gestartet
AIDS-Hilfe-Mitarbeiter bei einer Fortbildung zur Durchführung von HIV-Schnelltests
Der Start der IWWIT-Testwochen ist vielversprechend! Überwältigend ist die Anzahl der teilnehmenden Projekte: 48 AIDS-Hilfen und Vereine aus der schwulen Selbsthilfe und 40 Gesundheitsämter sind involviert. Insgesamt werden über die IWWIT-Homepage 522 Testtermine an 61 unterschiedlichen Orten angeboten.
Zwei Drittel der Testangebote finden in Kooperation zwischen AIDS-Hilfe und Gesundheitsamt statt. In der Regel organisieren die AIDS-Hilfen die Bewerbung des Angebots und die Testberatung, Mitarbeiter/-innen der Gesundheitsämter sind für die Testdurchführung zuständig. Wo eine Kooperation mit einem Gesundheitsamt nicht möglich ist, wirken ehrenamtlich tätige Ärzte bei der Testdurchführung mit. In den Projekten, die das Testangebot in Kooperation mit den Gesundheitsämtern anbieten, wirkt sich dies auf die Angebotspalette aus: Möglich sind dann in der Regel nicht nur kostengünstige HIV-Tests, sondern auch andere Maßnahmen wie beispielsweise Tests auf Syphilis, Tripper und Chlamydien.
Positiv überrascht sind wir, in welch hohem Maß STD-Beratung in die Angebote integriert werden konnten: Neben dem HIV-Test, der in 43 Projekten als Schnelltest durchgeführt wird, werden in 36 Projekten ein Syphilis-Test, in 25 ein Hepatitis-Screening und in drei Projekten eine Hepatitis-A/B-Impfung angeboten. Dies mag als Ausdruck dafür gewertet werden, wie sehr das Thema STI in die Beratung zur Risikoabklärung im Verlauf der Testung als Präventionsmaßnahme etabliert ist.
Durch die Testwochen sollen MSM erreicht werden, von denen man bisher annimmt, dass sie ungerne zum GA gehen, unter anderem aufgrund der Öffnungs- und Wartezeiten oder (befürchteter) Vorbehalte gegenüber schwulen Lebenswelten. Die Evaluation der Testwochen durch die FU Berlin wird zeigen, ob diese Vermutungen zutreffen und ob durch solche niedrigschwelligeren Angebote tatsächlich MSM erreicht werden können, die ansonsten eher nicht zum Test gehen würden. MSM ist die in Deutschland am stärksten von HIV betroffene Gruppe, wodurch sich die Fokussierung auf diese Zielgruppe begründet.
HIV-Test hat Vorteile
Für einen HIV-Test sprechen heute vor allem die besseren gesundheitlichen Aussichten für die Abklärung des HIV-Status. Die Behandlung mit der antiviralen Therapie schlägt dann ganz besonders gut an, wenn zum richtigen Zeitpunkt damit begonnen wird. Etwa 30% derjenigen, die eine Therapie beginnen, gelten als „late presenter“, d.h., dass sie zu spät zum Test oder zur Therapie kommen. Den daraus resultierenden Nachteil kann wettmachen, wer über seine HIV-Infektion Bescheid weiß.
Die Vorteile, die mit der Kenntnis des Serostatus einhergehen, dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit dem HIV-Testergebnis auch heute noch Diskriminierung und rechtliche Benachteiligungen einhergehen können. Auch dies sollte im Beratungsgespräch zur Entscheidung für oder gegen einen HIV-Test mit einbezogen werden.
www.iwwit.de/testwochen
HIV am Arbeitsplatz – Alltag in Deutschland?
So gehen geschätzte 2/3 der ca. 63.000 HIV-infizierten Menschen in Deutschland einer Arbeit nach. Aber wie sieht der Alltag dieser 43.000 Menschen am Arbeitsplatz aus? Stellvertretend für diese Gruppe wurden zehn HIV-positive Arbeitnehmer/-innen im Sommer 2008 interviewt und haben ihre Ängste, guten und schlechten Erfahrungen und ihre Hoffnungen berichtet.
Die Interviews und eine Auswertung aktueller Studien zur Situation am Arbeitsplatz können unter www.aidshilfe.de detailiert nachgelesen werden.
Outen
am Arbeitsplatz. ja oder nein?
Die zentrale Frage für die Interviewpartner war, ob oder ob man sich besser nicht als HIV-positiv am Arbeitsplatz outen sollte. Donja1 hat diesbezüglich einen langen Weg der Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Krankheit hinter sich gebracht. Das Testergebnis erfuhr sie damals telefonisch an ihrem Arbeitsplatz, einer Bankfiliale. Sie brach weinend zusammen und kurz danach wusste „es“ jeder. „Die Kündigung wurde mir dann - ohne großartige Gespräche vorab - einfach serviert und ich habe es damals eben leider so geschluckt, ohne mir Hilfe oder Beratung zu holen. Der Filialleiter sagte mir, er habe eben Angst wegen des hohen Imageverlustes. Das hat er mir auch so ins Gesicht gesagt und auch die Tatsache, dass ich Mitarbeiter gefährden könne mit meiner Infektion.“ Damals akzeptierte Donja – unaufgeklärt und verängstig wie sie war – diese rechtswidrige Kündigung. Mittlerweile hat sie einen neuen Job gefunden und kann dort sogar offen zu ihrer HIV-Infektion stehen. „Heute sage ich: Wenn ich mich Kollegen gegenüber oute, dann ist es einfach der Wunsch, das Thema HIV zu normalisieren. Es wirklich als chronische Krankheit erkannt zu wissen und nicht als irgendetwas Besonderes. Ich möchte es einfach normalisieren. Ich möchte eine Lobby aufbauen, dass es eben nicht die Buh-Krankheit ist.“
Beim Outing kann die Frage nach der „Freiwilligkeit“ eine Rolle spielen. So erfuhren einige Interviewte ihr Testergebnis am Arbeitsplatz telefonisch oder teilten sich im ersten Schock unmittelbar und spontan mit. Manche wurden von den Kollegen gut aufgefangen, andere nicht. Da die Betroffenen im ersten Schockzustand häufig selbst hilfebedürftig sind, können sie aus Gründen der Überforderung häufig nicht die notwendige Aufklärung unter den Kollegen leisten und den Prozess nicht deeskalierend mit steuern. Manche Betriebe reagieren darauf panisch und mit Ausgrenzung, wie in Donjas Fall.
Gegenläufig zum Outing wurde die Haltung des „Nicht-Erzählen-Wollens“ geschildert. Dies beschreibt, dass der einzelne Mensch in sich nicht den Wunsch verspürt, sich bezüglich HIV mitzuteilen und dies für seine „Privatangelegenheit“ hält, die niemanden etwas angehe. „Eigentlich ist es ansonsten für mich schon … ich weiß nicht wie lange, nicht wirklich ein ernsthaftes Thema. Also was mich jetzt so beschäftigen würde, dass mir auch sooo wichtig wäre, also ich habe nicht das Gefühl, dass das mein Leben groß beeinflussen würde“, erzählt Bernd, erfolgreicher Manager in einem Versicherungsunternehmen. Der Aspekt von „Nicht-Erzählen-Wollen“ wird auch als „Nicht-Erzählen-Können“ beschrieben. Marko (Visagist) erzählt es niemandem in seinem Studio: „Ich weiß, was HIV ist, aber wissen es die anderen auch? Es gibt ja Leute, die dir dann nicht mehr die Hand geben, wenn sie wissen, dass du HIV hast. In meinem Job muss ich aber den Leuten die Hand geben.“ Es wurde in den Interviews immer wieder deutlich, dass positive Arbeitnehmer in Deutschland immer noch mit alten und falschen Bildern von HIV und Aids in den Köpfen ihrer Kolleg/-innen zu kämpfen haben.
Diskriminierungen
Das Thema Outing ist oft mit der Angst vor Diskriminierung verknüpft. Es kam nicht in allen Fällen und nicht allen Betrieben dazu. Vielfältig konnte sehr positiv berichtet werden. Aber manche HIV-positiven Arbeitnehmer berichteten von Diskriminierung nur alleinig auf Grund dessen, dass „etwas“ vermutet wurde. Beim Krankenpflegerschüler Christian reichte aus, dass er offen schwul lebt. Es war der scheinbar unbedeutende Kommentar seiner Ausbilderin, welcher ihm das Leben im Krankenhaus schwer machte: „Der Satz klingt mir immer noch in den Ohren: „Du weißt schon, Aids beginnt mit Schnupfen.“ Ich assoziiere damit, dass deswegen auch die Gerüchte aufgekommen sind. Es standen ja alle dabei, als sie den Satz raus gehauen hat.“ Manche HIV-positiven Arbeitnehmer bekommen solche Verunglimpfungen durch offensives Auftreten und aufklärende Gespräche im Betrieb wieder in den Griff, für andere wird es zur Dauerbelastung, dem sie sich nur durch Stellenwechsel entziehen können.
HIV-positive Vorbilder sind nötig
Zentrales Thema bei HIV in der Arbeitswelt bleibt die Frage nach der besseren Lösung: Outen am Arbeitsplatz oder lieber nicht? Aids-Aktivisten machen keinen Hehl daraus, wie sehr sie es politisch begrüßen würden, wenn sich mehr mutige HIV-positive Menschen zur Sichtbarkeit am Arbeitsplatz entscheiden würden. Sie sind der Überzeugung, dass HIV-positive Vorbilder im Erwerbsleben gebraucht werden. Es lässt sich dennoch kein „guter Rat“ auf Grund der gesammelten Erfahrungen generieren. Unwiderlegbar bleibt leider auch der Fakt, dass Menschen nach einem Outing Diskriminierung erfahren, bis hin zur rechtswidrigen Kündigung. Selbsthilfegruppen HIV-positiver Arbeitnehmer2 und fachkundige lokale AIDS-Hilfen3 können bei dieser Entscheidungsfindung und auch im Fall von Diskriminierung hilfreiche Gesprächspartner sein.
Nur mehr Sichtbarkeit bei diesem Thema – analog der Idee der Rollenvorbilder auf dem DAH Blog – wird dazu verhelfen, dass „HIV am Arbeitsplatz“ Normalität wird. Hier bleibt das politische Selbstverständnis jedes Einzelnen gefragt, ob er/sie an diesem Prozess mitwirken möchte und kann. Aber auch die andere Seite, der kleine Betrieb und das große Unternehmen, die Politik beziehungsweise jede und jeder gesunde Kollege/-in ist gefragt, sich zu informieren und solidarisch den chronisch erkrankten Kollegen, die mit HIV leben und arbeiten, zur Seite zu stehen.
1 Alle Namen der Interviewten sind anonymisiert worden.
2 www.positivarbeiten.de
3 Ansprechpartner können unter der DAH Beratungshotline erfragt werden: 0180 33 19411
Diskriminierende
US-Einreisebestimmungen abgeschafft
Die Mauer ist gefallen!
Feierliche Unterzeichnung der neuen Bestimmungen durch Präsident Obama
Am 30. Oktober 2009 kündigte US-Präsident Obama die vollständige Aufhebung des seit 1987 bestehenden Einreiseverbots für Menschen mit HIV an. Das neue Gesetz tritt bereits zum 01. Januar 2010 in Kraft. Obama begründete die Gesetzesänderung mit der veränderten Sichtweise von HIV. Die bisher in den USA geltenden Bestimmungen hätten die Stigmatisierung von Menschen mit HIV verfestigt und es sei an der Zeit, hiermit aufzuräumen.
Beginn einer neuen Ära
Eine Gesetzesänderung hatte sich in der Vergangenheit zwar angekündigt, überraschend waren dann Tempo und Umfang der Änderung. Anstelle einer befürchteten, halbherzigen Veränderung überrascht die Radikalität des neuen Gesetzes. Das Einreiseverbot ist komplett gefallen. Niemandem wird zukünftig aufgrund einer HIV-Infektion die Einreise oder ein längerer Aufenthalt in den USA verwehrt werden. Die Zollvorschriften verlangen bei der Mitnahme von Medikamenten in Zukunft lediglich das Mitführen eines ärztlichen Attests in englischer Sprache. Dieses sollte bestätigen, dass der/die Reisende die Medikamente zur Behandlung einer Erkrankung benötigt. Die Handelsnamen der Medikamente sind dabei aufzuführen, die Art der Erkrankung muss nicht benannt werden. Es müssen die Originalverpackungen der Medikamente mitgeführt werden, ein Umpacken der Medikamente ist weder nötig noch sinnvoll. Diese Regelungen gelten übrigens für alle rezeptpflichtigen Medikamente, die auf Flugreisen grundsätzlich im Handgepäck mitgeführt werden sollten.
Engagement zahlt sich aus
Die erfreulichen Veränderungen sind der Erfolg des unermüdlichen Engagements von NGOs weltweit! Die Deutsche AIDS-Hilfe arbeitet z.B. seit 1999 an dem Thema. In den vergangenen Jahren war es gelungen, durch die internationale Zusammenarbeit mit IAS, EATG, ILGA, GNP+, UNAIDS und Global Fund Druck auf die USA auszuüben. Ein internationales Task Team hatte 2008 für UNAIDS Empfehlungen an betroffene Regierungen erarbeitet, und auch der UNO Generalsekretär hatte in einer viel beachteten Rede in der UN Vollversammlung im Juni 2008 die Amerikaner ermahnt.
Letzten Endes entscheidend war der Druck der International AIDS Society (IAS), die Washington als Austragungsort für den Welt AIDS-Kongress 2012 auserkoren hatte, allerdings unter der Bedingung, dass bis dahin die Einreisebeschränkungen aufgehoben würden. Der letzte in den USA geplante internationale AIDS-Kongress wurde 1992 aufgrund der diskriminierenden Bestimmungen kurzfristig von Boston nach Amsterdam verlegt, seither wurden die USA als Austragungsort boykottiert.
Hoffnung auf Dominoeffekt
International wird der mutige, aber überfällige Schritt begrüßt. Die USA haben ein wichtiges Zeichen gesetzt, das andere Staaten nicht unberührt lassen wird. Zu erwähnen sind hier Ägypten, Andorra, Australien, China, Kanada, Russland, Saudi-Arabien, Südkorea, die Vereinigten Arabischen Emirate und Zypern. Aber auch unser Land muss seine Hausaufgabe in punkto Entstigmatisierung von Menschen mit HIV und Aids noch machen: noch immer gibt es in Bayern, Sachsen und Brandenburg inakzeptable Sonderregelungen, was den Aufenthalt von HIV-positiven Migrant(inn)en betrifft.
Was jetzt in Amerika geschehen ist wird hoffentlich seine Signalwirkung entfalten. Wir hoffen sehr, dass jetzt ein Dominoeffekt einsetzt und Regierungen sich an dem mutigen Schritt der Amerikaner orientieren.
Eine Mauer ist gefallen. Was wir vor wenigen Jahren nie für möglich gehalten hätten, ist Realität geworden. Eines der offensichtlichsten Beispiele der weltweiten Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids gehört bald der Vergangenheit an:
Das amerikanische Einreiseverbot ist dann – genauso wie die Berliner Mauer – Geschichte!