Kompetenznetz HIV/AIDS:
Deutsch-ukrainische Zusammenarbeit im Bereich HIV/AIDS:
Etablierung einer ukrainischen HIV-Kohorte
Seit 2007 arbeiten das Ukrainische Zentrum für AIDS-Prävention und das Kompetenznetz im Bereich der HIV/AIDS-Forschung zusammen. Im Rahmen zweier Workshops im September 2008 und im Oktober 2009, finanziert vom europäischen Netzwerk NEAT (Network of European AIDS Treatment), wurde eine epidemiologische Forschungsplattform etabliert, um die Notwendigkeit und den Nutzen bestehender sowie neu einzuführender epidemiologischer und klinischer Forschungsinstrumente zu diskutieren und gegebenenfalls umzusetzen. Zentrales Ziel ist die Etablierung einer nationalen ukrainischen HIV-Kohorte (HUCS – HIV Ukrainian Cohort Study). Partner hierbei sind das Ukrainische Gesundheitsministerium, die WHO, das RKI, die DAH, die GTZ und die regionalen Zent-ren für AIDS Prävention in der Ukraine.
dramatischer Anstieg
Abb. 1: Registrierte HIV-Infektionen in der Ukraine 1987-2008
Abb. 2: Registrierte AIDS-Erkrankungen und Todesfälle in der Ukraine 1987-2008
Die Daten des ukrainischen Gesundheitsministeriums zeigen, dass HIV vor 1995 kein signifikantes Problem in der Ukraine darstellte. Ab dem Jahr 1995 änderte sich die epidemiologische Situation drastisch mit einer erheblichen Zunahme von gemeldeten Neuinfektionen. Bis zum Jahresende 2008 wurden insgesamt über 86.000 HIV-Infizierte offiziell registriert, davon 18.963 Infektionen im Jahr 2008 (Abb. 1).1
Die Zahl der AIDS-Erkrankungen stieg von 45 im Jahr 1995 auf 4.380 im Jahr 2008 (Abb. 2).1 Eine vergleichbare Zunahme gab es auch bei den registrierten AIDS-Todesfällen. Im Jahr 1995 wurden 20 Todesfälle durch AIDS registriert, im Jahr 2008 waren es 2.710 (Abb. 2).1
Hauptrisiko i.v.-Drogen
Intravenös Drogengebrauchende (IVDU) stellen die größte Gruppe HIV-infizierter Personen in der Ukraine dar. Infiziertes Injektionsbesteck, das mehrfach benutzt wird, sowie unzureichende Aufklärung über die damit verbundenen Gefahren sind maßgebliche Risikofaktoren für die Ausbreitung der Infektion. Drogengebraucher sind in der Ukraine eine vernachlässigte Gruppe in der HIV-Prävention. Sie werden meist als relativ geschlossene Gruppe angesehen und stigmatisiert. Da der Gebrauch intravenöser Drogen illegal ist, besteht bei den Betroffenen Angst vor Strafverfolgung und damit verbunden eine geringe Nachfrage nach Präventionsprogrammen. Lediglich 10% der IVDU hatten im Jahr 2000 an speziellen Präventionsprogrammen (needle exchange programs) teilgenommen.2 Insbesondere in den Gefängnissen der Ukraine und unter Prostituierten ist die Übertragung des HI-Virus durch intravenösen Drogenkonsum weit verbreitet. IVDU, Prostituierte und Strafgefangene bräuchten spezielle Hilfsangebote.
HIV-Infektionen durch heterosexuelle Kontakte stellen den zweithäufigsten Übertragungsweg dar. Zusätzlich zu den ökonomischen und sozialen Umbrüchen, die mit der Auflösung der Sowjetunion einhergingen, gibt es eine Reihe weiterer Gründe für den steilen Anstieg von HIV-Infektionen durch sexuelle Kontakte in der Ukraine. Dazu gehört auch der Anstieg von ungeschützten Kontakten zwischen jungen Erwachsenen, bei häufig wechselnden Partnern. Die Einstellung zur Homosexualität spielt ebenfalls eine große Rolle, da Homosexualität in der Ukraine ein gesellschaftliches Tabuthema ist. Deshalb können die niedrigen Inzidenzen von HIV-Infektionen durch homosexuelle Kontakte nur mit Einschränkung interpretiert werden. Die vertikale Infektion von Kindern durch HIV-infizierte Mütter stellt den dritthäufigsten Übertragungsweg dar und begründet die Notwendigkeit einer umfassenden epidemiologischen Surveillance von schwangeren Frauen sowie die Implementierung spezifischer Präventionsmaßnahmen für diese Zielgruppe.
Machbarkeitsstudie läuft
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
über das Internationale Büro fördert seit Oktober 2009 eine Machbarkeitsstudie
zur Etablierung einer ukrainischen HIV-Kohorte. Im Rahmen einer solchen Kohorte
sollen die dokumentierten epidemiologischen und klinischen Daten der regionalen
Zentren für AIDS Prävention zusammengeführt und um weitere klinisch relevante
Daten (z.B. Koinfektion, Ko-Diagnosen etc.) ergänzt werden. Eine solche Kohorte
muss sich zunächst an den im Aufwand eingeschränkten Umsetzungs-Möglichkeiten
in der Ukraine ausrichten und wird daher nicht den Variablen-Umfang erreichen
wie große, bereits etablierte Kohorten. Das Projekt dient einer detaillierteren
epidemiologischen und klinischen Surveillance der HIV/AIDS-Versorgung in der
Ukraine. Darüber hinaus
kann mit Hilfe der erfassten klinischen Daten die Wirksamkeit der ärztlichen
Behandlung innerhalb der untersuchten Regionen analysiert und optimiert werden.
Es stellt damit eine wichtige Ergänzung bereits bestehender oder in der Einführung
befindlicher Instrumente dar.
Hierbei ist geplant, dass zunächst 4 regionale
Zentren für AIDS Prävention in der Ukraine mit der Datenerhebung für eine
Patientenkohorte, beginnen. Methodische Details wurden bereits in den beiden
durchgeführten Workshops diskutiert und im Anschluss weiter ausgearbeitet.
Zunächst werden – unter Gewährleistung des Datenschutzes – klinische und
soziodemographische Daten von zunächst 1.600 ukrainischen HIV-positiven
Patienten, die in den betreuenden Zentren in verschiedenen Registern vorliegen,
zu einer Kohorte zusammen geführt. Zu den in der Kohorten erfassten Variablen
gehören soziodemographische Daten (Geschlecht, Alter, Herkunft, Datum der
Erstvorstellung), epidemiologische Daten (Infektionsrisiko, Datum des ersten
positiven Tests), klinische Daten (HIV-assoziierte und AIDS-definierende
Diagnosen, CD4- und CD8-Zellzahl, Viruslast, Testverfahren), Daten zu
antiretroviralen Therapie, Laborbefunde sowie Daten zu wichtigen
Begleiterkrankungen wie Hepatitis und
Tuberkulose.
Ausbau der Prävention
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die auf Basis der neuen Patientenkohorte gewonnen werden, werden in die Präventionsarbeit einfließen, die auf Änderungen der epidemischen Situation und zeitnah reagieren sollte. Die HIV/AIDS-Bekämpfung in der Ukraine bestand bis zum Jahr 2001 vor allem im Einsatz von HIV-Tests.3 Im Jahr 2001 wurde von der ukrainischen Regierung ein Programm mit zusätzlichen präventiven Maßnahmen beschlossen.4 Allerdings sind die finanziellen Ressourcen für die HIV/AIDS-Prävention sehr begrenzt und es existieren logistische und organisatorische Probleme im Zusammenhang mit der Implementierung effektiver Präventionsprogramme.5
Neben einem ausreichenden Angebot antiretroviraler Therapie sind kostenlose HIV-Tests, Programme zur Verhinderung der Mutter-Kind-Übertragung, Informationen über den Umgang mit und Zugang zu Kondomen, saubere Injektionsnadeln, Substitutionsprogramme und eine suffiziente medizinische Behandlung von Geschlechtskrankheiten wichtige Maßnahmen im Bereich der HIV-Versorgung, aber auch der sexuellen Gesundheit im weiteren Sinn. Der Ausbau geeigneter Einrichtungen, auf die unterstützende nationale und internationale Organisationen zugreifen können, ist unabdingbar. Da HIV/AIDS wie kaum eine andere Krankheit Verschiebungen im sozialen Gefüge einer Gesellschaft hervorruft und nicht allein auf den medizinischen Aspekt reduziert werden darf, ist eine erfolgreiche Auseinandersetzung nur mit interdisziplinären Ansätzen möglich. Dazu gehören auch die umfassende epidemiologische Erfassung der jetzigen Situation, der Auf- und Ausbau geeigneter Einrichtungen zur Prävention für alle Zielgruppen, sowie die Schaffung der notwendigen Infrastruktur zur Behandlung von HIV-positiven Patienten.
Durch das Kompetenznetz HIV/AIDS-Projekt der deutsch-ukrainischen epidemiologischen Plattform sowie die Machbarkeitsstudie zur Etablierung einer nationalen HIV-Kohorte in der Ukraine wird das Wissen in den Bereichen der Epidemiologie wie auch der klinischen Versorgung in der Ukraine um einen wichtigen Baustein erweitert.
Literatur
1 Ministry of Health of Ukraine. HIV infection in Ukraine: Information bulletin No. 32. Kiev: Ukrainian Centre for AIDS Prevention; 2009.
2 Malinowska-Sempruch K, Hoover J, Alexandrova A. Unintended consequences: drug policies fuel HIV epidemics in Russia and Ukraine. Open Society Institute. New York, 2003.
3 Jacobi J. Taking stock of progress in the national response to HIV/AIDS in Ukraine. Sexual Health Exchange 2003; 1:12-13.
4 Ministry of Health. Plan of a national response to HIV/AIDS in Ukraine for 2001-2003. Kiev, 2000.
5 Zalata O, Coker R. On the European Union’s new eastern border: health promotion, HIV and Ukraine. European Journal of Public Health 2005; 15:336-338.