Philipe N. Khalil, Axel Kleespies und Matthias Siebeck, München
Chirurgische Therapie von Analkarzinomen und AIN bei HIV
Präkanzerosen
Das Analkarzinom ist mit unterschiedlichen Viruserkrankungen assoziiert. Hierzu zählen insbesondere Infektionen mit HPV (Humanes Papilloma Virus, Serotyp 16 und 18), HSV II (Herpes simplex Typ II) oder HIV. Bei persistierender HPV-Infektion zeigen sich zunächst Präkanzerosen mit unterschiedlichem Dysplasiegrad (AIN I° bis III°, anale intraepitheliale Neoplasie). Das Risiko für den Übergang von AIN III° in das invasive Analkarzinom ist hoch. Zudem erscheint die AIN vielfach als diskrete Läsion, die vom nicht geschulten Untersucher leicht übersehen wird.
Ob HIV-Patienten regelmäßig auf HPV bzw. AIN gescreent werden sollten, und wenn ja mit welchem Verfahren, ist derzeit noch unklar. Im Falle des Verdachts auf eine AIN III° sollte die Läsion chirurgisch komplett exzidiert werden. Nach histologischer Bestätigung des Befundes und Resektion in sano erfolgt die Nachsorge des Patienten 3, 6, 12 und 24 Monate postoperativ mittels Inspektion, digitaler rektaler Untersuchung, Rektoskopis und ggf. Endosonographie.
Analkarzinom
Abb. 1: Leukoplakie, Histologie negativ (A), Plattenepithel-Ca in situ (M. Bowen) (B), Adeno-Ca in situ (M. Paget) (C)
Abb. 2: Analrand-Ca T1 (A), T2 (B), T3 (C)
Obgleich die Verdachtsdiagnose eines Analkarzinoms bereits durch eine gezielte Inspektion und Palpation in Zusammenhang mit der Klinik und Anamnese des Patienten gestellt werden kann, vergehen von den ersten Symptomen bis zur Diagnosestellung im Mittel zwischen 5 und 11 Monate. Zum Zeitpunkt der Erstdiagnose haben bereits mehr als 50% der Analkarzinome metastasiert.
Das Leitsymptom des Analkarzinoms ist die anale Blutung sowie Schmerzen bei der Defäkation. Häufig berichten die Patienten auch über ein Fremdkörpergefühl, analen Pruitus, Brennen oder Inkontinenz. Die genannten Beschwerden treten jedoch auch bei einer Reihe anderer analer Erkrankungen auf. So liegen in über 50% der Fälle zeitgleich benigne Analläsionen wie Hämorrhoiden, Fisteln oder Analfissuren vor. Klagt ein Patient über eines der oben genannten Symptome, und dies gilt umso mehr für Risikopatienten, so ist neben einer gezielten Anamnese insbesondere der Lokalbefund durch einen proktologisch erfahrenen Arzt zu erheben und gegebenenfalls die weitere Diagnostik einzuleiten.
Analkarzinome lassen sich in Abhängigkeit von der Lokalisation des Hauptbefundes in die selteneren Analrand- (15%) und die häufigeren Analkanalkarzinome (85%) einteilen. Histologisch kommen im Analkanal Plattenepithel- (80%) und Adenokarzinome vor (20%). Bei Plattenepithelkarzinomen des Analkanals handelt es sich überwiegend um Karzinome vom Übergangszelltyp, während es sich bei den Adenokarzinomen zumeist um solche vom Rektumtyp handelt. Letztere sind im Zweifelsfall als tiefsitzende Rektumkarzinome zu bezeichnen und zu behandeln. Die Einteilung der Analkarzinome erfolgt nach der UICC -TNM-Klassifikation 2009 (vergl. S. 33 Artikel Mosthaf Tab. 1).
Klinisches Erscheinungsbild
Analkarzinome haben ein vielfältiges Erscheinungsbild und imponieren häufig als flache ulzerierende Defekte, wachsen aber auch exophytisch und können so den gesamten Analkanal einnehmen. Besteht aufgrund der Anamnese und der körperlichen Untersuchung einschließlich der Untersuchung der Perianalregion durch Inspektion und digitale rektale Palpation, der Verdacht auf eine AIN oder gar ein Analkarzinom, so ist der Patient einer gezielten Diagnostik durch einen Proktologen zuzuführen. Dieser wird dann eine zeitnahe Untersuchung in Narkose oder Lokalanästhesie mit Probengewinnung und histologischer Diagnosesicherung anstreben und gegebenenfalls das Staging mittels Rektoskopie, Koloskopie, Endosonographie, CT und MRT komplettieren. Falls der Patient zum Zeitpunkt der Diagnosestellung unter Schmerzen leidet, hat eine Schmerztherapie nach WHO Schema oberste Priorität.
Chirurgisches Vorgehen
Die Narkoseuntersuchung dient der genaueren und schmerzfreien Untersuchung des Anorektums mit gleichzeitiger Probenentnahme und ggf. kompletter lokaler Exzision kleiner suspekter Befunde von bis zu maximal 1 cm Durchmesser. Solche Eingriffe können tageschirurgisch durchgeführt werden. HIV-Patienten ohne schwere Beeinträchtigung der Gerinnung, des Immunstatus oder anderer Organfunktionen haben hier gegenüber nicht-infizierten Patienten kein erhöhtes Komplikationsrisiko. Perineale und anale Exzisionen werden aufgrund der Besiedelung der Wunde mit Darmkeimen nicht durch Naht verschlossen, sondern primär offen behandelt. Die Wunden heilen in der Regel innerhalb weniger Wochen komplikationslos ab. Um die Wundheilung zu fördern wird der Patient angehalten, die Wunde mehrmals täglich, zumindest aber nach jedem Stuhlgang, mit lauwarmen Wasser ohne irgendeinen Zusatz auszuduschen.
Nachbehandlung
Zur Analgesie in den ersten postoperativen Tagen sind in der Regel peripher wirkende Substanzen wie Metamizol oder Ibuprofen ausreichend. Zudem kann Xylocalin-Gel (2%) lokal appliziert werden. Gegebenenfalls muss die Schmerztherapie nach WHO intensiviert werden. Eine Flüssigkeitszufuhr von täglich mehr als 2 l dient dem Verhüten eines Stuhlverhalts, frühzeitig sollten milde Laxantien verabreicht werden. Ein weicher Stuhlgang kann das Risiko einer Blutungskomplikation in der unmittelbaren postoperativen Phase senken. Zudem sollte nach lokaler Exzision im Analbereich auf permissiven Analverkehr verzichtet werden, solange Schmerzen bestehen. Nach sparsamer Excision und unkomplizierter Wundheilung treten in der Regel keine Sensibilitätsstörungen im Analbereich oder Funktionsstörungen des Spinkterapparates auf. Zirkuläre Exzisionen im Analkanal müssen vermieden werden, da das Fehlen der Sensibilität des Anoderms und stenosierende Narben zur Inkontinenz führen können. Die Patienten sollen auf das Zigarettenrauchen komplett verzichten. Ansonsten gelten keinerlei Einschränkungen bei der Ernährung.
Größere Tumore
Die weitere Therapie richtet sich nach der Histologie und dem Tumorstadium (UICC-TNM 2009). Bei den selteneren Analrandkarzinomen kommt, insbesondere bei fehlender Infiltration des Sphinkterapparates, die lokale Exzision im Gesunden mit entsprechendem Sicherheitsabstand in Betracht (bis maximal T2, N0, M0). Erfolgt die Resektion nicht im Gesunden muss über eine Nachresektion und eine lokale Bestrahlung nachgedacht werden. Größere Tumoren (T3, T4, N+) sollten primär mittels Radiochemotherapie behandelt werden. Bei Plattenepithelkarzinomen des Analkanals ist hingegen die Radiochemotherapie die Primärtherapie der Wahl. Vor Therapiebeginn sollte im Einzelfall die Anlage eines temporären protektiven Stomas erwogen werden. Nur in Einzelfällen, z.B. bei inzidentellen, kleinen, mikroinvasiven Karzinomen (kleiner als 1 cm), scheint die alleinige lokale Tumorexzision im Gesunden gerechtfertigt. Die abdominoperineale Rektumexstirpation, also die Mastdarmresektion unter Einschluss des gesamten Sphinkterapparates, kommt hingegen nur bei schweren Komplikationen unter der Strahlentherapie (z.B. Rektumnekrose, blutende Ulzerationen, Inkontinenz), bei Tumorpersistenz nach Abschluss der Radiochemotherapie und bei späteren Rezidiven in Betracht. In Abhängigkeit von der genauen Lokalisation, Größenausdehnung und möglicher Infiltrationen muss hier die Operation durch größere perineale Weichteilresektionen und anschließende plastische Deckung ergänzt werden.
Literatur beim Verfasser