Interview mit Katharina Thiele, München
AOK Berlin schließt Rabattvertrag mit Gilead Sciences
Fangen wir bei den Grundlagen an. Was ist eigentlich ein Rabattvertrag?
Thiele: Ein Rabattvertrag ist eine Vereinbarung zwischen Krankenkasse und Hersteller, in der ein Rabatt auf den Preis eines Arzneimittels vereinbart wird. Seit 2007 sind solche Verträge gemäß §130a SGB V erlaubt und politisch erwünscht.
Warum wurde dieses Gesetz geschaffen?
Thiele: Es geht um Einsparungen bei den Arzneimitteln. Vereinfacht gesagt war die Idee, auf dem Generika-Markt durch noch mehr Wettbewerb die Preise zu senken. Hier gibt es ja die gleiche Substanz von mehreren Anbietern und durch den Vertrag mit einem Hersteller kann die Kasse günstiger „einkaufen“, was die Hersteller durch einen größeren Absatz wettmachen können, da ihr Arzneimittel als Rabatt-arzneimittel bevorzugt verordnet und abgegeben wird. Anfangs gab es noch juristische Auseinandersetzungen, insbesondere im Bezug auf Kartellrecht-Fragen, aber mittlerweile sind solche Verträge im Generika-Segment Standard. Es existieren seit einiger Zeit auch Verträge zu Patent-geschützten Arzneimitteln mit sehr unterschiedlichen Inhalten (Vergl. Kasten).
In der Regel werden die Verträge von den
regionalen Krankenkassen ausgeschrieben. Wie ist das von einer Firma zu
bewältigen, wenn sie bundesweit Verträge schließen will?
Thiele: Das ist nicht einfach und betrifft momentan auch nur den Generika-Markt. Aber man kann dennoch sehen, wie die Verträge den Markt verändern. Die Generika-Firmen haben oftmals keinen Außendienst mehr, sondern kümmern sich primär um die Verträge mit den Kassen.
Gibt es auch bei den Patent-geschützten Präparaten Ausschreibungen der Krankenkassen?
Thiele: Meines Wissens im Moment noch nicht. Das ist Neuland und es gibt wenig Erfahrung auf diesem Gebiet. Vieles ist im Fluss und es existieren viele neue Modellansätze, insbesondere im Kontext der integrierten Versorgung. Fest steht jedoch, dass die Entwicklung in diese Richtung gehen wird, das hat der Gesetzgeber in der neuen anstehenden Gesundheitsreform nochmals bekräftigt. Das neue gesetzliche Sparpaket trägt ja auch den schönen Namen Arzneimittelmarktneuordnungsspargesetz, genannt AMNOG (Vergl. Kasten).
Wie war es bei Ihnen, sind Sie auf die Kasse zugegangen?
Thiele: Gilead ist es wichtig, dass die Patienten auch in Zeiten finanzieller Engpässe mit den bestmöglichen verfügbaren Arzneimitteln versorgt werden. Dazu gehören unserer Meinung nach Atripla und Truvada. Das war ein wesentlicher Beweggrund für den Rabattvertrag. Und da in unserem Gesundheitssystem viel in Bewegung ist, möchte Gilead sich auch bei den Krankenkassen als kompetenter Partner etablieren, besonders auch in Hinblick auf die neuen Versorgungsformen. Deshalb suchen wir schon heute das Gespräch und wollen Partnerschaften aufbauen. Die AOK Berlin-Brandenburg ist als sehr gesprächsbereit bekannt, dort laufen schon viele Verträge und in Berlin leben ja auch viele HIV-Infizierte.
Welche Entwicklungen sehen Sie und wo führt der Weg hin?
Thiele: Die Veränderungen werden immer deutlicher. Da sind beispielsweise die Hausarztverträge – Medi in Baden-Württemberg war hier ein Vorreiter – und zunehmend auch Facharztverträge, regional und überregional. Die „Vertragswelt“ breitet sich aus und es wird eher kurz- als langfristig zu einer völligen Umstrukturierung der Gesundheitsversorgung kommen, d.h. sowohl bei den Kostenträgern, also den Krankenkassen, als auch bei den sogenannten Leistungserbringern, den Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzte. Denkbar ist somit auch, dass sich einzelne HIV-Ärzte dem Angebot einer Kasse anschließen oder dass ein Verein wie die DAGNÄ eine Vereinbarung mit den Kassen aushandelt.
In Berlin gibt es ja bereits einen HIV-Vertrag mit der AOK Berlin-Brandenburg
Thiele: Richtig, hier gibt es Vereinbarungen nach § 84 SGB V, dem sich einige Schwerpunktpraxen in Berlin angeschlossen haben. Meines Wissens nach beinhalten diese unter anderem, dass, wenn Reimporte verordnet werden, die Ärzte an den Einsparungen beteiligt werden und damit wirtschaftlich in ihrer Verordnungsweise sind. Durch den Gilead Vertrag können jetzt die Originalpräparate von Gilead Deutschland verordnet werden ohne sich dem Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit aussetzen zu müssen und, ganz wichtig, ohne teilweise fragwürdige Qualität der Produkte, denn wir hatten in letzter Zeit deutlich vermehrt Reklamationen bei den Reimporten in Hinblick auf Packungsdesign, Farbe oder Oberflächen der Tabletten. Das war mit ein Beweggrund für unseren Vertrag, aber wie gesagt nicht der einzige.
Was bedeutet der Vertrag für die Patienten und die Ärzte?
Thiele: Für die Patienten bedeutet er, dass sie nicht durch verschiedene Packungsdesigns oder Tablettenverfärbungen verunsichert werden und die bestmögliche Arzneimittelversorgung mit gleich bleibender Qualität auch in Zeiten, in denen ein hoher Kostendruck herrscht und in denen auf die Finanzierung geschaut werden muss, bekommen. Für die Ärzte bedeutet es, dass jederzeit qualitätsgeprüfte deutsche Ware zur Verfügung steht, die sie ohne Sorgen vor Wirtschaftlichkeitsprüfungen verordnen können.
Planen sie weitere Verträge?
Thiele: Wir sind offen und führen Gespräche, wie gesagt, um den Zugang zu den Gilead Arzneimitteln für die Patienten in diesen finanziell angespannten Zeiten sicher zu stellen. Wir werden auch zu Gesprächen von Krankenkassen eingeladen und zwar nicht nur im Hinblick auf ein reines Rabattmodell, sondern auch auf integrierte Versorgungsansätze. Aber hier stehen wir noch ganz am Anfang.
Welche Rolle spielen die Ärztevertretungen bei den Verhandlungen?
Thiele: Ich denke eine ganz große Rolle. Der Arzt ist ein wichtiger Partner in der Gesundheitsversorgung und sollte am Gelingen eines Vertrages beteiligt sein. Genau das ist ja bei dem HIV-Vertrag mit der AOK Berlin-Brandenburg umgesetzt worden, da die Kasse den Ärzten entsprechende Vereinbarungen nach § 84 SGB V anbietet. Für Gilead war dieses Einbindungsangebot ein wesentlicher Punkt, den Vertrag überhaupt zu machen. Solche Beteiligungen sind nicht unbedingt neu, früher gab und gibt es immer noch Generika-Quoten, Boni usw., die man auch in den Haus- und/oder Facharztverträgen findet. Die Einsparungen, die dort gemacht werden, kommen also den Arzt-Honoraren zugute. Angesichts der steigenden Kosten im Gesundheitswesen kann das meiner Meinung nach durchaus als eine Möglichkeit betrachtet werden, die Arzthonorare stabil zu halten und gleichzeitig Therapiefreiheit und Wirtschaftlichkeit zu sichern. Solche integrativen Versorgungskonzepte sind allerdings Neuland und das kann man nicht im Sturm erobern. Da müssen sich alle Partner erst mal mit kleinen Schritten vortasten.
Frau Thiele, herzlichen Dank für das Gespräch
Kreative Verträge
Rabattverträge über patentgeschützte Arzneimittel sind (noch) die Ausnahme. Gemessen am Umsatz machen sie weniger als 10% aller Rabattverträge aus. Und nur selten handelt es sich dabei um einen klassischen Rabattvertrag, bei dem der Hersteller der Kasse einen Preisnachlass gewährt und dafür als Gegenleistung wie bei Generika quasi ein Monopol erhält. Bei teuren Arzneimitteln sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. So gibt der Hersteller beim Risk-Share Vertrag eine Erfolgsgarantie, d.h. bei einem bestimmten Osteoporosemittel übernimmt der Hersteller die Kosten für die Behandlung von osteoporotischen Frakturen in einem festgelegten Zeitraum. Mehrwertverträge beinhalten zusätzliche Dienstleistungen des Herstellers, z.B. ein Informationsservice zu einer bestimmten Erkrankung. Beim Cost-Sharing erstattet der Hersteller der Krankenversicherung ab einem bestimmten Umsatz die weiteren Kosten zurück.
AMNOC – Grundlage für den Arzneimittelpreis
Das neue Gesetz, mit dem die Bundesregierung Kosten bei den Arzneimitteln einsparen will, verpflichtet den Hersteller bei der Zulassung von neuen Medikamenten ein Dossier zeitgleich mit dem Markteintritt vorzulegen. Anhand dieses Dossiers, das innerhalb von 90 Tagen im Rahmen einer Nutzen-Analyse vom IQWIG begutachtet wird, entscheidet der G-BA, der gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen, ob das neue Medikament einen zusätzlichen therapeutischen Nutzen hat. Gibt es einen solchen, ist der Hersteller trotzdem verpflichtet, mit dem Spitzenverband der Kassen einen Preis zu verhandeln. Hat das Medikament dagegen keinen Zusatznutzen im Vergleich zu den für die gleiche Indikation bereits zugelassen Medikamenten, wird das Präparat in eine Festbetragsgruppe mit Analogpräparaten eingeordnet und damit auch der Preis festlegt. Gibt es keine passende Festbetragsgruppe, wird auf Basis der Vergleichtherapie ein mit dieser Therapie vergleichbarer Preis festgelegt, der nicht höher als der der Vergleichstherapie ist. Nachdem der offizielle Preis festgelegt ist, können die Hersteller mit den regionalen Kassen zusätzliche Verträge aushandeln. Das ist politisch so gewollt, es soll Kosten einsparen und den Wettbewerb der Kassen stärken. Übrigens können auch bereits zugelassene Medikamente auf Antrag des G-BA einer solchen Nutzen- bzw einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden – mit den entsprechenden Konsequenzen.