Felix González-Torres:
Spezifische Objekte ohne spezifische Form
González-Torres Werk ist gekennzeichnet durch sehr sparsame, reduzierte Installationen und Skulpturen, in denen er meist simple Alltagsgegenstände verwendete: zu Lichterketten verbundene Glühbirnen, Uhren, zu Stapeln geordnete, bedruckte Plastikfolien – „stacks“ genannt, oder Aufschüttungen von bunt verpackten Bonbons – „candy spills“.
Zwar bedient sich González-Torres dabei formal der Ästhetik der Minimal Art und der Konzeptkunst der 60er und 70er, doch anstelle von deren Unterkühltheit stellt er durch subversive Eingriffe Nähe zum Betrachter her. So ist der Ausstellungsbesucher dazu aufgefordert, Bonbons oder Poster mitzunehmen und der Aussteller ergänzt das fehlende Material immer wieder. So wird die sonst übliche Barriere zwischen Publikum und Kunstwerk aufgehoben – diese werden erst vollständig durch den Betrachter, der als Benutzer aktiv im wörtlichen Sinne „teilnimmt“ – „denn sonst“, so äußerte er sich einmal, „ist das nur ein weiteres langweiliges Scheiß Minimal-Art Stück, das auf dem Boden hockt, und darum geht es nicht in meiner Arbeit.“ Dadurch wird der Besucher gleichzeitig Teil eines Auflösungsprozesses, der für González-Torres letztendlich eine Metapher für das Sterben bedeutete – mit all seinen damit verbundenen Assoziationen wie Trauer, Erinnerung das zentrale Thema seiner künstlerischen Arbeit darstellt. Konkret steht dahinter der die wiederkehrende Konfrontation mit dem Tod durch Aids, woran er auch selbst im Alter von 36 Jahren starb.
Candy spills
„Ohne Titel“ (Placebo), 1991, in Silberpapier eingewickelte Bonbons in
unbegrenzter Menge, Gesamtdimensionen variieren je nach Installation,
ideales Gewicht: 450 - 550 kg, und „Ohne Titel“ (Summer), 1993,
Glühbirnen, Verlängerungskabel, Porzellanfassungen, Gesamtdimensionen
variieren je nach Installation
Foto: Michael Herling, Uwe Vogt
„Ohne Titel“, 1991, Plakatwand,
Gesamtdimensionen variieren nach Installation
Foto: Mark Niedermann
„Ohne Titel“ (It‘s Just a Matter of Time), 1992, Plakatwand,
Gesamtdimensionen variieren nach Installation
Foto: Mark Niedermann
„Ohne Titel“ (America), 1994,
Installationsansicht der Lichterkette über der Mittleren Brücke, Basel,
Glühbirnen, wasserdichte Gummi-Glühbirnenfassungen und
Gummi-Verlängerungskabel, Gesamtdimensionen variieren nach Installation
Foto: Mark Niedermann
Die Bonbonaufschüttungen – goldglänzende Teppiche, grüntransparente Streifen oder rot-weiß-blaue Haufen, unterlaufen nicht nur die farblich reduzierte, heroische Gestik der Minimal Art mit ihren oft streng geometrisch gesetzten Stahlplatten und Betonkuben, letztere wecken in ihrer vordergründigen Fröhlichkeit auch gesellschaftskritische Assoziationen – z.B. zu den Farben von Nationalflaggen wie der amerikanischen oder französischen, deren Symbolik „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ durch die Verpackung parodiert zu werden scheint. Und der intime und nicht unschuldige Akt des Essens eines Geschenks wird geschickt mitverpackt: So warnt ein Hinweisschild zu dem wie Quecksilber schimmernden Bonbonhaufen „Untitled (Lover Boys)“: „Der Verzehr der Bonbons geschieht auf eigene Gefahr“.
Der Schmerz der Abwesenheit
Ein weiterer an die Konzeptkunst als politisch motivierte Kunstform anknüpfender Werkkomplex sind Fotos, die z.B. auf Reklametafeln in New York präsentiert wurden. Eines der markantesten zeigt die Schwarzweiß-Fotografie eines leeren, verlassenen Bettes: zu sehen ist sein eigenes – die Kopfabdrücke in den beiden Kissen stammen von ihm und seinem Lebensgefährten Ross Laycock, der 1992 an Aids starb. Doch im Gegensatz zur reißerischen Benetton-Werbekampagne, die 1995 das Foto eines Aids-Kranken für ihre Zwecke missbrauchte, vertraut Gonzales-Torres der Subtilität, die umso nachhaltiger wirkt, als das Foto allgemein den Schmerz der Abwesenheit thematisiert.
Ross Laycock hatte er schon zu dessen Lebzeiten viele Werke gewidmet, insbesondere jedoch nachdem dieser an AIDS gestorben war. „Wenn mich die Menschen fragen, wer mein Publikum sei, so sage ich ganz ehrlich, ohne zu zögern: Ross. Das war mein Publikum. Die anderen Leute kamen einfach zu meiner Arbeit.“
Perfect Lovers und Date Pieces
Gonzales-Torres verstand es meisterhaft, selbst klischeehaften Metaphern einen authentischen Beigeschmack zu geben. So zeigt die „Perfect Lovers“ betitelte Arbeit zwei identische Uhren, die nur so lange im Gleichtakt gehen, bis die Batterien in einer der beiden schwächer werden, die Uhr langsamer wird und schließlich stehen bleibt – Sinnbild für das Ende einer Beziehung durch den ungleichzeitigen Tod der beiden Partner.
Seine „Date Pieces“, Tafeln, die oft nur aus einem Satz oder einer Jahreszahl bestehen und in weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund stehen, verstand er als Porträts. Anders als die „Date Paintings“ von On Kawara, die sich auf in der Öffentlichkeit kommunizierte Tagesereignisse beziehen, verweisen diese auf Ereignisse im Privatleben des Porträtierten.
Spezifische Objekte ohne spezifische Form
Der Titel der Ausstellung „Specific Objects without Specific Form“ bezieht sich auf eine Äußerung des amerikanischen Konzeptkünstlers Lawrence Weiner, der damit meinte, dass González-Torres mit seinen Kunstwerken etwas Einfaches, aber absolut Radikales zustande gebracht hätte, denn sie widersetzen sich der herkömmlichen Vorstellung, der zufolge eine Ausstellung etwas Fixiertes ist und eine Retrospektive den Anspruch des umfassenden Überblicks hat. Die aktuelle Ausstellung in der Fondation Beyeler zeigt daher die Werke von González-Torres in zwei verschiedenen Kontexten: Neben einer Präsentation in der Sammlung zur klassischen Moderne wird die Ausstellung Every Week There Is Something Different von 1991 nachgestellt, die damals über einen Zeitraum von vier Wochen kontinuierlich verändert wurde. Die amerikanische Künstlerin Carol Bove fügt wöchentlich Kunstwerke hinzu oder entfernt sie und ändert die Beleuchtung, die Beschriftungen und die Präsentation der Werke.
Vom 28. Januar bis 25. April 2011 wird die Ausstellung dann im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main zu sehen sein, kuratiert von dem deutsch-britischen Künstler Tino Sehgal, der 2005 mit Thomas Scheibitz den deutschen Pavillon auf der 51. Biennale in Venedig gestaltete.