Neue Fortbildungsreihe gestartet
HIV/STI-Prävention und Beratung in der Arztpraxis
Hintergrund
Kommende Seminartermine:
04. September 2010 | Workshop auf der DAGNÄ-Tagung in Köln |
23. Oktober 2010 | Tagesseminar in Hamburg |
30. Oktober 2010 | Tagesseminar in Stuttgart |
20. November 2010 | Tagesseminar in München |
04. Dezember 2010 | Tagesseminar in Dortmund (Region) |
Für die Seminare wird keine Teilnehmergebühr erhoben. Die Landesärztekammern bewilligen bis zu acht Fortbildungspunkte. Weitere Informationen über das Projekt sind erhältlich über Steffen Taubert, Deutsche AIDS-Hilfe, Wilhelmstraße 138, 10963 Berlin. steffen.taubert@dah.aidshilfe.de , Tel. (030) 69 00 87-88
Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts infizieren sich in Deutschland jährlich rund 3.000 Menschen mit dem HI-Virus. Dabei entfallen 72% aller Neudiagnosen auf Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Auch andere STIs wie Syphilis und Hepatitis C spielen in dieser Gruppe eine größere Rolle als in der Durchschnittsbevölkerung. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat darauf reagiert und mit „ICH WEIß WAS ICH TU“ eine zielgruppenspezifische Kampagne entwickelt, die MSM darin bestärkt, mit ihrer Sexualität und mit Gesundheitsrisiken bewusst(er) umzugehen. Über Printmedien, interaktive Webseiten, Aktionen in der schwulen Szene sowie HIV/STI-Testung und Beratung bieten regionale Aidshilfen vielfältige Möglichkeiten der Information und Unterstützung an.
Für das medizinische System böten sich unterschiedliche Anknüpfungspunkte, die Präventionsstrategien der Aidshilfen zu unterstützen:
- Obwohl die Aidshilfen mit ihren regionalen und bundesweit organisierten Angeboten eine vielfältige und qualitativ hochwertige Beratungslandschaft aufbauen konnten, finden nicht alle MSM einen Zugang dazu. Ähnliches gilt für zielgruppenspezifische Kampagnen oder Medien, wie z.B. Anzeigen oder Beiträge in Schwulenzeitschriften. Ärzte können helfen, Basisinformationen an Menschen weiterzugeben, die über Medien und Kampagnen nicht erreicht werden.
- Ausreichende Informationen über gesundheitsförderliches Verhalten sind eine wichtige Grundlage für persönliche Entscheidungen, führen aber nicht unbedingt dazu, dass Menschen sich dann auch entsprechend verhalten können oder wollen. Ursachen sind in der Regel Ambivalenzkonflikte aufgrund konkurrierender Bedürfnisse, wie z.B. Gesundheit auf lange Sicht oder erfüllter Sexualität. Im Beratungsgespräch können Ambivalenzen genauer erkundet und individuelle Lösungen gefunden werden. Zugleich können Ärztinnen und Ärzte auch detailliertere Fragen zu den Übertragungswegen beantworten und so das individuelle Risikomanagement unterstützen.
- Obwohl die Gesellschaft dem Thema „Homosexualität“ heute offener gegenübersteht, gibt es nach wie vor Männer, die durch den Kontakt mit einer Aidshilfe oder im Gespräch mit dem Arzt ein Outing befürchten. Die sexuelle Identität wird dadurch zu einem Tabuthema, auch in der Arzt-Patientenbeziehung. So steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine HIV-Infektion unerkannt bleibt, weil ein HIV-Test nicht in Erwägung gezogen wird. Hier kann es helfen, wenn Ärzte tabuisierte Gesprächsthemen erkennen und behutsam ein offenes Gespräch anbieten können.
Mediziner/innen, Aidshilfen und Patienten sahen die Notwendigkeit, Ärzte und Ärztinnen für diese Sachverhalte zu sensibilisieren und den Arzt-Patient-Kontakt stärker für die Prävention zu nutzen.
Reden – aber wie?
Um die „ärztliche Prävention“ aus der Perspektive verschiedener Institutionen diskutieren zu können, gründete die DAH 2006 einen Projektbeirat, dem Vertreter der DAGNÄ, des Kompetenznetzes HIV/AIDS, der DAIG, der BZgA und der KV Berlin sowie Sozialwissenschaftler und Patienten angehören. Auch wenn es Gründe gibt, die für ein Mehr an STI-Beratung sprechen, war es der DAH und dem Projektbeirat zunächst nicht klar, ob Ärztinnen und Ärzte diese Aufgabe in ihren Praxisalltag integrieren können und ob die Patienten dies überhaupt wünschen. Die DAH beauftragte daher 2007 die Universität Bayreuth, eine Befragung bei Ärzt(inn)en und Patienten durchzuführen (die komplette Studie ist über die DAH erhältlich). Die Forscherinnen, Prof. Julika Loss und Angelika Wolf, kamen zu folgenden Ergebnissen1:
- Das Bedürfnis der Patienten, über Fragen der HIV/STI-Prävention zu sprechen, ist unterschiedlich. Gewünscht werden Ärzte oder Ärztinnen, die erkennen, ob jemand ein solches Gespräch möchte oder nicht, und dies respektieren.
- Die Beratung muss mit dem Anlass des Arztbesuchs in Zusammenhang stehen. Hilfreich ist eine behutsame Annäherung, die sich über mehrere Termine erstrecken kann.
- Datenschutz, Diskretion und eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung sowie die Akzeptanz der schwulen Sexualität sind Voraussetzungen für die Bereitschaft zum Gespräch.
- Aus dem Bewusstsein, dass Gespräche zum Thema HIV/STI-Prävention besondere Herausforderungen darstellen, meldeten Ärztinnen und Ärzte einen Bedarf an Fortbildung und Erfahrungsaustausch an. Interessiert seien sie vor allem an den Themen Kommunikation und Gesprächsführung im Kontext der HIV/STI-Beratung.
Die Kommunikation verbessern
Um den in der Studie geäußerten Wunsch nach spezifischer Fortbildung nachzukommen, beauftragte die DAH die Kölner AHNRW-BSS (ein Dienstleistungsunternehmen der Aidshilfe Nordrhein-Westfalen, das u.a. Service- und Weiterbildungsprojekte im Bereich HIV/STI entwickelt), damit, ein modulares Curriculum, das Fortbildungsveranstaltungen von unterschiedlicher Dauer ermöglicht zu entwickeln.
Das erste Seminar, das nach diesem Curriculum durchgeführt wurde, fand am 12. Juni 2010 in den Räumen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Berlin statt und diente als „Pre-Test“ zur Erprobung des Curriculums. Die Trainer – Prof. Martin Dannecker, Dr. Stefan Esser und der Psychologe Christopher Knoll – begleiteten die Gruppe durch die Themen:
- Sprachcodes und Tabus – über Sexualität sprechen
- Zum Schutz und Risiko beraten – Strategien einer lösungsorientierten Beratung
- „HIV-positiv!“ Schwierige Diagnosen mitteilen
- Vernetzungsmöglichkeiten im Hilfesystem
Im Berliner Pretest-Seminar zeigten die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte ein großes Interesse am Austausch über schwierige Beratungssituationen. Teilgenommen haben neben HIV-Schwerpunktärzt(inn)en auch Psychiater/innen, Psychotherapeut(inn)en, Hausärzte sowie einige Mitarbeiterinnen aus Gesundheitsämtern. Als besonders hilfreich erlebten die Teilnehmer/innen praktische Übungen und die Simulation von Beratungssituationen. Die Feedbacks der Seminarteilnehmer werden derzeit von der Sozialwissenschaftlerin Angelika Wolf systematisch ausgewertet und dienen als Grundlage für die Durchführung der weiteren Veranstaltungen im Herbst.
1 Loss, J und Wolf, A. Erforschung und Entwicklung von HIV- und STD-Präventionsstrategien für MSM in der ärztlichen Praxis. Abschlussbericht zur qualitativen Datenerhebung. Deutsche AIDS-Hilfe. 2009.