Alexander Kreuter, Norbert Brockmeyer, Ulrike Wieland
Hochgradige Anale Dysplasien bei
HIV-positiven MSM – Vorstufe zum Analkarzinom
Analkarzinome gelten als gefährliche Tumore, kommen jedoch verglichen mit anderen gastroenterologischen Tumorarten relativ selten vor und machen nur ca. 1% dieser Tumorarten aus. Eigentlich treten sie vorwiegend bei älteren Frauen auf, doch zunehmend leiden auch HIV-positive Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), unter Analkarzinomen. Bei HIV-negativen MSM liegt das relative Risiko für die Entwicklung eines Analkarzinoms bei 35 pro 100.000, bei HIV-positiven MSM ist das Risiko an Analkrebs zu erkranken, mindestens doppelt so hoch (70-100 pro 100.000). Da durch die moderne antiretrovirale Therapie (HAART) die Lebenszeit HIV-positiver Menschen heute deutlich verlängert werden kann, ist auch die Fallzahl von Analkarzinomen deutlich angestiegen. Es wird daher damit gerechnet, dass durch die deutlich verlängerte Lebenserwartung HIV-Positiver, Analkrebs in Zukunft zu einem zentralen Problem der modernen HIV-Medizin werden wird. Die Aufklärung über die Risiken, über Krebsvorstufen und erste klinische Anzeichen, sowie über entsprechende Vorsorge- und Therapiemöglichkeiten, ist daher insbesondere für HIV-positive Männer enorm wichtig.
Ergebnisse der AIN-Langzeitstudie aus Deutschland
Abb. 1: Hochauflösende Anoskopie. Mittels eines konventionellen Kolposkops wird nach Applikation von 5%iger Essigsäure die gesamte Zirkumferenz des distalen Rektums, der Transformationszone, des Analkanals und der Perianalregion auf das Vorhandensein von Dysplasien hin untersucht
In einer Langzeitstudie des Kompetenznetzes HIV/AIDS, durchgeführt und geleitet von Prof. Alexander Kreuter und Prof. Norbert Brockmeyer der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr-Universität Bochum und Prof. Ulrike Wieland vom Institut für Virologie der Uniklinik Köln, wurden über einen Zeitraum von knapp sechs Jahren 446 Patienten ärztlich begleitet und dokumentiert. Ein Ergebnis der Studie war überraschend und zugleich erschreckend: Aus hochgradigen AIN entwickelte sich bei fünf Männern in kürzester Zeit, innerhalb von ca. 8 Monaten, ein Analkarzinom.
Alle Studienteilnehmer waren HIV-positive MSM im Alter von 18 bis 72 Jahren. Im Rahmen der Dysplasien-Sprechstunde an der Dermatologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum wurden die Patienten regelmäßig digital rektal untersucht. Zur Untersuchung gehörte zusätzlich eine Zytologie der Analschleimhaut mittels Abstrich, eine Biopsie zur histologischen Materialgewinnung bei auffälliger Klinik, eine HPV-Typisierung sowie eine quantitative HPV-Bestimmung (Viruslastanalyse) der Hochrisikotypen HPV16,18,31, und 33. Durch eine hochauflösende Anoskopie mit einem konventionellen Kolposkop aus der Gynäkologie wurde die Perianalregion, der Analkanal, die Linea dentata (Transformationszone) und das distale Rektum in 30-facher Vergrößerung untersucht. Dadurch konnte ermittelt werden, ob sich bei den Patienten bereits eine anale Dysplasie entwickelt hat und entsprechend weitere therapeutische Schritte notwendig sind.
AIN bei HIV-positiven MSM sehr häufig
Grundsätzlich werden anale intraepitheliale Neoplasien (AIN) in drei Grade unterteilt: AIN-1: leichte Dysplasie im unteren Drittel der Epidermis (Oberhaut); AIN-2: mittelgradige Dysplasie in der unteren und mittleren Epidermis; AIN-3: hochgradige Dysplasie in der gesamten Epidermis.
Ausgelöst wird eine AIN praktisch immer durch eine Infektion mit dem humanen Papillomavirus (HPV). Infektionen mit HPV gehören zu den am häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten, die meisten sexuell aktiven Menschen infizieren sich im Laufe ihres Lebens mit HP-Viren. Dabei ist das Virus für Menschen mit einem intakten Immunsystem fast immer ungefährlich und kann in der Regel innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne (ca. 6- 12 Monate) wieder eliminiert werden. Bei immunsupprimierten Menschen, wie etwa bei HIV-positiven Patienten, verlaufen HPV-Infektionen jedoch sehr häufig chronisch und können je nach Virus-Typ benigne oder maligne Veränderungen hervorrufen.
Von den 446 untersuchten Studienteilnehmern wiesen 116 Männer (26%) keine Dysplasien auf, 163 (36%) hatten eine niedriggradige Dysplasie (AIN-1), bei 156 (35%) wurden hochgradige Dysplasien (AIN2-3) diagnostiziert und bei elf Patienten (2,5%) hatte sich bereits ein Analkarzinom gebildet. Während eine niedriggradige Dysplasie (AIN-1) noch als eine Veränderung am „gutartigen Ende des Spektrums“ angesehen werden kann, muss bei einer hochgradigen Dysplasie (AIN2-3) mit einer schnellen Verschlechterung gerechnet werden: In durchschnittlich 8,6 Monaten entwickelte sich hieraus bei fünf Studienteilnehmern ein invasives Analkarzinom.
Alle elf Patienten, die an Analkrebs litten, waren mit einem der high-risk HPV-Typen infiziert, sechs von ihnen wurden HPV-16 positiv getestet. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass HPV-16 in Verbindung mit Analkanal-Tumoren festgestellt wurde, von den fünf Analrandkarzinomen war jedoch nur eines HPV-16-positiv (bei den restlichen vier konnten andere verursachende high-risk HPV-Typen ermittelt werden).
Therapie und Prognose
Die Unterscheidung zwischen Analrand- und Analkanalkarzinom ist auch für die Therapie und Heilungsprognose maßgeblich: Karzinome am Analrand können wie Hautkarzinome behandelt und meist operativ entfernt werden, für die Patienten ergeben sich hieraus sehr gute Heilungschancen: keiner der Patienten verstarb an den Ursachen des Analrandkarzinoms und es ereigneten sich auch keine Rückfälle der Tumorerkrankung. Bei Analkanalkarzinomen ist die Therapie hingegen langwieriger und die Heilungschancen sind deutlich schlechter. Es wird in der Regel eine kombinierte Radiochemotherapie durchgeführt, welche der früher bevorzugten alleinigen Strahlentherapie deutlich überlegen ist und sich deshalb bei Analkarzinomen im Analkanal zur Standardbehandlung entwickelt hat. HIV-Infizierte haben jedoch deutlich häufiger schwere Nebenwirkungen als HIV-negative Patienten, besonders toxische Hautschäden durch die Radiatio.
Abb. 2: Behandlungschema bei analen Dysplasien
Risikofaktor Rauchen
Etwa die Hälfte aller 446 Studienteilnehmer waren Raucher (51%). Auffällig hierbei war, dass von den elf Patienten, die an Analkrebs litten, neun starke Raucher waren. Es zeigte sich zudem in früheren Studien, dass Raucher mit Analkarzinomen eine erhöhte Mortalitätsrate haben als Nichtraucher. Nach einem Behandlungszeitraum von fünf Jahren starben 45% der rauchenden Patienten, unter den Nichtrauchern waren es 20%. Tabakrauchen kann somit insgesamt als ein Risikofaktor für HPV-assoziierte Analkarzinome ausgemacht werden.
Vorsorge wichtig
Eine prophylaktische HPV-Impfung kann vor verschiedenen HP-Virustypen schützen (unter anderem auch vor den High-Risk-Typen HPV-16 und HPV-18), sofern die Infektion noch nicht erfolgt ist. In Deutschland wird diese Impfung momentan für junge Mädchen im Alter von 12-17 Jahren zur Reduktion des Zervixkarzinoms und seiner Vorstufen empfohlen. Erste Studien weisen nun darauf hin, dass die prophylaktische HPV-Impfung auch AIN bei HPV-naiven MSM verhindern kann. Da bei HIV-positiven MSM aus einer AIN in kurzer Zeit Analkrebs entstehen kann, bleibt momentan bis zum Vorliegen weiterer Studienergebnisse nur die möglichst frühzeitige Behandlung der AIN zur Verhinderung von Analkarzinomen.
Literatur bei den Verfassern