„HIV-Patienten sollen sich mit allen Kräften wehren“
Die „Gesundheitskarte“ (eGK) sollte ursprünglich zum 1.1.2006 eingeführt werden. Für das Gemeinschaftsprojekt von Krankenkassen, Ärzten, Zahnärzten, Apotheken und Kliniken wurde die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) gegründet. Doch missglückte Testläufe und organisatorische Probleme verzögerten den Start des mittlerweile 600 Millionen teuren Projektes um runde fünf Jahre.
Seit Oktober 2011 tauschen die Krankenkassen nun die bisherige Krankenversichertenkarte schrittweise gegen die eGK aus. Das heißt konkret: 70 Millionen gesetzlich Versicherte werden nach und nach mit der neuen Karte ausgestattet. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung sind bereits zwischen 75 und 100 Prozent der Praxen in den 16 Kassenärztlichen Vereinigungen mit neuen Kartenlese-Terminals ausgestattet, die sowohl die neuen elektronischen Gesundheitskarten als auch die bisherigen Krankenversichertenkarten einlesen können. Denn die bisherigen Krankenversichertenkarten gelten noch neben der elektronischen Gesundheitskarte, jedoch nur für eine begrenzte Dauer.
Zunächst ändert sich nicht viel durch die eGK. Sie speichert wie die bisherige Krankenversichertenkarte die Verwaltungsdaten: Name, Geburtsdatum, Anschrift, Versichertennummer und Versichertenstatus. Neu ist die Angabe des Geschlechts. Aber die elektronische Karte kann mehr. Sie ist technisch so vorbereitet, dass sie weitere Informationen einlesen kann, sobald die technische Struktur dafür steht. Das Ziel: Die Krankendaten bündeln, die Ärzte besser vernetzen, Kosten sparen und effizienter behandeln können.
Laut Bundesministerium für Gesundheit können die Versicherten dann selbst bestimmen, ob und welche medizinischen Daten auf ihre Karte kommen und ob die Daten übermittelt werden dürfen.
„Nach der Theorie sollen die Patienten auch bestimmen können, wer zu ihren Daten Zugang hat. Auf freiwilliger Basis. Nun kann man die Fantasie haben, dass, was freiwillig nicht funktioniert, irgendwann zur Pflicht gemacht wird“, sagt Christoph Kranich, Fachabteilungsleiter Gesundheit und Patientenschutz der Verbraucherzentrale Hamburg. Denn das viele Geld, das bereits investiert worden ist und für die geplante Datenvernetzung noch investiert werden muss – die gematik selbst spricht von Milliardenbeträgen – soll sich auszahlen. Für Kranich stellt sich daher nicht nur die Frage nach der Datensicherheit: „Die Gesundheitskarte birgt ein gefährliches Potential, sie könnte der Schlüssel für eine Zwangsvernetzung im Gesundheitswesen sein, um alle Krankheitsdaten über das Internet in zentralen Servern zu speichern.“
Kranich versteht,
dass gerade HIV-Patienten ihre Krankendaten nicht vernetzen wollen, und empfiehlt,
sich mit allen Kräften gegen die elektronische Gesundheitskarte zu wehren:
„Zwar kann die neue Karte im ersten Schritt in den ersten Jahren nicht mehr als
die alte Versichertenkarte. Das ist zwar beruhigend, aber vielleicht der
Einstieg in eine schleichende Entwicklung, die sich später nicht rückgängig machen lässt.“
Wie können sich Patienten wehren?
Wer trotz Aufforderung sein Foto nicht bei seiner Krankenkasse einschickt, wird trotzdem weiter behandelt. Widerstand demonstrieren kann man zum Beispiel über den „Stoppt die e-Karte“-Verein, der von kritischen Ärzten ins Leben gerufen wurde. Auf der Website des Vereins steht ein Musterbrief als Download, mit dem der Patient seiner Krankenkasse sein Nein zur e-Karte mitteilen kann.
Sollte das Foto ein Muss werden, dann heißt es aufpassen und auf keinen Fall die erweiterten Funktionen der eGK akzeptieren, um Zugang zu Diagnosen und Krankengeschichten zu schützen.
Für mehr Informationen: www.stoppt-die-e-card.de. Auf der Website der Verbraucherzentrale Hamburg www.vzhh.de kann man für die Schutzgebühr von 1,80 Euro eine achtseitige aktuelle Übersicht über Chancen und Risiken der elektronischen Gesundheitskarte downloaden.