Hubertus M. Friederich, Tübingen
Raucherentwöhnung von HIV-Patienten Medikamentöse Behandlungsstrategien
Indikation für pharmako-therapeutische Ansätze
80% der HIV-infizierten Menschen in Deutschland sind Männer, über drei Viertel davon homosexuell orientiert. Rund 15% der HIV-infizierten sind i.v.-Drogengebraucher.1 Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen anderer psychiatrischer Störungen wie Depressionen oder Angststörungen neben Suchterkrankungen (Alkohol und Drogen) ist bei homosexuellen Männern 1,5-fach erhöht.2 Mehr als 50% der HIV-Infizierten sind Raucher, und auch für Menschen mit Depressionen und Angststörungen zeigen sich im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhte Raucherquoten von mehr als 40% bzw. mehr als 75% bei Alkohol- oder Drogenabhängigen.3,4 HIV-infizierte Raucher sind mit einem FTND-Wert (Fagerström Test für Nikotinabhängigkeit) von 4/10 mindestens mittelgradig tabakabhängig.5
Abb. 1 Erstellt aus Fiore et al. „Treating tobacco use and dependence: 2008 Update“
Neben den psychosozialen sind vor allem neurobiologische und speziell die abhängigkeitserzeugende Wirkung von Nikotin dafür verantwortlich, dass gerade abhängige Raucher nur schwer ganz eigenständig rauchfrei werden können. In aktuell gültigen Leitlinien finden sich daher detaillierte Bewertungen und Empfehlungen sowohl zu verhaltenstherapeutisch basierten als auch zu pharmakologischen Therapieoptionen.6,7,8 Für HIV-infizierte gilt danach wie für andere spezielle Risikogruppen (z.B. mit koronarer Herzkrankheit), dass mindestens eine Kombination von Rauchstoppberatung und Pharmakotherapie, im besten Fall jedoch eine verhaltenstherapeutisch orientierte Einzel- oder Gruppenbehandlung mit einer soliden Pharmakotherapie signifikant bessere Ergebnisse verspricht. Die in den Leitlinien empfohlenen Medikamente erster Wahl sollen im Folgenden zusammenfassend dargestellt werden. Eine Übersicht über die beschriebenen Präparate bzw. ihrer Kombinationen zusammen mit ihrer relativen Wirksamkeit (Odds Ratio = OR) wurde in der nebenstehenden Tabelle aus den Angaben des Leitlinien-Updates der USA von 2008 dargestellt (Abb. 1).8
Nikotinersatztherapie (NRT)
Die Einführung von Nikotinkaugummis 1983 und Nikotinpflastern 1991 stellte die erste effektive pharmakologische Behandlungsoption im Rahmen der Tabakentwöhnung dar. Nikotin als Bestandteil des Tabakrauchs ist aufgrund seiner sehr raschen Bioverfügbarkeit und seiner je nach Dosierung und Kontext der Aufnahme unterschiedlichen Auswirkungen auf Stimmung, Appetit und kognitive Leistungsfähigkeit einer der wichtigsten Gründe für die Aufrechterhaltung des Rauchens und die Entstehung der Tabakabhängigkeit. Bereits innerhalb der ersten zehn Sekunden nach Inhalation des Tabakrauchs erreicht der Nikotinspiegel im arteriellen Blut des Rauchers seinen Maximalwert. Die daraufhin vornehmlich über eine Dopaminfreisetzung im so genannten Belohnungssystem des Gehirns ausgelösten verschiedenen positiven Effekte sowie die bei Absinken des Nikotinspiegels im Verlauf in vielen Fällen sich entwickelnden Entzugssymptome veranlassen den Raucher zum erneuten Konsum.
Nikotinpflaster
Nikotinersatzpräparate (Kaugummi,
Pflaster, Sublingual- und Lutschtablette sowie Nasenspray und Nikotininhaler)
imitieren die Wirkungen des durch das Rauchen aufgenommenen Nikotins. Dabei
erreichen nur Nikotin-Nasenspray und -Inhaler schneller ansteigende
Plasmaspiegelverläufe. Als letzte wichtige Meta-Analyse der seit den 1980er
Jahren zahlreich durchgeführten Studien ist die Cochrane-Analyse von Silagy et
al. 20069 mit 123 eingeschlossenen Studien erwähnenswert. Alle dabei
untersuchten Nikotinersatzpräparate erhöhten die Wirksamkeits- bzw.
Abstinenzraten im Rahmen der Tabakentwöhnung signifikant. Die relative
Wirksamkeit (OR) über alle Präparate gemittelt betrug 1,77. Höhere
Abstinenzraten wurden durch die Anwendung von 4 mg- im Vergleich zu
2 mg-Nikotinkaugummis, durch die Anwendung der doppelten im Vergleich zur
normalen Pflaster-Dosis sowie durch die Kombination von Nikotinpflaster und
einer zusätzlich bedarfsweisen Einnahme von Nikotinkaugummi erzielt. Ob
12-Stunden- oder 24-Stunden-Pflaster eingesetzt wurden und ob die Nikotindosis
zum Ende der üblicherweise 2-3 Monate durchzuführenden Behandlung
ausgeschlichen wurde, war für die langfristige Abstinenzquote irrelevant.
Generell waren die Abstinenzraten höher, wenn die Nikotinersatztherapie mit
einer verhaltenstherapeutischen Unterstützung kombiniert wurde.
In Deutschland stehen zur Tabakentwöhnung Nikotin-Kaugummis, Nikotin-Pflaster und Nikotin-Tabletten (Lutsch- und Sublingualtablette) sowie als neuestes Präparat ein Nikotin-Inhaler als nicht verschreibungspflichtige Präparate zur Verfügung. Nikotin-Kaugummis und Nikotintabletten ermöglichen eine kurzfristigere Anpassung an den individuellen Nikotinbedarf und z.B. auch eine bedarfsweise Applikation zur Rückfallprophylaxe. Nikotinpflaster (in 3 Stärkegraden und für 16 oder 24 Stunden) werden einmal täglich appliziert und gewährleisten einen konstant mittleren Nikotinspiegel. Aus suchttherapeutischer Sicht ist bei den Pflastern gegebene Entkopplung der Nikotinzufuhr vom üblichen oralen Zufuhrverhalten empfehlenswert. Die möglichen Nebenwirkungen aller NRT-Präparate beziehen sich vorwiegend auf lokale Reizungen sowie übliche Symptome, die auch bei einer Überdosierung von Nikotin über Rauchen entstehen können (Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit). Kontraindikationen sind allenfalls für die am schnellsten wirkende NRT-Form erwähnenswert: schwere Arrhythmien, frischer Herzinfarkt, instabile schwere Angina pectoris, frischer Schlaganfall. Eine Kombination von Nikotinpflaster und -kaugummi wird vom deutschen Leitlinien-Panel für stärker abhängige Raucher empfohlen.6
Bupropion
Bupropion (Zyban®), ein monozyklisches Antidepressivum, hemmt die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dopamin und soll damit manche der unangenehmen Entzugssymptome mildern. Die Wirksamkeit steht nicht mit der antidepressiven Wirkung in Verbindung, da es die gleiche Wirkung bei Rauchern mit und ohne Depressionen in der Anamnese erzielte. Daneben zeigte sich in vitro und in Tierversuchen ein nicht-kompetitiver, antagonistischer Effekt auf nikotinische Acetylcholin-Rezeptoren.10 Hughes et al.11 stellte in seiner Meta-Analyse von 21 Therapiestudien 2004 fest, dass sich die Abstinenzaussichten durch Anwendung von Bupropion in der Tabakentwöhnung etwa verdoppeln ließen (OR 1,99). Die Kombination mit einem Nikotinpflaster war darüber hinaus signifikant wirksamer im Vergleich zu Bupropion allein.12 Verschiedene Studien wiesen nach, dass Bupropion bei Rauchern mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, mit koronarer Herzerkrankung und bei zuvor schon mit Bupropion behandelten Rauchern wirksam und sicher war.
Die Behandlung mit Bupropion erfolgt zunächst eindosierend für 7 Tage mit 1x täglich 150 mg, im weiteren Verlauf dann gesteigert auf die empfohlene Maximaldosis von 2x täglich 150 mg. Der Raucher sollte erst nach einer Woche der Tabletteneinnahme den Tabakkonsum einstellen, wenigstens sechs Wochen nach dem Abstinenzbeginn sollte die Medikation weitergeführt werden. Häufige besonders zu Beginn der Behandlung auftretende Nebenwirkungen (>0,1%) sind Mundtrockenheit, Schlaflosigkeit und Übelkeit. Zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen zählen allergische Reaktionen, Synkopen und generalisierte Krampfanfälle mit einer Häufigkeit von weniger als 0,1%. Wichtige Kontraindikationen sind vorbekannte schwere Hirnerkrankungen, insbesondere dabei die erhöhte Neigung zu Krampfanfällen, Essstörungen, Behandlung mit MAO-Hemmern und eine schwere Leberzirrhose.
Pharmakotherapie bei Rauchentwöhnung (Quelle: Mathers FG, HIV&more 1/2009)
Vareniclin
Vareniclin (Champix®) ist seit 2007 in Deutschland zugelassen. Bei der Entdeckung von Vareniclin 1997 stand die Substanz Cytisin Pate, die schon seit etwa vierzig Jahren in Osteuropa zur Tabakentwöhnung verwendet wird, bisher jedoch in nur wenigen Studien und mit nicht ausreichender Evidenz als Pharmakotherapeutikum in der Tabakentwöhnung wahrgenommen wurde.13 Vareniclin ist ein partieller Agonist an cerebralen nikotinergen Acetylcholinrezeptoren vom Subtyp alpha4beta2, die mit den suchterzeugenden Verstärkereffekten von Nikotin assoziiert sind. Als Partialagonist erreicht Vareniclin 45% der Effektivität von Nikotin an diesem Rezeptor14, wodurch die Entzugssymptome der Tabakentwöhnung minimiert werden können, andererseits hemmt es die Effekte extern zugeführten Nikotins, womit zusätzliches Rauchen weniger belohnt wird.
Vareniclin wird im Verlauf der ersten Behandlungswoche bei fortgesetztem Zigarettenkonsum nach einem vorgegebenen Schema aufdosiert, bevor in der zweiten Therapiewoche dann der Rauchstopp folgen soll. Die Dauer der Behandlung sollte mindestens 12, maximal 24 Wochen umfassen. In einer ersten Meta-Analyse fanden Cahill et al.15 auf der Basis von 5 Studien für die Zielvorgabe einer kontinuierlichen Abstinenz nach 12 Monaten eine Odds Ratio von 3,22 im Vergleich mit Placebo und eine OR von 1,66 im Vergleich mit Bupropion. Als Nebenwirkung trat am häufigsten Übelkeit auf, insbesondere am Anfang der Behandlung und von mildem Ausmaß. Daneben kam es weniger häufig zu Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und abnormen Träumen. Die in jüngerer Zeit berichteten, möglicherweise gehäuft auftretenden schweren Nebenwirkungen in Form von Aggressivität, suizidalen Gedanken sowie vollzogenen Suiziden ließen sich im Rahmen von Studien nicht bestätigen. Im Gegenteil, einige Studien berichten sogar von einer Verbesserung von zuvor schon bestandenen negativen affektiven Symptomen.16 Vorerst wird empfohlen, auf depressive Verstimmungszustände bei der Tabakentwöhnung mit Vareniclin zu achten und gegebenenfalls im Einzelfall das Präparat frühzeitig abzusetzen.