STREIFLICHT
Die Deutschen und ihre Mysophobie1
Dies Konzept der Problemlösung, die Verlagerung von der praktizierten Medizin in spezialisierte Behörden, ist hocheffektiv. Es hat in ähnlicher Weise bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus auch schon jahrzehntelang viele Arbeitsplätze geschaffen mit vergleichbar nachhaltigen Erfolgen wie in der Medizin.
Politik und Wirtschaft ziehen am selben Strang …
Deutsche Unternehmen haben dieses Wirkungsfeld inzwischen ebenfalls für sich entdeckt.
Beispiel #1: Ein kommunales Krankenhaus nötigt seine Mitarbeiter bei Einstellung zu einem HIV-Test. Ein positives Testergebnis oder die Verweigerung des Tests führen zur Kündigung in der Probezeit.
Dem Arbeitnehmer wird schon vorab fürsorglich mitgeteilt, dass die Kündigung zwar wegen der Verweigerung des eigentlich freiwilligen HIV-Tests erfolgt, aber nicht damit begründet wird.2 Dass eine HIV-Infektion kein generelles Tätigkeitsverbot begründen kann, wird erst gar nicht berücksichtigt.3
Beispiel #2: Das Universitätsklinikum in Frankfurt/Main bemüht sich derzeit um eine regelhafte Testung aller Mitarbeiter im Rahmen betriebsärztlicher Untersuchungen. Überlegungen zum Umgang mit einem positiven Testergebnis fehlen weitgehend. Natürlich ist der Test freiwillig. Interne Kritiker eines solchen Vorhabens müssen dennoch viel Zivilcourage aufbringen, denn stimmungsmäßig wird schon im Vorfeld klar: Wer hinterfragt ist suspekt und ein Miesmacher.
Beispiel #3: Die Eckert & Ziegler EURO-PET Berlin GmbH bietet ihren Mitarbeitern „neben einer leistungsgerechten Bezahlung ein gutes Betriebsklima, eine familienfreundliche Ausrichtung und flexible Arbeitszeiten“.4 Einem chemisch-technischen Assistenten hat sie trotzdem in der Probezeit gekündigt, weil dieser HIV-positiv war.
… die Rechtssprechung hilft dabei
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Klage des Arbeitnehmers gegen diese Kündigung abgewiesen. Mehrere Aspekte des Urteils verwundern: Eine Weitergabe des Testergebnis durch den Betriebsarzt an den Arbeitgeber ist ein Verstoß gegen die Schweigepflicht – also ein strafrechtlich zu würdigendes Unrecht nach §203 StGB.
Laut Gericht ist die Forderung nach einer Medikamenten-Produktion durch Mitarbeiter, die „frei von Infektionskrankheiten“ sind, aufgrund der Herstellungsverordnungen nachzuvollziehen.
Als guter Deutscher soll auch niemand den Sinn von Verordnungen hinterfragen, z.B. mit der Frage, wie um Himmels willen denn das HI-Virus vom Pharmazeuten ins Pharmazeutikum gelangen könnte.
Sehr bemerkenswert ist schließlich die Begründung des Arbeitsgerichts, dass sich für den Arbeitnehmer kein Anspruch auf Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ergibt, wo es doch mit seiner Entscheidung die Ungleichbehandlung selbst feststellt. Die sybillinische Begründung dieser meisterlichen Dialektik liegt darin, dass die (asymptomatische) HIV-Infektion alleine keinen Krankheitswert habe.
Arbeitsalltag 2020: Routinemäßiger
Schnelltest auf pathogene Keime vor Arbeitsbeginn
Konsens par ordre du mufti
Inhaltliche Diskussionen sind in Deutschland etwas aus der Mode gekommen, sonst wären bei uns die Mysophobiker in verständnisvoller psychiatrischer Fachbehandlung und nicht die Träger von Entscheidungen. Anders ist nämlich die Liste von fachlich unbegründbaren und diskriminierenden Fehlentscheidungen kaum zu erklären.
Das System und seine eigenen Waffen
Wir sind also auf dem Weg zum keimfreien Mitarbeiter. Da stellt sich doch die Frage: Wieso nur HIV-Infizierte diskriminieren? Was ist mit Lippenherpes? Staph. aureus oder gar MRSA im Gehörgang? E. coli im Stuhl? Helicobacter im Magen? Andere persistierende Erreger wie EBV, CMV, VZV, HPV, Toxoplasmose? Muss man auf diesen mikrobiologischen Zoo nur bei Einstellung testen? Oder sicherheitshalber jeden Morgen vor der Arbeit?
Ein Flashmob der Infektiolog/innen?
Fordern Sie als Expert/in von Ihren Volksvertretern: Die sofortige Kündigung für jeden Beamten mit Mundgeruch (Fäulnisbakterien!), für jeden Arbeitnehmer, der entweder Gewicht verloren hat (Schwindsucht!, Wasting!) oder Gewicht zugenommen hat (Adenovirus AD-36!) oder aber sich bei konstantem Gewicht völlig wohl fühlt (potenziell ein diagnostisches Fenster vor einsetzender Immunantwort, also jede Infektion möglich, daher ganz besonders tückisch!). Politiker mit Kopfschuppen (Microsporum ovale!) dürften nicht mehr ins Plenum – wegen der erhöhten Übertragungsgefahr durch Kopfschütteln beim Anhören von Reden des politischen Gegners.
Falls das nicht reichen sollte: Zentrale Erfassung und Offenlegung des Impfstatus aller Bundesbürger im Internet. Ein Rücktritt von Mandatsträgern in der Politik, die nicht alle von der STIKO empfohlenen Impfungen nachweisen können, wäre mehr als angemessen und ein Nachteilsausgleich nach der Logik unserer Rechtssprechung nicht erforderlich.
Mal sehen, ob das die politische Willensbildung befördert.
Helfen Sie mit!
1 Als Mysophobie (Ansteckungsphobie) wird eine krankhafte und übersteigerte Angst vor … der Ansteckung durch Bakterien, Viren etc. bezeichnet. Die Angst kann … auch ausschließlich in der Fantasie der Betroffenen existieren. Die Folge ist ein extremes Meidungsverhalten … (aus Wikipedia, online accessed 30.01.2012)
2 Anonym. HIV-positiv: Ende einer Karriere. Dtsch Ärztebl 2011; 108(22): A-1222 (http://www.aerzteblatt.de/archiv/92888?src=toc, accessed 30.01.2012)
3 Jarke J, Hösl J, von Schwarzkopf H. HIV-positiv: Kein Karriereende für Chirurgen. Dtsch Ärztebl 2011; 108(42): A-2204 (http://www.aerzteblatt.de/archiv/110446/HIV-positiv-Kein-Karriereende-fuer-Chirurgen, accessed 30.01.2012)
4 http://www.jobvector.de/organisation/eckert-ziegler-euro-pet-berlin-gmbh-11630.html online accessed 30.01.2012