Valerie Caris: Die Künstlerin als Sex-Göttin
Valerie Caris, gesehen von Peter Cramer
„Poses“, 1993, Mixed Media
Das all diese Welten verbindende Element wird durch in einem Zitat von Caris deutlich: „Mein Körper ist die hauptsächliche Grenze gewesen.“ Bilder ihres Körpers durchziehen ihr Werk und offenbaren ihr Interesse an Erotik und ihre Freude an der Selbstdarstellung und -inszenierung, die sie nicht nur in Performances und Fotografie auslebte, sondern auch als Darstellerin und Produzentin von Pornofilmen. Viele entstanden während der Achtziger Jahre, als sie mit ihrem damaligen Lebensgefährten in München und Berlin lebte, und trugen so illustre Titel wie „Rococogogovoodoo“, „The Story of Foie Gras“, oder „The Munich Double-Fuck“. Sie bewegten sich meist an der Grenze zum Experimentalfilm und fanden daher auch den Gefallen von Rosa von Praunheim.
In dieser Zeit verdiente Caris sich ihren Lebensunterhalt mangels Arbeitserlaubnis durch Prostitution, der sie auch nach ihrer Rückkehr 1985 nach New York nachging. Ihre freizügige Lebensweise machte sie in der East Village Kunstszene rasch bekannt, auch die damals aufkommende Angst vor Aids hatte darauf keinen Einfluss, denn wie sie selbst sagte: „Ich war ein Tornado.“ Dieser Lebenshunger trieb sie an den Rand der Selbstzerstörung und machte sie alkohol- und heroinsüchtig.
Als sie 1989 mit HIV diagnostiziert wurde, bezog sie dies auch in ihre Kunst mit ein: Sie begann, Objekte herzustellen, die sich mit der Veränderung der Wahrnehmung ihres eigenen Körper durch die Infektion bezogen: „[Ich betrachte meinen Körper] sowohl als etwas fragiles wie auch tödliches. Ich versuche damit klarzukommen, dass ich eine sexuell übertragbare Krankheit habe – und dabei eine tödliche – und all die Labortests und Viruslasten mit dem Teil von mir zu versöhnen, der ein erotisches Wesen ist, und der reizvoll, leidenschaftlich ist, komplett verschieden von dem klinischen.“
„Vestment“
„Vestment“, 1993, Mixed Media
„Vestment“, Detail
Die 1993 entstandene Arbeit „Vestment“ stellt einen typischen Patientenkittel dar, der aus zwei Schichten besteht: Außen aus zusammengenähten Ausdrucken der klinischen Befunde von Caris selbst, innen aus hellrotem Seidenstoff. Das klinisch reine Weiß des Kittels scheint weniger von der schwarzen Druckfarbe beschmutzt, als vielmehr von den Testergebnissen, die das Unreine des Körpers, die Krankheit, konstatieren. Die Außenseite reflektiert so auch den neutralen wissenschaftlichen Blick der Medizin auf den menschlichen Körper, dessen private, intime Seite nur noch vorhanden ist, symbolisiert durch die sinnliche Qualität und die an Blut erinnernde, reine Farbe des Stoffes – die andere Seite desselben Körpers, die untrennbar mit der äußeren verbunden ist.
Nur an einer Stelle wird dieses Innen/Außen durchbrochen: Ungefähr auf Höhe des Herzens, allerdings auf der rechten Seite, befindet sich ein Riss in der Papierschicht, dort ist ein Foto des sich an dieser Stelle tatsächlichen befindenden Tattoos auf Caris’ Körper zu sehen – es zeigt einen schwarzen Panther in aggressiver Haltung, Symbol der ungebrochenen animalischen Lebenskraft der Künstlerin. Die Form des Risses zitiert nicht nur Darstellungen des Lanzenstichs im Leib Jesu, sondern auch die weibliche Scheide – und verweist darauf, dass Erotik nicht das persönliche Empfinden bedeutet, sondern auch die Darstellung des Körpers für andere Menschen. Diese Öffnung verbindet die beiden Seiten bzw. Wahrnehmungen ein und desselben Körpers als eines einzigen viel drastischer miteinander als die Öffnungen für Kopf und Arme, die rein funktional sind. „Vestment“ vereint auf komplexe Weise die teilweise konträren Aspekte eines – erkrankten – menschlichen Körpers und stellt dem Betrachter die Frage, welches sein eigener Blick auf einen – seinen – Körper ist.
„Queen Sex Positive“
„Queen Sex Positive“, 1995, Mixed Media
„Queen Sex Positive“, Detail
Die 1995 entstandene Arbeit „Queen Sex Positive“ verhält sich zu „Vestment“ komplementär: Bildeten dort die klinischen Befunde eine dominierende, bedrohliche Hülle des nackten Körpers, so steht hier Caris obsessives Verhältnis zur Sexualität im Vordergrund. Ein handelsübliches schwarzes Korsett – auch eine Art „Arbeitskleidung“ – wurde durch Applikationen aus Stoff und Stickereien personalisiert. Auf der Vorderseite ist auf rotem Stoff eine heraldische Lilie aufgestickt – eine ironische Anspielung auf die „frauentypischen“ Arbeiten Nähen und Sticken – Symbol der Keuschheit. Jedes Blütenblatt trägt einen Text in ihrer Handschrift, u.a. frontal die Einladung: „Her Majesty enjoys Your Visitations“. Begriffe wie „Lethal“, „Death“ etc. konstrastieren die ursprüngliche erotische Wirkung und drücken den paradoxen Wunsch nach Begehrtwerden mit der gleichzeitigen Warnung vor der tödlichen Ansteckungsgefahr aus. Das Korsett wird zum ambivalenten Schutzpanzer im Kampf – gegen den Tod, für die Lust am Leben. Und ist zugleich Ausdruck des Wunsches, auch als kranker Mensch begehrt zu werden.
Caris Engagement gegen die Krankheit fand nicht nur im Künstlerischen statt, nachdem sie anfänglich selbst Selbsthilfegruppen für infizierte Frauen besuchte hatte, leitete sie diese nach kurzer Zeit selbst und beriet andere Frauen, unter anderem in Hinblick auf alternative Behandlungsmethoden, wie sich Karen McManus, Mitbegründerin des Women of Color AIDS Council, erinnerte.
„Ich liebe die Idee von Erotizismus, Verführung und Schönheit“, sagte Valerie Caris einmal, „aber ich möchte mich nicht mehr prostituieren. Jetzt liebe ich es, in meinem Körper zu sein und von meinem Körper. Ich fühle mich mehr wie eine Göttin.“