Johannes Bogner, München
Adhärenz
Die HIV-Infektion kann dauerhaft erfolgreich behandelt werden. Die Grundvoraussetzung hierfür ist allerdings eine gewissenhafte und ununterbrochene Einnahme der Medikamente. Die Adhärenz bei antiretroviraler Therapie war und ist daher Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen und auch in der Praxis immer noch ein wichtiges Thema.
Mehrfach und immer wieder haben wissenschaftliche Projekte zum Thema Adhärenz belegt, dass eine hohe Korrelation zwischen virologischem Erfolg und dem Prozentsatz der eingenommenen Studienmedikation besteht. Oder negativ ausgedrückt: die Zahl der nicht eingenommenen Medikamente zeigt eine hohe Korrelation zur Wahrscheinlichkeit eines virologischen Versagens.1,2,3 Weitere Studien zeigen die Korrelation zwischen Progression zu AIDS und Tod und einer mangelnden Adhärenz.3 In zwei großen Studien, die afrikanische Behandlungsprogramme zum Gegenstand hatten, korrelierte eine niedrige Adhärenz zudem mit dem Ergebnis „lost to follow up“, hinter dem sich zusätzlich Todesfälle verbergen können.9 Bei unzureichender Adhärenz ist die Entwicklung von resis-tenten Virusmutanten die Regel.4,5 Daraus ergeben sich manifeste Schwierigkeiten in Folgetherapien. Resistenztests und Salvage-Regimes verschlingen zusätzlich Ressourcen.
Was ist Adhärenz?
Zur Begriffsbildung und Definition bedurfte es zunächst eines Ersatzes des alten Wortes „Compliance“ durch das Wort Adhärenz. Der Begriff Compliance bezeichnet die Bereitschaft vorwiegend des Patienten, an diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zuverlässig mitzuwirken. Durch die Verwendung des Begriffs Adhärenz soll aber betont werden, dass die richtige und regelmäßige Einnahme der Medikamente sowohl in der Verantwortung des Patienten wie auch des Arztes liegen. Der Begriff Adhärenz bezeichnet eher das Festhalten und Einhalten der zwischen Arzt und Patient vereinbarten Therapieziele auf beiden Seiten. Damit wird die gemeinsame Verantwortung betont. Zudem schwang bei dem Wort Compliance in der direkten Übersetzung immer die Wortbedeutung „Beugsamkeit, Biegsamkeit“ mit. Damit wäre aber ein Ungleichgewicht in der Arzt-Patienten-Beziehung impliziert, das man gerade vermeiden will, da die Motivation beim Patienten selber entstehen muss und sein eigener Anteil auch semantisch richtig wiedergeben werden soll.
Das Phänomen der Adhärenz und seiner Anforderungen wurde von Andrews sehr treffend bezeichnet6: „The marriage of biology and behavior that characterizes clinical care in HIV disease is nowhere more challenging for clinicians than in the issue of adherence, but also nowhere more gratifying.” Die Hochzeit von Biologie und Verhalten könnte man frei übersetzt auch als die Qualität und Qualifikation des HIV-spezialisierten Arztes in der Patientenführung bezeichnen. An dieser Stelle ist es evident, dass die ärztliche „Kunst“ eine starke Relation zum Behandlungserfolg hat. HIV-Behandler sollten motiviert werden, an diesem Punkt auch an sich und ihrer eigenen Performance zu arbeiten. Ein indirektes Maß für die diesbezügliche Qualität mag unter anderem der Anteil der therapierten Patienten einer Praxis dar, die virologisch erfolgreich behandelt sind darstellen, wenngleich andere Faktoren (Klientel, Bildungsniveau, sozio-ökonomische Faktoren) einen Einfluss haben.
Adhärenz ist in drei begriffliche Ebenen unterteilt: Einhaltung der Vereinbarung, die zutreffende Anzahl der Medikamente zur vereinbarten täglichen Zeit einzunehmen (primäre Adhärenz), Einhaltung des Zeitabstandes zwischen den einzelnen Einnahmezeitpunkten (sekundäre Adhärenz) und Einhaltung der erforderlichen Begleitumstände wie Nüchternheit oder Nahrungsaufnahme (tertiäre Adhärenz).
Motivation
Wie schwierig es ist, chronisch Kranke zu motivieren, damit sie langfristig ein hohes Adhärenzniveau erreichen, ist Ärzten seit Einführung der Pharmakotherapie bekannt. Wissenschaftliche Studien zu diesem Thema wurden in ganz unterschiedlichen Indikationsgebieten gemacht. Von der Art der Krankheit, deren Gefährlichkeit und deren Leidendruck hängt das Motivationsniveau ganz entscheidend ab. In Adhärenzstudien beispielsweise bei arterieller Hypertonie zeigte sich, dass es nur 30% der Patienten gelang, die vorgesehene Therapie zu 90% korrekt einzuhalten. Unbeabsichtigte Fehler in der Einnahme einer Kurz- oder Langzeitmedikation wurden bei 50-90% der beobachteten Patienten festgestellt. Die Aufrechterhaltung einer hohen Adhärenz bei chronischen Erkrankungen mit dauerhafter Therapie ist besonders dann schwierig, wenn das Auslassen von Dosierungen für den Patienten keinen unmittelbaren Effekt in Form von unangenehmen Auswirkungen der Erkrankung oder vermeintlichen Nebenwirkungen hervorruft. Dies gilt auch für die antiretrovirale Therapie (ART).7 Im Vergleich mit anderen (weniger unmittelbar vital bedrohlichen) Indikationen liegt nach Studien die Adhärenz von HIV-Patienten höher. Bei HIV-Infektion ist ja auch eine höhere Rate an eingenommenen Medikamenten erforderlich, um das Therapieziel zu erreichen, als beispielsweise bei der arteriellen Hypertonie oder bei der Therapie eines erhöhten Cholesterinspiegels.
Wie viel Adhärenz ist nötig?
Lange ging man davon aus, dass bei einer ART eine 95% Adhärenz erforderlich ist, um eine gute virologische Suppression zu erziele.8 Allerdings basierte diese Annahme auf einer einzigen Studie, bei der ein nicht geboosterter Proteasehemmer (PI) verwendet wurde. Weitere Studien haben belegt, dass bei 95% Adhärenz auch mit NNRTI- und geboosterten PI-Regimen eine optimale Virus-Suppression erreicht wird.9,10 Der Effekt einer 100% Adhärenz war nicht höher im Vergleich mit der 95% Adhärenz.11
Von Nachega und Kollegen wurde die Korrelation von Adhärenz und virologischem Erfolg im Kontext von NNRTI-Therapien untersucht.12 Die Frage lautete, ob bei NNRTI wegen der längeren Halbwertszeiten („forgivingness“) die erforderliche Adhärenz für einen Therapieerfolg niedriger als bei geboosterten PI ist. Andererseits könnte die niedrigere genetische Barriere von NNRTI auch das Gegenteil bewirken.
In einer prospektiven Beobachtungskohorte in Südafrika (niedergelassene Ärzte) wurde bei 2.821 Erwachsenen, die eine ART erstmals zwischen 1998 und 2003 begannen durch Nachzählen der in der Apotheke ausgegebenen Medikamente Adhärenz bestimmt. Während einer mittleren Beobachtungszeit von 2,2 Jahren (1,7-2,7 Jahre Interquartil-Abstand) lagen die virologischen Erfolgsraten (dauerhaft VL <400 Kopien/ml) bei 13% und 73%. Bei Patienten, die weniger als 50% der verordneten Medikamente abholten lag die Erfolgsrate bei 13%. Für jede 10% Zunahme der abgeholten Medikamente wurde ein Zuwachs an Erfolgsrate von 10 Prozentpunkten an virologischem Erfolg gefunden (p <0.001). Neben der Adhärenz wurden aber auch die Ausgangs-CD4 Zahl und die Ausgangs-VL als Einflussfaktoren auf das virologische Outcome gefunden.12
In Studien von Bisson
und Kollegen wurden auch weitere Adhärenzniveaus (80%, 90%) untersucht.13
Auch hier wurde die Assoziation mit einer höheren Rate an virologischem
Versagen betätigt.
Einflussfaktoren
Die Probleme der Adhärenz sind individuell unterschiedlich und erfordern in der klinischen Praxis ein individualisiertes Vorgehen. Hierzu gehört zunächst die Analyse von Störfaktoren, die zu einer suboptimalen Adhärenz führen (Abb. 1). Da hier Zeit und eine strukturierte Vorgehensweise erforderlich ist, kann ein in Studien erarbeiteter Fragebogen das Problem nicht im Einzelfall lösen.
Abb. 1 Modell der multifaktoriellen Einflüsse der Adhärenz (© J.R. Bogner)
Patient
Patienten- assoziierte Faktoren mit nach- folgender Verschlech -terung der Adhärenz |
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Arzt- as- soziierte Faktoren |
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Medika- menten- assoziierte Faktoren |
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Tab. 1 Häufige Störfaktoren der Adhärenz; modifiziert nach Kütscher et al. 7
Negative Einflüsse auf die Adhärenz von Seiten des Patienten sind gut untersucht. Bekannte Faktoren sind ethnische Zugehörigkeit, Ausbildung, Beruf (Schichtarbeit, Großraumbüro, Reisen, Zeitverschiebung), Familie, Partnerschaft, Partnerkonflikt, Drogenabhängigkeit, Alkohol. Das Risikoprofil ist aus Literatur bekannt und sollte bei ungünstigen Konstellationen bereits vor Behandlungsbeginn zu einer besonderen Beachtung der Patientenschulung führen.16,17,18
Ethnische Zugehörigkeit
In der Studie ACTG A5095 wurde die ethnische Zugehörigkeit in Bezug gesetzt zu Adhärenz, virologischem Versagen und Lebensqualität unter einer Efavirenz-haltigen Therapie..19 Die Adhärenz wurde unter anderem daran gemessen, ob in den letzten vier Tagen keine oder wenigstens eine Dosis vergessen worden war. Zudem wurden selbst ausgefüllte Fragebögen ausgewertet. An der Studie nahmen 299 kaukasische, 260 afroamerikanische und 156 HIV-Patienten hispanischen Ursprungs teil. Virologisches Versagen war bei Afroamerikanern assoziiert mit Non-Adhärenz während der letzten vier Tage (53% bei Non-Adhärenz, 25% bei Adhärenz p<0,001). Bei kaukasischen Patienten gab es dagegen keinen Unterschied diesbezüglich (20% in beiden Gruppen adhärent und non-adhärent). Nach Adjustierung bezüglich der Baseline-Parameter ergab sich eine signifikante Assoziation zwischen Ethnizität und Woche-12-Adhärenz (p=0,02). Das Risiko für virologisches Versagen war bei non-adhärenten Patienten um den Faktor 2,07 höher. Ebenso gab es eine signifikante Assoziation zwischen niedrigerer Lebensqualität und virologischem Versagen. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die vom Patienten selbst berichtete Non-Adhärenz ein sehr guter Prädiktor für virologisches Versagen ist.19
Arzt
Zum Einfluss der Persönlichkeit und Professionalität des Arztes auf die Adhärenz des Patienten gibt es eigenartigerweise am wenigsten wissenschaftliche Daten. Empathie, Ausdrucksweise, Direktheit und Übertragung sind Determinanten, die hier genannt werden können, aber in der medizinischen Literatur zur Adhärenz im Kontext der HIV-Infektion kaum vorkommen.27
Medikament
Resistenzentstehung bei suboptimaler Adhärenz
Resistenzmutationen entstehen, wenn HIV bei nicht ausreichend suppressiven Medikamentenspiegeln repliziert. Die Medikamentenkonzentration muss aber auch noch ausreichend hoch sein, um einen Selektionsdruck zu erzeugen (Abb. A). Gleichzeitig beeinflusst die virale Replikationsfähigkeit bei einzelnen Mutationen auch die Entstehung weiterer Mutationen. So vermindern NNRTI-Mutationen die Replikationskapazität von HIV im Vergleich zu Proteasehemmer nur wenig, d.h. es akkumulieren in kürzerer Zeit mehr Mutationen. Ein weiterer relevanter Faktor ist die Halbwertszeit der einzelnen Komponenten einer antiretroviralen Kombination. Werden gleichzeitig eine Substanz mit langer Halbwertszeit und eine Substanz mit kurzer Halbwertszeit ausgelassen, entsteht eine funktionelle Monotherapie, die zur Resistenz führen kann (Abb. B).
Abb. A Korrelation der Adhärenz zur Resistenzbildung unter PI- oder NNRTI-basierten Therapieregimen
Abb. B Einnahmestopp von Medikamenten mit unterschiedlichen Halbwertszeiten
Mehrere Studien konnten eindeutig belegen, dass den Patienten eine auf drei Dosen verteilte, tägliche Medikamenteneinnahme weniger gut und regelmäßig gelingt als eine vergleichbare Therapie, die zweimal täglich eingenommen werden muss.7 Nicht ganz so klar ist die Literaturlage beim Vergleich von einmal täglichen (QD) mit zweimal täglichen Regimes (BID).28 In einer multizentrischen offenen Studie wurde ein einmal „nächtliches“ Regime (EFV, ddI, 3TC, n=44) mit einem zweimal täglichen Regime (EFV+CBV, n=43) prospektiv untersucht.28 Die Gesamt-Adhärenz war im Einmalarm signifikant besser (p=0,0237; 81% versus 62%). Dieser Effekt persisierte bis zu einem Jahr Beobachtungsdauer. Anfängliche Bedenken der Patienten gegenüber der HAART korrelierten signifikant mit einem vorzeitigen Beenden der Therapie.28 Die Autoren schlossen daraus, dass eine psychologische Vorbereitung und Aufklärung der Patienten vor Beginn der HAART die Adhärenz fördern könnte. Darüber hinaus ist auch diese Studie ein Hinweis darauf, dass das QD-Prinzip zu einer besseren Adhärenz führen kann. Interessanterweise war bei dieser Studie die Gesamtzahl der Pillen in beiden Armen gleich und dennoch wurde ein Unterschied in der Adhärenz beobachtet. Gleichzeitig ist diese Studie ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Erwartung und Einstellung der Patienten wichtig ist. Wenn ein Patient mit wenigen oder keinen Nebenwirkungen rechnen muss, kann das seine Adhärenz von vorne herein positiv beeinflussen.
Gellad und Kollegen haben in einer Literatur-Analyse Arbeiten untersucht, die auf hohem wissenschaftlichem Niveau Einflussfaktoren auf die Adhärenz bei US-amerikanischen Patienten beschrieben. Neun Studien wurden genauer betrachtet. Dabei zeigte sich u.a., dass die Kenntnisse über die eigene Krankheit wie auch über die zu erwartenden Nebenwirkungen einen signifikanten Einfluss auf die Adhärenz haben. Die Erwartungshaltung bezüglich der Verträglichkeit einer Therapie sind damit von Bedeutung für die zu erreichende Adhärenz.29
Insbesondere bei Medikamenten mit bekannt guter Verträglichkeit kann sich die Einstellung von Patient UND Arzt schon in der Erwartungshaltung positiv auswirken und dazu führen, dass die Adhärenz nicht durch Vorbehalte und Ängste negativ beeinflusst ist.
Mögliche Interventionen
Die Möglichkeiten der Interventionen sind vielfältig und reichen von Patientenschulung über Erinnerungsfunktionen (z.B. SMS-Benachrichtigung), Verhaltensmodifikation durch Einschalten der familiären Umgebung oder des Partners, die Anwendung von MEMS-Caps (Medication Event Monitoring System electronic pill-bottle caps) usw. In solchen Studien ist methodisch von Interesse, welche Behandlungsstandards in der Kontrollgruppe zur Anwendung kommen.20 Hiervon hängt der Effekt der Intervention ab. In zahlreichen Studien konnte durch Intervention eine signifikante Verbesserung der Adhärenz erreicht werden. Die Beurteilung des Interventions-Erfolges ist stark abhängig von der Objektivierbarkeit des Messinstruments (z.B. Selbst-Einschätzung versus MEMS-Caps).
McNabb und Kollegen haben in einer prospektiven Studie die Effektivität von PAM, Selbstauskunft und MEMS-Caps verglichen. In dieser Studie wurden NNRTI-basierte ART-Regime eingesetzt. Während Selbstauskunft kaum mit den virologischen Ergebnissen korrelierte, zeigte eine bessere Adhärenz gemessen mit MEMS einen signifikanten Zusammenhang mit Viruslastsenkung und virologischem Erfolg.21
Mit der SERAD (Self-Reported Adherence)-Studie wurde von Munoz-Moreno und Kollegen eine multizentrische Adhärenz-Studie aus Spanien vorgelegt.22 Hier wurde ein Fragebogen entwickelt, der quantitative und qualitative Items zur Adhärenz abfragt. Die Fragebogen-Ergebnisse wurden mit drei anderen Messinstrumenten der Adhärenz-Evaluation verglichen (Abzählen der Pillen, elektronisches Monitoring und TDM). Insgesamt nahmen 530 Patienten teil. In der Summe wurde für den SERAD-Fragebogen eine gute Validität bescheinigt. Die Übereinstimmung der Methoden in der Einschätzung der Adhärenz war umso höher, je höher die Adhärenz gemessen wurde. Die Autoren kommen damit zu der Schlussfolgerung, dass der Einsatz des SERAD Fragebogens eine gut und praktisch durchführbare Methode der Adhärenzbestimmung ist.
In einer schwedischen Untersuchung wurde verglichen, ob sich die Therapiemotivation von 1998 bis 2002 geändert hat.23 Dazu wurden zwei unabhängige Querschnittserhebungen an einer HIV-Ambulanz gemacht. Die Teilnehmerzahlen betrugen 60 (1998) und 56 (2002). Zum Einsatz kam ein anonym auszufüllender Fragebogen. Bei der 2002-Erhebung wurde zusätzlich die Morisky Medication Adherence Scale (MMAS) verwendet. Das Ergebnis war durchaus erstaunlich: während 1998 nur bei 28,1% eine optimale Adhärenz gefunden wurde stieg der Anteil in 2002 aus 57,4% (p=0,002). Der durchschnittliche Summenscore des MMAS lag im Jahr 2002 bei 10,7, wobei ein Score von 13 eine optimale Adhärenz wiedergibt. Der Anteil von Patienten, die als gut motiviert galten lag 1998 bei 22,4% und 2002 bei 41,3% (p=0,038). Die motivierten Patienten zeigten ein besseres Ergebnis im MMAS als die nicht so gut motivierten Patienten. Die Interpretation der Verbesserung enthält auch eine Änderung im Behandlungsprogramm der Ambulanz, in der die Untersuchung durchgeführt wurde. Diese Studie ist eher ein Beispiel dafür, dass durch systematisches Studium der Adhärenz auch die Basisqualität der Institution gefördert wird. Allein das hat offenbar nachhaltige Auswirkungen auf Adhärenz und Therapieerfolg.
Selfmanagement
Abb. 2 Manchmal lässt sich die Adhärenz auch mit einfachen Maßnahmen verbessern
© www.lhiving.com/forum
Für die Förderung der Adhärenz wurde neben der Patientenschulung auch ein Selbstmanagement der Patienten vorgeschlagen und wissenschaftlich untersucht. Smith und Kollegen haben in einer Studie in Irland ein entsprechendes Schulungsprogramm für Patienten evaluiert.24 43 Patienten, die ein neues PI-haltiges Regime begannen, wurden randomisiert in eine Interventionsgruppe und eine Kontrollgruppe. Die Schulung in der Interventionsgruppe umfasste „skills development“-Übungen, drei monatliche Termine für Beratung zu Medikamenten und ein monatliches feedback zur erreichten Adhärenz durch die Auswertung und Bekanntgabe der elektronischen Erfassung in den Medikationsbehältern.
Alle Patienten füllten einen 40-Item Fragebogen aus. Die Analyse mittels logistischer Regression zeigte, dass die Patienten in der Selfmanagement Gruppe eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit hatten, 80% oder mehr ihrer Medikamente tatsächlich einzunehmen (n=29, OR = 7,8).
PAM (Pharmacy Adherence Measures)
Von McMahon, Lewin und Kollegen wurde kürzlich eine Zusammenstellung der Literatur zu Adhärenz–Interventionen vorgestellt.25 Hier dienten beispielsweise PAMs (Pharmacy Adherence Measures) als Maß für die Adhärenz. Auch in der klinischen Behandlungspraxis kann jederzeit nachgerechnet werden, ob die Intervalle der Rezeptausgaben mit dem ART-Bedarf übereinstimmen. Eine unmittelbare Kontrolle bietet die Berechnung der ausgegebenen Pillen pro Therapiezeitraum. PAMs können dabei nochmals unterteilt werden in drei Kategorien: MPR (Medication Possession Ratio), PC (Pill Count) und PPU (Pill Pick Up). Natürlich muss unterschieden werden zwischen der Ausgabe eines Rezepts und dessen Einlösung in der Apotheke.
Am Zusammenhang zwischen PAMs und virologischem Erfolg kann nach etlichen Studien kein Zweifel mehr bestehen. Interessant ist bei der Betrachtung der Studien im Vergleich, dass Unterschiede im virologischen Erfolg bei Adhärenz und mangelnder Adhärenz nur von solchen Studien herausgearbeitet werden, bei welchen die Beobachtungszeit lange genug ist (12 bis 24 Wochen). Die Interpretation dieses Befundes hängt sicherlich mit der Tatsache zusammen, dass bei ART in der Firstline in der Regel drei Monate verstreichen bis die VL unter der Nachweisgrenze liegt, in manchen Fällen sogar sechs Monate.
In einer großen prospektiven Kohortenuntersuchung in Kalifornien zwischen 2005 und 2007 bei 2.232 Patienten die MPR in Beziehung gesetzt zu pharmako-ökonomischen Berechnungen. Der eine Teil der Teilnehmer erhielt die Medikation über Apotheken („Pilot-Apotheken“), die die Pillenausgabe und die Pillen-Abholung (damit letztlich die MPR) bestimmten und die Kontrollgruppe erhielt die Medikation regulär ohne Intervention. Die Adhärenz war bei Patienten der Pilot-Apotheken signifikant besser (69% versus 47%). In einer multivariaten Analyse, die Ethnizität, Geschlecht und weiter Faktoren berücksichtigte, war die Zuordnung zu einer Pilot-Apotheke der einzige signifikante Faktor, der mit Adhärenz assoziiert war. Außerdem kam es in der Interventionsgruppe seltener zu Regime-Wechseln. Bei den Kosten ergab sich unter dem Strich kein deutlicher Unterschied. Die direkten Medikationskosten waren sogar in der Interventionsgruppe höher. Das wurde allerdings durch höhere Ausgaben für stationäre Aufenthalte in der anderen Gruppe kompensiert.
ERD (Electronic Reminder Devices)
Adhärenzschwierigkeiten kann auch durch ERD begegnet werden. Dazu können verschiedene Modalitäten herangezogen werden: Erinnerungsfunktion des Mobiltelefons oder der Armbanduhr, SMS-Erinnerungsservice (u.a. ein Projekt der Münchner AIDS-Hilfe). Höherer technischer Aufwand ist bei der Verwendung von Medikamentenboxen mit Alarmfunktion erforderlich.
Eine Interventionsstudie, in der der Einfluss von Beratung verglichen wurde mit der Anwendung eines ERD, wurde von Chung und Kollegen publiziert.2 In Kenia (Nairobi) wurden Patienten, die ihre erste Therapie mit d4T, 3TC und NVP starteten, in vier Gruppen eingeteilt: Gruppe 1 bekam zu Beginn der ART drei spezielle Beratungstermine, Gruppe 2 erhielt einen „Pocket Electronic Pill Reminder“ für sechs Monate, Gruppe 3 erhielt Beratung und Alarm und Gruppe 4 erhielt weder noch (Standardbehandlung). Die Beobachtung war auf 18 Monate festgelegt. 362 Patienten begannen die ART und 310 beendeten die Beobachtungsperiode. Patienten in der Beratungsgruppe hatten eine 29% niedrigere Wahrscheinlichkeit eine Adhärenz <80% einzuhalten (OR 0,71) und hatten mit eine 59% niedrigere Wahrscheinlichkeit für ein virologisches Versagen.
Die Anwendung des elektronischen Alarmsystems (Gruppe 2) hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Adhärenz und das virologische Outcome. Die Studie kommt eindeutig zu dem Schluss, dass die Beratung und Aufklärung höhere Erfolge der Adhärenz nach sich ziehen als ein elektronisches Alarmsystem und als die Standardbehandlung ohne spezielle Beratung. Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass das Ergebnis nur für die Region gilt, in der die Studie durchgeführt wurde. Es darf spekuliert werden, ob dieselbe Intervention in einem Resourcen-reichen Land anders ausfallen würde.
DOT (Directly Observed Therapy)
Die DOT gehört zu den erfolgreichsten Interventionen. Aus amerikanischen Gefängnissen wurde ein hoher virologischen Erfolg unter DOT berichtet.26 Allerdings widerspricht die Durchführung einer DOT dem Adhärenzgedanken insofern, als die Eigenverantwortlichkeit des Patienten und das Einhalten des Behandlungsvertrages eher ausgeblendet werden.
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