Klara Mayr 1 , Anja Potthof 1 , Norbert H. Brockmeyer 1 , Ulrike Wieland 2 , Alexander Kreuter 1 , Bochum und Köln Anale Geschlechtskrankheiten bei HIV-infizierten Männern
Sexuell übertragbare Krankheiten (STI) können bedeutende Ko-Faktoren bei der Übertragung einer HIV-Infektion darstellen. Nicht nur typischerweise ulzerierende STIs wie der Herpes genitalis oder die Syphilis können die HIV-Transmission erleichtern. Kürzlich konnte belegt werden, dass auch durch humane Papillomvirus (HPV)-assoziierte anogenitale Läsionen die Akquisition einer HIV-Infektion begünstigt wird. Die erhöhte Suszeptibilität für HIV bei Vorliegen weiterer STIs ist vermutlich durch eine gestörte Barrierefunktion der Mukosa und somit vereinfachtem Eindringen der HI-Viren in das Blut- und Lymphsystem erklärbar.
Gonorrhoe
Abb. 1 Gonorrhoe
Mit geschätzten 62 Millionen Neuinfektionen pro Jahr weltweit ist die Gonorrhoe nach der Chlamydien-Infektion die zweithäufigste bakterielle STI. Da nach dem Infektionsschutzgesetz die Gonorrhoe nicht mehr meldepflichtig ist, liegen seit Anfang 2001 keine exakten Daten mehr für Deutschland vor. Mithilfe des STD-Sentinels des Robert Koch-Instituts wurden in den Jahren 2003 bis 2009 insgesamt 3.229 Fälle diagnostiziert. Die bei einer akuten Gonorrhoe im mikroskopischen Präparat von Abstrichen zu findenden gramnegativen Diplokokken sollten wenn möglich zur Diagnosesicherung und Durchführung einer Resistenztestung auch kulturell nachgewiesen werden. Bei genitalen und analen Infektionen hat der Nukleinsäureamplifikationstest (NAAT) eine gute Spezifität und Sensitivität. Neisseria gonorrhoeae verursacht beim Mann akut eine eitrige, schmerzhafte Urethritis mit gelblichem Ausfluss. Unbehandelt dominieren später eine Epididymitis oder Prostatitis, die mit Tenesmen einhergehen kann. Rektale Infektionen sind häufig asymptomatisch und werden deshalb oft nicht erkannt. In unserer proktologischen Sprechstunde werden asymptomatische Infektionen bei bis zu 80% der mit Gonorrhoe neu-diagnostizierten HIV-positiven Männern beobachtet. Bei klinischem Verdacht auf Gonorrhoe sollte nach Materialgewinnung zur Diagnostik eine sofortige Therapie begonnen werden um weitere Infektionen zu vermeiden. Zur Behandlung wird derzeitig aufgrund der zunehmenden Resistenzen von der deutschen STI-Gesellschaft einmalig 1 g Ceftriaxon (i.v. oder i.m.) in Kombination mit 1,5 g Azithromycin per os empfohlen. Die Inzidenz der Gonorrhoe wird bei HIV-positiven Menschen vier- bis achtmal höher als bei nicht HIV-Infizierten geschätzt.
Chlamydien-Infektionen
Verursacher der häufigsten STI in Europa und den USA ist Chlamydia trachomatis der Serovare D-K. Die Infektion betrifft Schleimhäute mit Zylinderepithel. Goldstandard zum Nachweis genitaler Infektionen aus dem Urin oder Abstrichen ist die NAAT. Mukosale Infektionen durch Chlamydien bleiben sehr häufig asymptomatisch (> 50%). Dies trifft insbesondere auf anale Chlamydien-Infektionen zu. Die Differentialdiagnose zu Gonorrhoe ist schwierig, der Ausfluss jedoch oftmals deutlich weniger rahmig. Bis vor wenigen Jahren war das Lymphogranuloma venereum, eine STI, die durch Chlamydia trachomatis der Serotypen L 1-3 ausgelöst wird, in Deutschland eine absolute Rarität. Insbesondere in Großstädten werden jedoch zunehmend anale Fälle von Lymphogranuloma venereum beobachtet. Betroffen sind fast ausschließlich HIV-positive MSM. Im Gegensatz zur „einfachen“ Chlamydien-Infektion der Serovare D-K kann es bei Proktitiden durch Lymphogranuloma venereum zu schweren Komplikationen mit Stenosierungen und Perforationen des Enddarms kommen. Die weiterführende Bestimmung der Serovare L 1-3 wird nur in Speziallaboren durchgeführt und von den Krankenkassen bis dato nicht erstattet. Während bei der unkomplizierten analen Chlamydien-Infektion (Serovare D-K) eine 10-tägige orale Gabe von 2x 100 mg Doxycyclin empfohlen wird, sollte das Lymphogranuloma venereum immer über mindestens 21 Tage behandelt werden.
Übersicht über anorektale Geschlechtserkrankungen | ||
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Sexuell übertragbare Infektion | Erreger | Leitsymptom bei symptomatischer analer Infektion |
Gonorrhoe | Neisseria gonorrhoea | Gelblich-rahmiger Ausfluss, analer Schmerz, Pruritus, Tenesmen |
Chlamydien-Infektion | Chlamydia trachomatis Serovar D-K | Glasiger Ausfluss, analer Schmerz und Tenesmen |
Lymphogranulma venereum | Chlamydia trachomatis Serovar L 1-3 | Peri- oder intraanales Ulkus, Lymphknotenschwellungen, Proktitis mit Komplikationen (Stenosen) |
Condylomata acuminata, Anale intraepitheliale Neoplasie | Humane Papillomaviren | Weißliche Papeln mit verruköser Oberfläche, flache rötliche Papeln, bräunliche Papeln |
Syphilis, Lues | Treponema pallidum | Derbes, asymptomatisches Ulkus, regionale Lymphknotenschwellung, Condylomata lata |
Herpes genitalis/analis | Herpes simplex Virus-1 oder 2 | Flächige Erosionen und Ulzera, die typischen gruppierten Bläschen fehlen oft |
Infektionen durch humane Papillomviren
Abb. 2 Ausgedehnte Condylomata acuminata
Infektionen mit HPV gehören zu den häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen weltweit. Derzeitig sind über 150 verschiedene HPV-Typen komplett klassifiziert worden, die in die in fünf Genera Alpha, Beta, Gamma, Mu und Nu eingeteilt werden. Alpha-HPV-Typen infizieren überwiegend die Anogenitalregion und können entsprechend Ihrer onkogenen Potenz in „low-risk“ und „high-risk“ HPV-Typen eingeteilt werden. Condylomata acuminata werden durch „low-risk“ HPV, besonders häufig durch die Typen HPV6 und HPV11 verursacht, wohingegen anogenitale Dysplasien durch „high-risk“ HPV-Typen wie HPV 16 und 18 entstehen. HIV-positive MSM sind besonders häufig von persistierenden analen „high-risk“ HPV-Infektionen betroffen. Daraus resultiert ein signifikant erhöhtes Risiko für anale Dysplasien und Analkarzinome. Die Initiierung einer hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) scheint dabei keine wesentliche begünstigende Effekte zu haben. Durch die (frühe) Behandlung von analen Dysplasien kann die Entwicklung von invasiven Analkarzinomen verhindert werden. Die Therapieverfahren bei analen Dysplasien unterscheiden sich nicht wesentlich von der Behandlung analer Condylomata acuminata und können in ablative (Exzision, Elektrokauterisation, Infrarot-Koagulation, Lasertherapie) und topische (hochdosierte Trichloressigsäure, Imiquimod, 5-Fluouracil) Therapieansätze eingeteilt werden. In Deutschland wird derzeitig von Experten an der Erstellung einer Leitlinie zur Vorsorge und Therapie von analen Dysplasien bei HIV-infizierten Menschen gearbeitet.
Screening-Empfehlungen auf STI bei MSM
CDC 2010
- Pharyngealer Abstrich auf Gonokokken bei rezeptivem Oralverkehr in den letzen 12 Monaten
- Rektaler Abstrich auf Gonokokken und Chlamydien bei rezeptiven Analverkehr in den letzten 12 Monaten
- Urethrale Untersuchung (vorzugsweise Urin) auf Gonokokken und Chlamydien bei Geschlechtsverkehr in den letzten 12 Monaten
- Syphilis-Serologie einmal jährlich
- HIV-Serologie einmal jährlich
Deutsche AIDS-Hilfe
- Syphilis-Serologie einmal jährlich, bei mehr als zehn Partner zweimal jährlich
- HIV-Test einmal jährlich
- Rektaler Abstrich auf Konokokken und CHlamydien einmal jährlich, bei mehr als zehn Partnern, je nach Sexualanamnese auch pharyngealer Abstrich oder Harnuntersuchung
Lesetipp
Herpes-Simplex-Virus-Infektionen
Rezidivierende anogenitale Herpes-Simplex-Virus (HSV) Infektionen sind bei HIV-infizierten Menschen auch trotz HAART häufig. Zur Diagnostik des DNA-Virus ist mittlerweile der Nachweis mittels PCR üblich. Nur etwa 30% der Herpes genitalis-Infektionen manifestieren sich klinisch eindeutig mit den charakteristischen gruppiert stehenden Bläschen. Perianale Herpes-Infektionen imponieren in der überwiegenden Anzahl der Fälle in flächigen Indurationen und Erosionen, die von Juckreiz und Schmerzen begleitet werden. Zur Behandlung der Erstinfektion kann Aciclovir in einer Dosierung von 3 mal 400 mg, Famciclovir 3 mal 250 mg oder Valaciclovir 2 mal 1 g über sieben bis zehn Tage eingesetzt werden. Bei Rezidiven ist meist eine Therapiedauer von 3 bis 5 Tagen ausreichend. In Europa und den USA haben 25% bis 59% der HIV-Patienten HSV-2-Antikörper, auf dem afrikanischen Kontinent sogar 81% bis 87%. HIV-1/HSV-2-Koinfizierte weisen häufig eine erhöhte HIV-Viruslast im Plasma auf. Darüber hinaus sind unter Immunsuppression länger anhaltende und schwerwiegendere Rezidive bekannt. Da das HI-Virus oft in den Erosionen nachweisbar ist und diese häufig während des Sexualkontaktes bluten, ist zudem die HIV-Infektiosität erhöht. Umgekehrt sind HSV-2-Infektionen mit einem drei- bis vierfach erhöhten Risiko einer HIV-Infektion assoziiert. Über einen Monat persistierende HSV-Ulzerationen geben einen Hinweis auf eine Immunschwäche und gelten laut CDC Klassifikation als AIDS definierende Erkrankung.
Syphilis
Abb. 3 Primäraffekt bei Syphilis (Stadium 1)
Mit bundesweit fast 3.800 Neuinfektionen im Jahr 2011 und einer Inzidenz von 4,5 Fällen pro 100.000 Einwohner ist die Syphilis wieder eine häufige Geschlechtskrankheit geworden. Dies gilt insbesondere für HIV-positive MSM. Der direkte Nachweis von Treponema pallidum gelingt mit der Dunkelfeldmikroskopie und ist auch mittels PCR möglich. Seit kurzem stehen für klinisch unklare Fälle auch immunhistochemische Färbungen auf Treponema pallidum zur Verfügung. Spezifische, fest etablierte Antikörpertests eignen sich gut zum Screening und zur Verlaufskontrolle. Anale Syphilis-Infektionen bleiben in einem Großteil der Fälle unbemerkt oder werden im Rahmen von proktologischen Vorsorgeuntersuchungen auf anale Dysplasien als Zufallsbefund entdeckt. Klinisch imponiert typischerweise ein derbes, induriertes, schmerzloses Ulkus. Die Standartbehandlung in der Frühphase besteht aus Benzylpenicillin 2,4 Mio i.E. i.m., bei der Spätsyphilis wird die Behandlung insgesamt dreimal in wöchentlichen Abständen wiederholt. Multiple Studien mit ausreichend großen Fallzahlen zeigen ein drei- bis fünffach erhöhtes HIV-Infektionsrisiko bei Vorliegen einer Syphilis-Infektion. Bei etwa 10% der HIV-Erstdiagnostizierten in Deutschland in den Jahren 2001 bis 2004 bestand gleichzeitig eine Syphilis-Infektion oder eine Gonorrhoe. Damit sind Syphilis und Gonorrhoe auch mögliche Indikatoren für das Vorliegen einer HIV-Infektion.
FAZIT
„Klassische“ STIs treten aufgrund des Sexualverhaltens bei HIV-positiven Männern gehäuft auf und können bei analer Infektion nicht selten komplett asymptomatisch verlaufen. Aus diesem Grund sollten bei HIV-positiven Männern regelmäßige klinische Kontrolluntersuchungen der Analregion sowie regelmäßige Screening-Untersuchungen auf STIs wie Syphilis, Gonorrhoe oder Chlamydien-Infektion erfolgen. HIV-Behandler sollten aufgrund der zum Teil deutlich zunehmenden Medikamentenresistenzen mit den aktuellen Therapieempfehlungen von STIs vertraut sein. Derzeitig wird in Deutschland an Leitlinien zur Gonorrhoe-Therapie und Analkrebs-Vorsorge bei HIV-positiven Menschen gearbeitet.
1 Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Ruhr Universität Bochum im St. Josef-Hospital Bochum
2 Nationales Referenz-Zentrum für Papillom- und Polyomaviren, Institut für Virologie, Uniklinik Köln