HIV/AIDS und Kunst
Andres
Serrano – Natures mortes aus Blut, Schweiß und Sperma
Andres Serrano
Andres Serrano, geboren 1950 in New York als Sohn einer afro-kubanischen Mutter und eines honduranischen Vaters, wuchs in einem katholisch geprägten Umfeld auf. Bereits als Jugendlicher war er interessiert an Renaissance-Malerei und speziell religiöser Ikonographie. Bereits zu Anfang seiner künstlerischen Laufbahn konzentrierte er sich auf die Fotografie – beeinflusst von Bunuel und anderen Surrealisten, waren Kadaver und insbesondere Blut, Milch und Sperma zentrale Bildelemente seiner Fotografien.
Die 1985-90 entstandenen Serien „Body Fluids“ und „Immersions“ – vor allem die Fotografie „Piss Christ“ von 1987 aus der letzteren – wurden einer breiteren Öffentlichkeit bekannt: Sie zeigt ein Plastik-Kruzifix, das mit Urin bespritzt wird, und löste einen Skandal aus, der Serrano endgültig einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte: Die republikanischen Senatoren Jesse Helms und Alphonse D’Amato griffen ihn und weitere Künstler wie Robert Mapplethorpe an und kritisierten vehement die staatliche Förderung von Ausstellungen, die Werke homosexuellen und obszönen Inhalts zeigten. Nichtsdestotrotz erzielte Serranos Foto 1999 in London eine Summe von über 160.000 US-Dollar (gegenüber einem Schätzwert von 20.000-30.000 US-Dollar). Der symbolischen Zerstörung seines Werks durch D’Amato, der 1989 während einer Rede im Kongress eine Reproduktion der Fotografie zerriss, folgte 2011 die letzte in einer Reihe von Attacken, als es in Avignon im Rahmen einer Ausstellung von einer Gruppe radikaler Katholiken beschädigt wurde.
Andres Serrano: „Piss Christ”, 1987, Cibachrome, 152 x 101 cm
Serrano selbst wies den Vorwurf der Blasphemie immer zurück – tatsächlich kann man das Werk als moderne Interpretation des Kreuzwegs Christi, der Verspottung, sehen. Ob tiefgründig oder plakativ, sei dahingestellt.
Serrano scheut dabei auch nicht Ausflüge in die Popkultur: Die Arbeiten „Blood and Semen III“ und „Piss and Blood“ dienten als Cover-Fotos für zwei Alben der Metal-Band Metallica. Diese und andere Titel stehen in einem scheinbar widersprüchlichen Kontrast zu Serranos Intention, der diese Fotografien als monochrome Studien zu Licht und Farbwerten bezeichnete. So bezog sich z.B. die Arbeit „Milk Blood“ von 1984 explizit auf die geometrischen Abstraktionen Mondrians. Unbestreitbar ist jedoch der wiederholte bewusste Bezug auf klassische Kunst.
Andres Serrano: „Ku Klux Klan“, 1998, Cibachrome, 98,5 x 79 cm
Andres Serrano, „Milk, Blood“, 1986, Cibachrome, 100 x 68 cm
In den folgenden Bilderserien porträtierte er Menschen – befreundete Künstler oder für die Serie „Nomads“ anonyme Personen von der Straße, die er erst beim Fotografieren kennenlernte, und Mitglieder des Ku-Klux-Clans. Während die Fotografien der Künstler und der Obdachlosen klassische Porträts sind, wirken die des Klans abstrakt. Wie „Milk Blood“ kann man diese als eine Art Vexierbild betrachten – das zwischen abstrakter Komposition in Rot-Weiß und tendenziell heroisierender Darstellung wechselt – wobei sich Serrano einem klaren politischen Bekenntnis verweigert.
Dennoch kann die Reduktion auf klare Konturen und Flächen und das Schattenspiel in den Farben, welche eine Monumentalisierung der anonymen Figur bewirken, den Bezug auf eine faschistoide Ästhetik nicht verleugnen.
The Morgue
1992 erhielt Serrano nach mehreren Anläufen die Erlaubnis,
in einem Leichenschauhaus zu fotografieren. Die
Erlaubnis
gab ihm nur der zuständige Gerichtsmediziner – unter der Bedingung, dass die
Identität der Toten nicht erkennbar sei, da weder die Fotografierten vor ihrem
Tod noch deren Angehörige ihr Einverständnis dazu gegeben hatten. Anders als
bei seinen bisherigen Porträts durfte Serrano daher nicht das ganze Gesicht fotografieren,
zudem wusste er über seine „Modelle“ nichts außer der Todesursache.
Andres Serrano: „The Morgue“ (Drowning), 1992, Cibachrome, 125,73 cm x 152,4 cm
Andres Serrano, „The Morgue“ (Rat Poison Suicide II), 1992, Cibachrome, 125,73 cm x 152,4 cm
Diese Einschränkungen ergänzte Serrano noch dadurch, dass er für alle Fotos einen einheitlichen Hintergrund wählte: einen schwarzen Stoff, der den realen Ort verschleierte und den Fokus allein auf die Toten legte. Dies erzeugt eine reliefhafte Flachheit, die an den „Tod des Marat“ von Jacques-Louis David erinnert, aber auch an die undefinierte Räumlichkeit spätmittelalterlicher Malerei. Dadurch wird der Blick ohne Ablenkung auf diejenigen Teile des Köpers gelenkt, die mit der Todesursache unmittelbar in Zusammenhang stehen.
Die Monumentalität der Formate, die mehr als anderthalb Meter breit sind, unterstützt die beabsichtigte Abstrahierung. Die Individualität der Personen, wie auch ihr Geschlecht und ihre Geschichte, treten dadurch noch mehr in den Hintergrund.
„Drowning“ zeigt einen Bluterguss, der die Zeichen äußerer Gewalt zum Ornament stilisiert. Wie eine natürliche Tätowierung überlagert er sich mit der tatsächlichen eines Tigerkopfes, die netzartige Struktur wird zum Spiel von Licht und Schatten.
Die Fotografie „Rat Poison Suicide II“ zeigt den Ausschnitt eines Fußes, der Körper liegt offensichtlich aufgebahrt auf dem Rücken, die klassische Position eines Toten – und vieler Darstellungen des toten Christus. Anders als der Titel vermuten lässt, sieht man eine Schnittwunde an einem Fuß. Der Bezug auf die christliche Ikonographie ist hier vollends deutlich, wie auch die fast lustvoll zu bezeichnende Darstellung der Farbnuancen menschlicher Haut – die schon die spätmittelalterlichen Maler kennzeichnet. Bei all dieser Konzentration auf malerische Referenzen scheint es, als würde hier der Ursprung dieser morbiden Schönheit – die Brutalität und das Leiden, die jene eigentlich thematisiert hat – bewusst ignoriert oder geradezu verbannt. Sie führen in den Bildtiteln ein Schattendasein, verdrängt von der Theatralik der Farbe. In diesem Licht erscheinen die eingangs erwähnten wiederholten Attacken auf Serranos Fotografien umso kurioser. Es ist, als würden sie stellvertretend für den aus ihnen verdrängten Schmerz der Sujets leiden müssen.