Werner Becker, München
Wer behandelt hier?
Der Arzt oder die Krankenversicherung?

Im Juni 2008 kam der damals 50 jährige selbständige Geschäftsmann nach einer Vorgeschichte von 15 Jahren wechselnder antiviraler Therapie und einer Behandlung eines neuroektodermalen Tumors im Bereich des rechten Oberschenkels (Chemotherapie, Operation, Radiotherapie) erstmals in unsere Behandlung.

Er war in einem fortgeschritten ausgezehrten Zustand mit 64 Kilo bei 174 cm Köpergröße und hatte eine Viruslast von 62.000 Kopien/ml und eine CD4-Zellzahl von 9/µl. In den zwei Jahren, die dem ersten Besuch vorangingen, war er wegen Vertragsschwierigkeiten mit seiner privaten Krankenversicherung nicht versichert und hatte zwei Jahre lang Kaletra® und Truvada® selbst finanziert, war aber nicht in ärztlicher Behandlung gewesen.

Multiresistenz

Die Ausgangssituation war also ein fortgeschrittener Krankheitszustand, ein schwerer Immundefekt und eine mittelhohe Viruslast. Bei der Resistenztestung fand sich eine Multiresistenz: Sämtliche NRTI’s waren unwirksam, ebenso die NNRTI’s mit einer K103N Mutation. Bei den Proteasehemmern war nur noch für Darunavir und Tipranavir eine partielle Wirksamkeit nachzuweisen. Gegen alle anderen Proteasehemmer war der Patient resistent.

Er hatte also eine Multiresistenz am Ende der Therapierbarkeit, so dass wir uns ohne Studienabsicherung auf eine Therapie mit Isentress®, Celsentri® und Fuzeon® mit dem Patienten einigen konnten. Komedikation wegen der schlechten Immunlage war Cotrim® sowie Marcumar® wegen erheblicher Gefäßschäden im rechten Oberschenkel nach der umfangreichen Tumortherapie. Dieses Management wurde im Juni 2008 begonnen. Schon im August 2008 lagen die Viren bei 630 Kopien/ml, der Anstieg der Helferzellen von 9/µl auf 21/µl war nicht überraschend gering.

Unter dieser Behelfstherapie hielt sich die Viruslast zwischen Juni 2008 und Mai 2009 bei Werten um 344 Kopien, die Helferzellzahl lag bei 116/µl mit weiterhin schlechten 7%.

Therapieerfolg

Ab April 2009 haben wir der Therapie Intelence® in der üblichen Dosierung 2x 200 mg hinzugefügt, dies führte im Juli 2009 erstmals zur Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze. Der Patient hatte sich klinisch deutlich erholt, erheblich Gewicht zugenommen und sich eigentlich gut gefühlt, obwohl er mit den Nebenwirkungen der Fuzeon®-Injektionen Schwierigkeiten hatte.

Im Mai 2009 war die Geduld des Patienten mit der Fuzeon®-Therapie zu Ende und wir ergänzten die Medikation trotz der eingeschränkten Wirksamkeit im Resistenztest mit geboostertem Prezista®. Die Viruslast blieb von Juni 2009 bis September 2011 unter der Nachweisgrenze, die Immunerholung war mangelhaft mit Helferzellen zwischen 140/µl und 178/µl.

Probleme mit der Kasse

Während der gesamten Behandlung hatte der Patient immer wieder Streitigkeiten mit seiner Privatkasse und Erstattungsschwierigkeiten, so dass nur ein Teil der Medikamente erstattet wurde und er einen anderen Teil wegen der unkonventionellen Therapie selber bezahlen musste. Es wurden viele Arztbriefe an die Krankenkasse geschrieben mit einer genauen Begründung für die ungewöhnliche Therapie bei Multiresistenz. Er hatte auch einen Anwalt, der ihm die gesamte Zeit in der Auseinandersetzung mit der Krankenkasse beistand, aber weder die anwaltlichen noch die ärztlichen Begründungen der Therapie konnten die Versicherung umstimmen.

Im Juli 2011 erhielt der Patient die Nachricht, dass die nächste Erstattung erst wieder im November des Jahres stattfinden würde. Da er selbst keine weiteren Zahlungen leisten konnte, wechselten wir auf eine Therapie mit geboostertem Prezista® und Isentress®, was für seine finanziellen Möglichkeiten gerade noch akzeptabel war. Darunter stieg innerhalb kürzester Zeit die Viruslast auf 590.000 Kopien/µl bei einer einigermaßen erhaltenen Immunlage von inzwischen 178 CD4-Zellen/µl bei 10%.

Viel hilft viel

In den intensiven Therapiegesprächen kam inzwischen ans Licht, dass der Patient über mehrere Monate die doppelte Dosis seiner Medikamente eingenommen hat. Nur in dieser Zeit lag die Viruslast unter der Nachweisgrenze. Nach der Therapieumstellung kam es dann zu dem steilen Anstieg der Viruslast.

Im Januar 2012 kam dann endlich die lange erwartete Zusage für die Kostenübernahme und wir die Therapie wieder anpassen. Im März 2012 erhielt der Patient abgeboostertes Aptivus®, Intelence®, Isentress® und Celsentri® in Standarddosierung.

Abb. 1 Verlauf Viruslast und CD4-ZahlAbb. 1 Verlauf Viruslast und CD4-Zahl

Unbefriedigend

Abb. 2 Abdominale LipohypertrophieAbb. 2 Abdominale Lipohypertrophie

In der Folgezeit kam es zu einem sehr langsamen Rückgang der Virusreplikation. Zwischen Januar und Juli 2012 fiel die Viruslast von 600.000 auf 380 Kopien/ml, liegt aber bis heute nicht wieder unter der Nachweisgrenze. Bei der letzten Untersuchung im Februar 2013 betrug die Viruslast 82 Kopien/ml und die Helferzellen bei 116/µl mit 12% (Abb. 1).

Der Patient hat inzwischen eine koronare Herzkrankheit. Er hat einen Herzinfarkt erlitten und es wurden mehrere Stents implantiert. Zudem hat er eine ausgeprägte faziale, abdominelle und Extremitäten-Lipodystrophie entwickelt. Sein Gewicht liegt bei 12 kg über der Ausgangslage und er ist voll berufstätig.

Rückblick

Im Rückblick auf diesen komplizierten Verlauf mit einer denkbar schlechten Ausgangssituation der Gesamtgesundheit und der Immunlage sowie der hohen Virusreplikation ist es mit einer unkonventionellen eher nach Gutdünken als nach Studienlage zusammengesetzten Therapie zu einer guten Stabilisierung der Gesundheit gekommen. Erhebliche Schwierigkeiten mit der Versicherung gefährdeten die Therapie und haben zu einem schwerwiegenden Durchbruch von resistenten Viren geführt. Die Virusreplikation ist heute immer noch nicht unter der Nachweisgrenze. Sie liegt jedoch unter 100 Kopien/ml und es geht dem Patienten so gut, dass er als selbständiger Geschäftsmann vollschichtig arbeiten kann.

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