Deutsche AIDS-Hilfe
AIDS ist auch nicht mehr, was es mal war
„Wussten Sie eigentlich?“ Unser 30. Jubiläum stellen wir ganz ins Zeichen der Gegenwart. Wir tun dies nicht aus Missachtung gegenüber unserer Geschichte. Ganz im Gegenteil: Wir tun es, weil wir uns den Zielen unserer Gründer verpflichtet fühlen.
Damals wie heute ging es um drei Dinge: Die Situation von Menschen mit HIV und Aids verbessern, Ausgrenzung entgegenwirken und Schutz vor HIV. Die einzigartige Geschichte der Aidshilfe und ihre Erfolge sind dabei wegweisend für Gegenwart und Zukunft.
Keine Angst vor Spritzen!
Aids ist auch nicht mehr, was es mal war. Die Gesundheitssituation in Haft dagegen schon – sie ist schlechter als „draußen“. Tagtäglich werden die ca. 20.000 Drogenkonsumenten unter den Gefangenen der Gefahr einer HIV- oder Hepatitis-Infektion ausgesetzt. Warum? Weil „der Vollzug“ Angst vor Spritzen hat und „die Politik“ ihr ideologisches Süppchen kocht. Drogenkonsum in Haft? Darf und kann nicht sein.
Das war nicht immer so: In den 90er Jahren gab es mehrere Spritzentauschprojekte in Deutschlands Haftanstalten. Sie waren erfolgreich, aber fast alle wurden aus politischen Gründen eingestellt. Und auch die Angst ist unbegründet: Weltweit gibt es seit 21 Jahren Spritzenvergabeprojekte in Gefängnissen – ohne Zwischenfälle.
Nein, die Spritzenvergabe in Haft ist keine Bedrohung, sondern ein Schutz – für alle Beteiligten, Gefangene wie Bedienstete. Und die Gesundheit der Gefangenen ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht. Deshalb: Spritzen in die Knäste!
www.drogenundmenschenrechte.de
Holger Sweers, Referent für Aufklärung und Information der Deutschen AIDS-Hilfe
Eine Journalistin von einem PR-Magazin hat uns kürzlich gefragt: Was sind die Meilensteine, die Ihren „Markenkern“ ausmachen? „Markenkern“ – so etwas hat man nach 30 Jahren.
Unsere Antworten haben die Journalistin vielleicht überrascht.
Ein Meilenstein war ganz sicher der Aktionstag „Solidarität der Uneinsichtigen“ 1988 – mit Bezug auf den damaligen Frankfurter Oberbürgermeister Brück (CDU), der die Absonderung „uneinsichtiger Infizierter“ forderte.
„Keine Rechenschaft für Leidenschaft“
Ein weiterer: Die erste Bundespositivenversammlung „Positiv in den Herbst – Keine Rechenschaft für Leidenschaft!“ im September 1990.
Schon seit 1985 sind wir vom Staat mit der Prävention für die besonders stark von HIV betroffenen Gruppen betraut und arbeiten eng mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zusammen – ein einzigartiges Modell.
Diese Meilensteine – natürlich gab es noch viel mehr – waren Grundsteine. Sie bilden bis heute das Fundament unserer Arbeit: die Verwurzelung in den Communitys und der Selbsthilfe, eine – wenn nötig wehrhafte – Solidarität und eine hohe fachliche Kompetenz.
Auf diesem Fundament haben wir gemeinsam mit unseren Bündnispartnern große Erfolge erreicht. Die Infektionszahlen in Deutschland sind im europäischen Vergleich sehr niedrig. Die Gesellschaft hat sich im Prinzip für einen aufgeklärten und solidarischen Umgang mit HIV-Positiven entschieden.
Ich sage „im Prinzip“. Am Ziel sind wir nämlich noch lange nicht.
„Gegen Diskriminierung helfen keine Pillen“
Mit einer fast normalen Lebenserwartung können Menschen mit HIV heute rechnen, mit einem normalen Leben nicht. Denn gegen Diskriminierung – so ein Claim aus unserer Jubiläumskampagne – helfen keine Pillen.
Das gehört ganz sicher zum Markenkern der Deutschen AIDS-Hilfe: das Engagement gegen Diskriminierung. Denn Diskriminierung macht krank und kann tödlich sein. Sie macht Angst, schafft Tabus und Schweigen. Das ist Gift für die Prävention und kann Menschen vom HIV-Test abhalten – und damit von einer wirksamen Behandlung.
Manuel Izdebski, Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe
Wir dürfen auch nicht vergessen: Noch immer sind Menschen von Maßnahmen zum Schutz vor HIV ausgeschlossen. In zehn Bundesländern gibt es keine Drogenkonsumräume – obwohl solche Einrichtungen Leben retten. Und noch immer gibt es in Gefängnissen oft keine Substitutionstherapien, von sauberen Spritzen ganz zu schweigen. Hier werden HIV- und Hepatitis- Infektionen bewusst in Kauf genommen!
Unser wichtigstes Ziel ist zeitlos: ein solidarisches Miteinander. Heute wie damals fordern wir eine angemessene Versorgung für alle! Alle Menschen sollen sich vor HIV schützen können und Menschen mit HIV sollen vor Diskriminierung geschützt sein. Menschen zweiter Klasse darf es nicht geben.
Was ist zu tun?
Schwierigkeiten und Diskriminierung haben oft mit Unwissenheit zu tun – manchmal auch mit Ignoranz. Gerade die Veränderungen des Lebens mit HIV sind vielen Menschen noch nicht bewusst. Auch die veralteten Bilder von HIV machen Angst und führen zu Diskriminierung.
Wie soll man zum Beispiel als Arbeitgeber jemanden einstellen, von dem man glaubt, er sei schwer krank und habe nicht mehr lange zu leben?
Präsentation der Kampagne „Wussten Sie eigentlich?“ in Berlin
Darum sprechen wir die Menschen in unserer Jubiläumskampagne direkt an: „Wussten Sie eigentlich?“ Provokante Claims machen neugierig: „AIDS ist auch nicht mehr, was es mal war“ oder „Drogen spritzen kann eine saubere Sache sein“.
Lebensgeschichten von zehn Menschen illustrieren unsere Botschaften. Ich bin sicher: Wer die Geschichten gelesen hat, die wir in dieser Kampagne erzählen, wird über vieles anders denken. Wir bitten Sie: Lassen Sie uns diese Geschichten gemeinsam weitertragen.
Sehr herzlich danken möchten wir allen, mit denen wir in den letzten 30 Jahren für gemeinsame Ziele eintreten durften. Ganz besonders danken wir allen „Möglichmachern“, die durch unglaubliches Engagement zu unserer Jubiläumskampagne beigetragen haben.
Es ist wahr: AIDS ist auch nicht mehr, was es mal war. Wir – die Aidshilfe – haben uns verändert, wo es nötig war, wir sind uns treu geblieben UND auf der Höhe der Zeit. Geschichte und Gegenwart zeigen, wie stark Aidshilfe und Selbsthilfe sein können. Das macht Mut und das macht Freude. Oft macht es sogar Spaß. In diesem Sinne: Lasst uns feiern!