Martin Platten Und Gerd FäTkenheuer, KöLn
Erster breit neutralisierender Antikörper
Eine internationale Forschergruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Michel Nussenzweig von der Rockefeller University in New York hat mit Beteiligung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung und der Uniklinik Köln 3BNC117, einen Vertreter der neuen Generation breit neutralisierender Antikörper, erstmals am Menschen getestet.
Breit neutralisierende Antikörper zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Vielzahl von HIV-Stämmen neutralisieren können, und das in einer relativ niedrigen Konzentration. Dies wird dadurch ermöglicht, dass hoch konservierte Epitope wie die CD4-Bindungsstelle, die V1/V2-Loop- oder die V3-Loop-Region gebunden werden.
Erste breit neutralisierende Antikörper gegen HIV waren weder präklinisch noch klinisch effektiv wirksam. Mit Hilfe verfeinerter Klonierungstechnik ist es aber mittlerweile gelungen, deutlich potentere Antikörper von HIV-Patienten zu isolieren und im Labor herzustellen.
Neue Generation
Die neue Generation breit neutralisierender Antikörper hat deutliche Effekte bei humanisierten Mäusen und Primaten gezeigt. So war es möglich, in Tierversuchen HIV-Infektionen zu verhindern und bei infizierten Tieren die HI-Virämie vorübergehend komplett zu supprimieren. 3BNC117 ist ein Antikörper dieser neuen Generation. Er richtet sich gegen die CD4-Bindungsstelle von HIV, eines der hoch konservierten und funktionell essenziellen Epitope, und ist in der Lage, 90% der zirkulierenden HIV-Stämme zu neutralisieren.
Erste Studie am Menschen
In einer offenen Dosiseskalationsstudie der Phase I, die aktuell noch weitergeführt wird, haben bis zum Zeitpunkt der Einreichung des Artikels bei der Fachzeitschrift Nature 12 HIV-negative und 14 HIV-positive Probanden den breit neutralisierenden Antikörper 3BNC117 in einer Dosierung von 1, 3, 10 oder 30 mg/kg einmalig intravenös erhalten. 3BNC117 wurde in allen Dosisstufen sehr gut vertragen. Es traten keine höhergradigen Nebenwirkungen oder Laborwertveränderungen auf.
Die Serumhalbwertszeit von 3BNC117 betrug bei HIV-negativen Probanden etwa 17 Tage und bei HIV-positiven Patienten 9 Tage. Die kürzere Halbwertszeit bei HIV-Patienten ist am ehesten auf die Bildung von Antigen-Antikörper-Komplexen zurückzuführen, gefolgt von einer beschleunigten Clearance dieser Komplexe.
Das virologische Ansprechen korrelierte mit der Dosierung von 3BNC117. Die höchste Dosis von 30 mg/kg verringerte die HI-Viruslast um 0,8 bis 2,5 Logstufen, und die Virämie blieb 28 Tage lang signifikant reduziert. Bei einigen HIV-positiven Probanden wurden allerdings Flucht-mutationen gegen 3BNC117 nachgewiesen.
Kombination geplant
Nach dieser ersten Studie, in der die prinzipielle Machbarkeit einer solchen Behandlung gezeigt werden konnte, sind weitere Studien mit breit neutralisierenden Antikörpern geplant. So sollen weitere aussichtsreiche Antikörper getestet werden, zunächst allein und dann gegebenenfalls auch in Kombination miteinander. Ähnlich wie bei der antiretroviralen Therapie ist bei einer Kombinationsbehandlung mit Antikörpern eine höhere und länger anhaltende Wirksamkeit zu erwarten.
Ein
weiteres mögliches innovatives Therapiekonzept ist die Kombination
breit neutralisierender Antikörper mit
Histon-Deacetylase-Inhibitoren. Diese Substanzen sind in der Lage,
die HIV-Replikation in ruhenden Zellen des Immun-
systems,
die ein durch antiretrovirale Therapie nicht erreichbares Reservoir
für HIV darstellen, anzustoßen und somit der Elimination durch das
Immunsystem zugänglich zu machen. Breit neutralisierende Antikörper
könnten dazu beitragen, mittels direkter Interaktion mit dem
Immunsystem HIV-infizierte Zellen zu eliminieren und die Infektion
neuer Zellen zu verhindern.
Perspektiven
Drei mögliche Perspektiven lassen sich aus den vorliegenden Ergebnissen ableiten. Zum einen ist es denkbar, dass eine Kombination mehrerer breit neutralisierender Antikörper, wiederholt injiziert, als Alternative zur antiretroviralen Therapie in Frage kommt. Zum anderen wäre eine Vakzine, die zur Entwicklung breit neutralisierender Antikörper führt, ein aussichtsreicher Kandidat für eine effektive Schutzimpfung gegen HIV. Zuletzt könnte die Kombination breit neutralisierender Antikörper mit antiretroviraler Therapie und/oder Histon-Deacetylase-Inhibitoren einen Schritt in Richtung langfristiger Kontrolle der HIV-Infektion bedeuten.