Siegfried Schwarze, Berlin
„Problem-rich expensive Prophylaxis” oder „Promising extended Prophylaxis”?
Ich gebe zu, ich habe ein ambivalentes Verhältnis zur PrEP: Auf der einen Seite sträube ich mich dagegen, gesunden Menschen hochwirksame Medikamente zu verabreichen, wo weltweit noch lange nicht alle behandlungsbedürftigen HIV-Infizierte Medikamente erhalten und eine erfolgreiche Behandlung einer HIV-Infektion auch die Partner schützt. Soll die PrEP sachgemäß durchgeführt werden, sind von Seiten der Anwender und der Ärzte viele Dinge zu berücksichtigen.
Andererseits bin ich mir bewusst, dass es weit reichende Parallelen zwischen der PrEP und der Anti-Baby-Pille gibt. In beiden Fällen nehmen gesunde Menschen potente Wirkstoffe (mit möglichen Nebenwirkungen) um ein Ereignis zu verhindern, dessen Folgen ein Leben lang andauern. Interessanterweise sind viele der Argumente, die heute gegen die PrEP in Stellung gebracht werden, vergleichbar mit denen, die 1960 gegen die „Pille“ gebraucht wurden. Dennoch hat sich die „Pille“ als Standard der Empfängnisverhütung langfristig durchgesetzt. Will uns die Geschichte hier etwas lehren?
Untersuchungen an frisch HIV-Infizierten zeigten, dass ein Großteil der Infektionen unter dem Einfluss von Alkohol (und evtl. anderen Substanzen) geschehen. Auch wenn die Deutsche Aids-Hilfe mit ihrer Kampagne „Ich weiß, was ich tue“ Menschen informieren und in die Lage versetzen will, sich eigenverantwortlich zu schützen, ist gerade der Kontrollverlust, das „Sich-Hingeben“, eine fundamentale Komponente von Sex. Da geht es eben genau darum, nicht mehr wissen zu müssen, was man tut; einfach nur noch im Hier und Jetzt leben. Doch das macht die Prävention durch Kondome und andere Barriere-Methoden schwierig. Jede präventive Handlung, auch wenn noch so geschickt in den Sex-akt eingebettet, erinnert automatisch an Risiken und wirkt damit als Spaßbremse. Ganz anders die PrEP. Hier denke ich an die Prävention vor und nach dem Sex, sobald ich die Pillen schlucke. Aber eben nicht während des Sex.
Ich glaube, der große Erfolg der „Pille“ liegt unter anderem genau darin: Sex wieder ungestört von Präventionsakten genießen zu können. Und vielleicht ist das auch eine große Chance für die HIV-Prävention durch die PrEP. Noch ist diese Methode (in Europa) nicht zugelassen und für die meisten unerschwinglich. Aber wir wissen ja: Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe.