Gesundheit ist kein Luxus

Unter diesem Motto trafen sich am 10. Dezember 2015 dem Tag der internationalen Menschenrechte des vergangenen Jahres in Berlin im GLS Campus 120 Fachleute zu einer Fachtagung der Deutschen AIDS-Hilfe e.V., um die aktuelle Situation für Menschen ohne Papiere in Deutschland und Europa zu diskutieren.


Gesundheit ist kein Luxus

Der Zugang zu gesundheitlichen Dienstleistungen ist in Deutschland bekanntermaßen faktisch an die Offenlegung der eigenen Identität gebunden, auch wenn das Asylbewerberleistungsgesetz dies nicht zur Bedingung macht. In der Anonymität gibt es für chronisch Kranke keinen bezahlbaren Zugang zum Gesundheitssystem. So gibt es nicht selten Situationen, in denen Menschen, die sich hier ohne Papiere aufhalten, die Existenz in der Anonymität dem Zugang zu Gesundheitsleistungen vorziehen, um sich nicht einem höheren Risiko einer Abschiebung oder sogar einer Abschiebehaft auszusetzen. Diese Alternative darf es nicht geben und muss durch ein Sozialwesen verhindert werden. Gesundheit ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht.

Politik muss handeln

Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe stellte zu Anfang der Tagung fest, dass ein Versorgungsmodell für Menschen ohne Papiere oder Versicherung überfällig sei. Ein Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung ist ethisch, epidemiologisch und ökonomisch geboten. Die Politik stehe in der Pflicht, die Praktiker im Gesundheitswesen mit diesem Problem nicht länger allein zu lassen.

Prof. Georg Behrens, Vorsitzender der Deutschen AIDS Gesellschaft, unterstützt dieses Anliegen, insbesondere in Hinblick auf die HIV-Infektion. Gerade HIV-positive Menschen dürfen nicht außerhalb des Gesundheitswesens gelassen werden. Dies ist in hohem Maße unvernünftig und widerspricht dem Eid des Hippokrates. Es führt zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der betroffenen Menschen mit entsprechenden Qualen und letztlich mit höheren Behandlungskosten im Notfall. Epidemiologisch fördert dies Vorgehen die Erhöhung der Rate der Neuinfektionen.

Hilfe ist legitim

Plenum im Saal des GLS Campus in Berlin ©Deutsche AIDS Hilfe (DAH)
Plenum im Saal des GLS Campus in Berlin
©Deutsche AIDS Hilfe (DAH)

Prof. Nivedita Prasad von der Alice Salomon Fachhochschule in Berlin zitierte am Anfang ihres Vortrages Hannah Arendt: Menschen ohne Papiere sind Menschen, „die nicht mal das Recht auf Rechte haben“. Um Zugang zu den Menschenrechten zu haben gebe es nur eine Voraussetzung, nämlich ‚Mensch zu sein’ und der Zugang zu gesundheitlichen Leistungen, wie auch immer die dann definiert sind, sei ein international anerkanntes fundamentales Menschenrecht. Der fehlende Aufenthaltsstatus dürfe keine Barriere zur Erlangung von Gesundheitsleistungen sein. Das Prinzip vom diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsleistungen müsse eingehalten werden. Sie lobte das Engagement von Ärztinnen und Ärzten, die zum Beispiel zurückgegebene HIV Medikamente im Notfall an Nichtversicherte geben, dies sei zwar von der Rechtslage nicht gedeckt, denn sie hätten ja kein Dispensierrecht und dürften dies auch aus hygienischen Gründen nicht tun, aber sie bezeichnete diese Praxis als legitim. Die Regierung muss eine Gesetzeslage schaffen, die diese Notsituationen verhindert. Zum Schluss rief Nivedita Prasad dazu auf, dass zum nächsten internationalen Tag der Menschenrechte am 10.12.2016 sich möglichst viele entsprechende Ärzte aus Protest selbst anzeigen sollten.

Prof. Heinz-Jochen Zenker, Präsident der Organisation ‚Ärzte der Welt’, erklärte: „Die Tatsache, dass Nicht-Regierungsorganisationen wie ‚Ärzte der Welt’ versuchen müssen, die Versorgungsdefizite über die Einrichtung von Ambulanzen und Praxen zu schließen, ist weder gesundheitsökonomisch noch menschenrechtlich vertretbar. Die Bundesregierung hat die Pflicht sicherzustellen, dass alle Menschen in Deutschland Zugang zur Gesundheitsversorgung gemäß der UN-Menschrechtscharta erhalten“.

Keine Therapie ist teurer

Sandra Behrmann vom RKI fiel die schwierige Aufgabe zu, eine Kosten-Nutzenanalyse der Behandlung versus der Nichtbehandlung eines mit HIV Infizierten zu erstellen.

Bei den Kosten unterschied sie die direkten medizinischen Kosten von nichtmedizinischen Kosten, von indirekten und von intangiblen Kosten. Durch die immens hohen Kosten für medizinische Notversorgungen und Folgekosten bei dadurch entstandenen gesundheitlichen Defiziten, scheint die Nichtbehandlung der Allgemeinheit ökonomisch gesehen deutlich teurer zu stehen zu kommen. Gesicherte Daten dazu gebe es allerdings nicht.

Antje Sanogo von der Münchner AIDS Hilfe (inzwischen arbeitet sie beim ASB) gibt ein Statement zum Komplex HIV-Prävention und Menschenrechte ab:

  1. Stigmatisierung und Diskriminierung können zu Menschenrechtsverletzungen führen.
  2. Menschenrechtsverletzungen können den Zugang zu HIV-Prävention und medizinischer Versorgung behindern
  3. Der mangelnde Zugang zur Prävention und zur medizinischen Versorgung kann besondere Vulnerabilitäten verstärken/schaffen.
  4. Die Stigmatisierung und Diskriminierung machen zusätzlich krank.

Der Irrsinn dabei: Die Nichtbehandlung ist teuer, sie kostet viel – kostet zum Schluss mehr als die Regelversorgung.

Blick auf UK

Teilnehmer aus Spanien, Ungarn und Großbritannien stellten die besondere gesundheitliche Situation von mit HIV infizierten Bürgern mit und ohne Papiere ihrer Länder vor. Besonders positiv ist dabei die Situation in Großbritannien, die Sarah Radcliff vom National AIDS Trust vorstellte, wo aus public health Gründen jedem Menschen mit einer HIV-Infektion ein Zugang zur medizinischen Grundversorgung, die eine HIV-Therapie beinhaltet, gewährt wird. Dieser einfache barrierefreie Zugang ist zwar dem Einheitsgesundheitssystem (NHS) in Großbritannien geschuldet, doch – so die einhellige Meinung der Fachtagung – wenn wir uns in Deutschland ein so kompliziertes vielschichtiges Gesundheitssystem leisten wollen, so liegt auch die Verantwortung dafür bei uns, trotzdem einen barrierefreien Zugang für alle Menschen zu ermöglichen. Ungeklärte Fragen, wer denn dann für die Kosten aufkommen soll – die GKV, die PKV, die Kommunen, das Bundesgesundheitsministerium, das Innenministerium oder das Sozialministerium – dürfen nicht zu einer Blockade der Verwirklichung dieses Menschenrechtes auf Zugang zum Gesundheitssystem für jeden Menschen führen.

Für diese Fachtagung wurde als Impulsgeber ein Video erstellt, welches via youtube abrufbar ist: http://www.youtube.com/watch?v=NZe6WTwwStI

Zum Schluss der Tagung wurde ein Aufruf gemeinsam verabschiedet:

http://www.aidshilfe.de/sites/default/files/Bundesinitiative-HIV-und-Migration_Forderungen.pdf



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