Patrick Ingiliz, Berlin
Hepatitis C – Update 2016
Abb. 1 Wahrscheinliche Übertragungswege der übermittelten HCV-Erstdiagnosen, Deutschland, 2014
In Deutschland leben (je nach Schätzung) 100-300.000 chronisch HCV-infizierte Menschen und 5-6.000 neue HCV-Diagnosen werden dem Berliner Robert Koch-Institut jährlich gemeldet. Die meisten neuen Diagnosen werden hierzulande bei intravenös Drogengebrauchenden (IVDU) verzeichnet, aber auch bei HIV-positiven Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) sowie Migrantinnen und Migranten aus Ländern höherer Prävalenz (Abb. 1).
Zurückhaltung im Heilungsrausch
Seit Januar 2014 stehen Medikamente zur Verfügung, mit denen die Hepatitis C nebenwirkungsarm und hocheffektiv behandelt werden kann. Es erfolgte in zeitlicher Reihenfolge die Zulassung von: Sovaldi® (Sofosbuvir), Olysio® (Simeprevir), Daklinza® (Daclatasvir), Harvoni® (Fixkombination aus Sofosbuvir und Ledipasvir), Viekirax® (Paritaprevir/Ritonavir/Ombitasvir) und Exviera® (Dasabuvir).
Im Grunde stehen mit diesen Präparaten genügend Optionen zur Verfügung, um für jeden Patienten eine individuelle, Interferon-freie Kombination zu erstellen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Heilung führt. Und anders als bei unseren europäischen Nachbarn (z.B. Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien), gibt es in Deutschland keinerlei Vorgaben von Seiten der Politik, Therapien zugunsten von besonders Kranken zu priorisieren oder Patienten ohne dringenden Bedarf erst einmal nicht zu behandeln. Auch die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) bezeichnet explizit jede HCV-Infektion als behandlungsbedürftig.
Problematisch
für das Gesundheitssys-tem sind allerdings die hohen Therapiekosten
von immerhin zwischen 40 und 150.000 Euro pro Heilung. Der von den
Krankenkassen befürchtete Ausverkauf ist jedoch ausgeblieben. Laut
GKV-Spitzenverband sind im Jahre 2015 etwa 20.000 Menschen mit neuen
HCV-Substanzen in Deutschland behandelt worden, deutlich mehr als
rund 10.000 in der Interferon-Ära, aber eben auch weniger als von
den Krankenkassen
kalkuliert.
Die Gründe hierfür sind nicht bekannt, aber liegen vermutlich auch in der Zurückhaltung der Behandler. Vermutlich sind vielerorts in der Tat zunächst die „Kränkesten“ behandelt worden. Zudem hat wohl die öffentliche Debatte um die hohen Therapiekosten und die Angst vor Regressen durch die Krankenkassen Wirkung gezeigt. In Deutschland wurde zwar nicht durch Richtlinien, aber wohl durch die Behandler priorisiert. Oder es gibt im Einzelfall eben doch noch einige ungeklärte Fragen, was Patienten und Behandler zum Zuwarten bewegt.
Genotyp 1 – der Klassenprimus
Abb. 2 Ansprechraten nach Genotyp in der GECCO-Kohorte
Spätestens seit der Zulassung von Harvoni® und Viekirax®/Exviera® stehen zwei optimale Therapieregime für Patienten mit Genotyp 1-Infektion zur Verfügung, die in der Regel über 12 Wochen eingenommen werden müssen. Real-Life-Kohorten wie die GECCO-Kohorte bestätigen die hohen Heilungsraten aus den Phase 3-Studien um 95% (Abb. 2). Hinzu kommt, dass Harvoni® bei günstigen Ausgangsfaktoren (Frauen, Männer mit niedriger Viruslast, keine Zirrhose, therapienaiv) ein ebenso gutes Ansprechen mit einer nur 8-wöchigen Therapie haben. In der GECCO-Kohorte bestätigten sich dieses Ansprechen, und zwar auch für Patienten mit HIV-Koinfektion. Patienten mit einer Genotyp 1b-Infek-tion können am kostengünstigsten und Ribavirin-frei (wenn keine Zirrhose) mit Viekirax®/Exviera® behandelt werden. Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose sollten Harvoni® plus Ribavirin erhalten.
Genotyp 2 – Vorsicht bei Genotypbestimmung
Warum
eigentlich noch über Genotyp 2-Infektionen reden? Schon zu
Interferonzeiten wurden fast alle Patienten mit diesem Genotyp
teilweise mit Kurztherapien geheilt und mit Sovaldi ® und Ribavirin
über 12 Wochen steht eine
optimale Therapie zur Verfügung. In
den letzten beiden Jahren mehrten sich allerdings Fallberichte aus
verschiedenen Ländern über Relapse insbesondere bei Patienten mit
Genotyp 2a/2c. Ursächlich stellte sich heraus, dass es sich hierbei
um rekombinante Viren aus HCV-Genotyp 1b und 2k handelte, die
sogenannte St. Petersburg-Variante (Abb. 3). Kommen zur
Genotyp-Bestimmung nur Line Probe Assays (LiPA) zum Einsatz, wird
dieses Virus fehlklassifiziert. Bei Genotyp 2a/2c-Patienten,
spätestens aber bei Therapieversagen, sollte eine Sequenzierung der
NS5B-Region erfolgen.
Abb. 3 Rekombinantes Hepatitis C Virus, Genotyp 2k/1b (Kalinina et al., J Virol 2002)
Genotyp 3 – das Sorgenkind
Im
Grunde stehen für die Genotyp 3-Infektion schon seit 2014 zwei gute
Therapieregime zur Verfügung: Sofosbuvir und Ribavirin über 24
Wochen oder Sofosbuvir plus Daclatasvir über 12 Wochen bzw. 24
Wochen bei Patienten mit Leberzirrhose. An ersterer bleiben die hohen
Kosten zu bemängeln und die Tatsache, das Ribavirin über 24 Wochen
zu nicht unerheblichen Nebenwirkungen führen kann. Sofosbuvir plus
Daclatasvir konnte lange Zeit nicht verordnet werden, weil die dem
Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorgelegten Daten nicht
ausreichten, der Kombination einen Zusatznutzen zuzuweisen bzw. sie
überhaupt zu bewerten. Vom medizinischen Standpunkt aus gibt es
keinen Zweifel an der Wirksamkeit
dieser Kombinationen. Real-Life-Daten aus der GECCO-Kohorte
bestätigen dies und
zeigen mit größer werdender Patientenzahl
auch eine deutliche Überlegenheit der Kombination Sofosbuvir plus
Daclatasvir (Abb. 2). Nicht zuletzt das Compassionate Use Programm
der Firma Bristol-Myers Squibb von Daclatasvir für Patienten mit
fortgeschrittener Leberzirrhose stellte die hervorragende Wirksamkeit
bei HCV-Monoinfizierten und HIV-HCV-Koinfizierten unter Beweis.
Mittlerweile hat es eine Zulassungserweiterung gegeben, die den
Behandlern eine größere Sicherheit bei der Verordnung dieser
Kombination verschafft.
Andere Genotypen
Die Genotypen 4, 5 und 6 sind in Deutschland insgesamt selten vorzufinden. Bei HIV-positiven MSM werden in etwa 15% der Fälle Genotyp 4-Infektionen beobachtet. Am kostengünstigsten ist die Behandlung mit Paritaprevir/Ritonavir/Ombitasvir und Ribavirin. Ledipasvir/Sofosbuvir hat eine Wirksamkeit gegen all diese Genotypen.
Resistenzen
Die HCV-Resistenztestung war sicherlich eines der umstrittensten Themen des letzten Jahres. Gerade aus Sicht von HIV-Behandlern und Virologen, seit Jahrzehnten geübt in der Interpretation von Genotyp-Tabellen, erscheint es logisch, dass eine Resistenz-assoziierte Mutation im HCV-Genom zum Therapieversagen führen wird. Diese zeichnete sich bereits bei der Einführung der ersten HCV-Proteaseinhibitoren ab, allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass diese Mutationen verschwinden und offensichtlich nicht archiviert werden können.
Sofosbuvir-assoziierte Mutationen sind mit einem erheblichen Fitnessverlust verbunden und werden demnach quasi nie beobachtet.
Da fast alle modernen HCV-Therapien NS5A-Inhibitor-basiert sind, kommt Mutationen im NS5A-Gen die größte Bedeutung zu. Je nachdem, ob Populations-basiert- oder tiefensequenziert wird, werden NS5A-Mutationen bei therapie-naiven Patienten in 1 bis etwa 15% der Patienten gefunden. Auch sind sie mit schlechterem Therapieansprechen assoziiert. So sank die Ansprechrate in den -Phase2/3-Studien zu Ledipasvir/Sofosbuvir von 97 auf 93%, wenn eine NS5A-Mutation vorlag. Handelte es sich z.B. um eine Y93H-Mutation, die mit einem über 100-fachen Wirkungsverlust assoziiert ist, so sank die Ansprechrate auf 83%.
Ein HCV-Resistenztest vor Therapiebeginn wird heute dennoch nicht empfohlen. Anders sieht es nach einem Therapieversagen aus. Hier kann ein Resistenztest Sinn machen, eine generelle Empfehlung dazu geben die Fachgesellschaften allerdings derzeit nicht.
Retherapie
Kommt
es zum Therapieversagen einer NS5A-Inhibitor-basierten Therapie, so
liegen in der überwiegenden Zahl der Fälle Resistenzmutationen vor,
je länger die Therapie dauerte desto häufiger.
Diesen
therapieassoziierten NS5A-Mutationen, die deutlich länger
persistieren als Mutatationen gegen HCV-Proteasehemmer, kommt
möglicherweise eine größere Bedeutung als den präexistenten
Mutationen zu. Es erscheint nur konsequent, in solch einem Fall eine
Retherapie mit einem Substanzklassenwechsel anzustreben, also z.B.
Nukleotidanalogon plus Proteaseinhibitor. Allerdings liegen hierfür
weder ausreichend Studiendaten noch eine Zulassung vor.
Reinfektion
Abb. 4 Inzidenz der Reinfektion in der NEAT-Kohorte (1.583 Patientenjahre Follow-up bei 482 HIV-positiven MSM)
Neue HCV-Infektionen nach erfolgreicher Behandlung einer Hepatitis C werden in Deutschland fast nur noch bei IVDU oder HIV-positiven MSM beschrieben. Bei letzteren kann die Übertragung sexuell oder durch IV-Gebrauch von Drogen sein, z.B. im Setting von intra-venösen Gebrauch von Metamphetamin und damit verbundenen Sexparties. Wird das Risikoverhalten beibehalten, ist die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Infektion erheblich. In der europäischen NEAT- Kohorte, in der HIV-positive MSM nach erfolgreicher HCV-Behandlung beobachtet werden, kam es bei 50% innerhalb von 10 Jahren zu einer Reinfektion (Abb. 4). Diese Reinfektionsrate nähern sich denen aktiv Spritzdrogengebrauchender an.
Was kommt 2016?
Insbesondere zwei neue Kombinationstabletten werden dieses Jahr erwartet. Die Firma MSD bringt den Zweitgenerations-Proteaseinhibitor Grazoprevir und den NS5A-Inhibitor Elbasvir (in den USA: Zepatier®) auf den Markt gegen Genotyp 1 und 4. Die Fixkombination wurde in einem umfangreichen Studienprogramm geprüft. Vorteile sind insbesondere die geringere Tablettenzahl (Fixkombination 1x1) und bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. Zudem wird der pangenotypische NS5A-Inhibitor Velpatasvir in Fixkombination mit Sofosbuvir erwartet. In den Phase-3-Studien wurde das Medikament in einer starren Therapiedauer von 12 Wochen bei allen Genotypen. Vorteile könnten die Möglichkeit zur Ribavirin-freien Behandlung des Genotyps 2 sowie die gute Wirksamkeit bei Genotyp 3 sein.
Zusammenfassung
In Deutschland stehen die notwendigen Medikamente zur Behandlung einer jeden HCV-Infektion zur Verfügung und es gibt keine Einschränkungen bei der Behandlung, obwohl der Druck auf die Kostenträger erheblich ist. Eine Elimination der HCV-Infektion wird allerdings nicht im Sprechzimmer des einzelnen Behandlers entschieden, sondern setzt eine gemeinsame Anstrengung von Politik, Medizin und Patientenverbänden voraus, nicht zuletzt um die vermutlich noch sehr hohe Dunkelziffer an chronisch Infizierten zu verringern.