Streiflicht
MEZIS gegen MEZINS
Ich habe Post von meiner KV bekommen. Sie legt mir MEZIS ans Herz. MEZIS ist die Abkürzung für „Mein Essen zahl’ ich selbst“, einer Initiative „unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte“. Ein Kollege von MEZIS wehrt sich in dem Artikel „gegen die Einflussnahme der Pharmaindustrie auf ärztliche Entscheidungen“. Okay, denke ich, das ist erstmal gut! Der Pharmaindustrie muss man auf die Finger gucken. Kritisch, unbestechlich sein! Diese Leute sind schließlich keine Waisenknaben.
Der MEZIS-Mann wirbt damit, dass es schon 530 Mitglieder gibt. Nanu? Bei den hehren Zielen ist der Erfolg ja durchwachsen. Bei 470.400 Ärzten bleiben 469.870 übrig, die sich ihr Essen von der Pharmaindustrie bezahlen lassen: eine riesige MEZINS-Ärztetafel. Warum machen bei MEZIS so wenige mit? Ich glaube, es ist der Ton. Er ist rechthaberisch. Kategorisch. Verschwörerisch. Für MEZIS ist die Pharmaindustrie schlimmer als die Tabakindustrie, Teufelswerk. MEZIS möchte uns deshalb beschützen. Weil wir Vollpfosten permanent der Versuchung erlegen und auf Kongressen „in beiden Händen Riesentüten halten, gefüllt mit Kugelschreibern, Notizblöcken und Gratismustern“. MEZIS sagt, wir sollen keine Pharmareferenten mehr ins Haus lassen. Weil wir sonst wie hypnotisiert zu unseren Rezeptblöcken greifen? Ach so, der Kuli in meiner Hand ist von MSD, danke MSD, wie heißt noch mal Euer Integrasehemmer? Ich glaube, man kann Ärzten durchaus mehr Urteilsvermögen zutrauen.
„Ärzte, die keine Pharmavertreter empfangen, verordnen vom Umsatz her 20% weniger“, hält MEZIS kühn dagegen und zitiert eine „Auswertung der KV Bayern von 2008“. Diese brandaktuelle Auswertung ist nirgends zu finden. Kann es nicht sein, dass Ärzte, die keine Pharmareferenten empfangen, kritischer gegenüber der Schulmedizin sind? Eine Kausalität zwischen Kugelschreibern und Umsatz herauf zu beschwören, ist mutig. Wer wie MEZIS andere der Datenmanipulation bezichtigt, sollten solch steile Thesen sorgfältig belegen.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich habe keine Aktien von Pharmafirmen, ihre Preispolitik ist teilweise absurd. Mir ist klar, dass sie ihre Präparate verkaufen wollen. Und sicher gibt es Auswüchse, Negativbeispiele. Ich duze Pharmareferenten nicht und möchte weder mit ihnen kitesurfen noch über Kindererziehung diskutieren. Gute, professionelle Pharmareferenten wollen das auch gar nicht. Wer mir nichts Neues zu seinem Präparat erzählen kann, ist schnell wieder aus dem Zimmer. Oder kommt gar nicht erst.
Aber ich will mir auch keine Pharma-Burka überziehen. Ich finde, man darf mit der Industrie kooperieren. Und auch mal einen Vortrag halten. Ich bastele mir meine selber und lasse mir da nicht reinreden. Die Herren Professoren „der großen medizinischen Fakultäten“ mit ihren Vortragshonoraren: Ans Licht mit ihnen, ruft MEZIS. Als ob das alles Betrüger wären. Ein medizinischer Vortrag als Anfangsverdacht der Bestechung. Mich ärgert das. Hat jemand den MEZIS-Leuten mal gesagt, dass ein solcher Vortrag auch viel Arbeit ist? Dass tausend Euro Vortragshonorar zwar viel Geld sind, aber soviel dann auch wieder nicht? Wenn wir eben nicht nur die zehn Stunden Vorbereitung dagegen rechnen, sondern auch die sechsstündige Anreise zum südwestdeutschen Proktologen-Kongress? Und was ist mit der allein durchwachten Nacht im durchgelegenen King Size im Holiday Inn zu Böblingen? Und den acht Stunden Rückreise, die Deutsche Bahn bittet um Ihr Verständnis? Dafür wird man nun noch wie Peer Steinbrück an den Pranger gestellt. Mit einem Bruchteil seiner Honorare. Das ist unfair.
MEZIS macht es sich zu einfach. Die alte Leier von Gut und Böse zieht nicht. Studenten sollten früh lernen, wie Studien laufen, wie man Statistiken fälschen oder einfach falsch interpretieren kann. Und wo die Interessen der Pharmaindustrie liegen. Aber auch, dass wir neue Medikamente brauchen. Es ist noch nicht alles erfunden, es sind noch nicht alle Patienten geheilt. Wir brauchen die Pharmaindustrie. Und das, liebe MEZIS-Initiative, ist ein kleiner, aber nicht ganz unwichtiger Unterschied zur Tabakindustrie.
Der Autor hat Vortragshonorare von diversen Firmen bekommen und das schon oft woanders kundgetan. Bislang verschwiegen: In seinem Arztzimmer liegen Stauschläuche von HEXAL und Roche, zuhause steht außerdem eine potthässliche Eieruhr von Astra Zeneca.