Anja Meurer, Ivanka Krznaric, Tim Kümmerle, Martin Däumer, Patrick Ingiliz
AIDS 2016 – zurück in Durban
Nach 16 Jahren findet die WeltAIDS-Konferenz in einem veränderten Südafrika statt. Während der damalige Präsident Thabo Mbeki den Zusammenhang zwischen HIV-Infektion und AIDS leugnete und antiretrovirale Medikamente als Versuch des Westens, Afrika zu vergiften, ablehnte, erhält heute die Hälfte der 7 Millionen Infizierten in Südafrika eine Therapie. Dennoch infizieren sich jede Woche 2.400 Mädchen und Frauen neu mit HIV, 19% der südafrikanischen Bevölkerung sind infiziert. Der große Schwerpunkt der Konferenz lag daher auch bei der Prävention.
Condomcouture,
Adriana Bertini
PrEP, PrEP und nochmals PrEP
Angesichts der hohen Inzidenz von HIV in Sub Sahara Afrika werden alle bekannten Präventionsmaßnahmen eingesetzt: Kondome, Beschneidung, Therapie der Infizierten und natürlich die Präexpositionsprophylaxe.
In Deutschland führt die Gabe von Truvada® zur Vorbeugung einer HIV-Infektion bei Menschen mit hohem Infektionsrisiko noch ein Nischendasein. Das Medikament ist (derzeit noch) ausschließlich zur Therapie zugelassen und damit nur als „off label use“ verschreibungsfähig. Die Zulassung wird im Herbst erwartet. In zahlreichen anderen Ländern ist die PrEP dagegen bereits fester Bestandteil des Präventionsarmentariums. Molina zeigte die Daten aus der IpergayOle-Studie, in der die Teilnehmer nun open-label Truvada® on demand erhielten. Die HIV-Inzidenz ist im Vergleich zum verblindeten Arm weiter gesunken auf 0,19 vs 0,91. Im Vergleich zum Placebo-Arm ergibt sich eine Risikoreduktion von 97%. Beim on demand Konzept wurden im Mittel 18 Tabletten pro Monat eingenommen (Tab. 1) (Molina JH et al., #WEAC01).
Tab.1 Ipergay Open Label Extension
Die Frage, ob die tägliche Einnahme von Truvada® besser schützt und besser vertragen wird als bei einem on demand Konzept, wurde in der HTPN067 – ADAPT-Studie an 525 MSM/TGW in Thailand und USA sowie Frauen in Südafrika untersucht. Dabei war die Wahrscheinlichkeit, Sex bei wirksamen Medikamentenspiegeln zu haben, bei täglicher Einnahme am größten (Grant H et al., #TUSA2205).
In den USA ist die PrEP mit Truvada® seit 2009 möglich. Eine Gruppe aus Los Angeles hat nach Analyse der Daten von 9.520 MSM, die einen HIV-Test durchführen ließen, einen Risikorechner erstellt, den man über eine Website bzw. QR-Code aufrufen kann und der über 12 Fragen die Indikation zur PrEP berechnet (Beymer MR et al., #WEPEC245, www.IsPrEPforMe.org). In Neuseeland und den Niederlanden (Van der Helm J et al., #WEPEC210) wurde im Rahmen eines Testmonats bzw. Testwoche über Werbung auf einschlägigen Datingseiten und in sozialen Netzwerken über HIV-Tests informiert, ein Termin konnte online vereinbart werden. Gleichzeitig wurde über eine PrEP informiert und bei bestehender Indikation konnte online ein Termin vereinbart werden. Neue Medien, Popup-Messages und Werbung für HIV-Test und PrEP in sozialen Netzwerken und auf Datingportalen werden zunehmend eingesetzt. Dabei können Informationen gezielt Risikogruppen angeboten werden.
Heimtest
Nach Schätzungen des RKI leben in Deutschland ca. 83.000 Menschen mit HV-Infektion, davon 16% undiagnostiziert (Bremer V, #TUPEC137). Hier sind neue Präventionskonzepte sowie Testkonzepte gefragt. Um Menschen, die in ländlichen Regionen wohnen und schwer Zugang zu den bestehenden Testeinrichtungen haben, und Menschen, die aus Angst vor ungewolltem Outing ungetestet bleiben, den Testzugang zu erleichtern, wird die Selbsttestung in mehreren Ländern untersucht. Die Bedenken liegen auf der Hand: schlechtere Testqualität durch fehlerhafte Durchführung, fehlende Betreuung nach positivem Test-ergebnis mit möglicherweise suizidalen Gedanken und die Sorge, dass Tests erzwungen werden und häusliche Gewalt nach sich ziehen, stehen an erster Stelle. In den Niederlanden konnte im Rahmen der Testwoche ein Selbsttest kostenfrei bestellt werden. Auf dem Weg zur Bestellung wurde über HIV und den Test sowie die Möglichkeit zur PrEP informiert. Der Test wurde dann in ein Zentrum zur Auswertung gesandt und das Ergebnis von einem erfahrenen Berater mitgeteilt. Immerhin 2,7% der getesteten waren HIV-positiv, 70% gehörten Hauptbetroffenengruppen an. Leider gaben nur 14% nach fünf Wochen die gewünschte Rückmeldung, so dass negative Folgen nicht beurteilt werden können.
Frauen
Nachdem das Risiko einer HIV-Infektion in Schwangerschaft und Stillzeit 2-4x höher ist, hat die WHO die PrEP für schwangere und stillende Frauen in ihre Leitlinien 2016 aufgenommen. Die Sicherheit und Verträglichkeit von Truvada® ist ja durch den Einsatz als ART bei HIV-positiven Frauen bekannt.
Abb. 1 PrEP – Dapivirin-Vaginalring
Tab. 2 Partnerstudie. 888 HIV-serodiskordante Paare in 75 europäischen Ländern, 445 heterosexuell, 282 MSM, 1.238 Paarjahre Follow-up
Der Einsatz des Dapivirin-Vaginalringes hat im Mittel zu einer Protektion von 27% geführt. Die genaue Analyse der Daten zeigt aber, dass bei sehr guter Adhärenz eine Protektion von 92% erreichbar ist (Abb. 1). Somit steht für Frauen, die keine Schwierigkeiten mit dem Ring haben, eine weitere effektive PrEP-Möglichkeit zur Verfügung (Brown E et al., #TUAC01).
Kann unter laufender ART eine HIV-Transmission durch Stillen von der infizierten Mutter auf ihr Kind übertragen werden? Eine Studie an ca. 2.500 Frauen in Sub-Sahara Afrika und Indien konnte zeigen, dass Stillen unter mütterlicher ART oder Nevirapinprophylaxe beim Neugeborenen nur bei 0,6% zu einer MTCT führte; zwischen den Gruppen fand sich kein Unterschied. Daten zu Wirksamkeit und Adhärenz liegen noch nicht vor (Taha T et al., #LBPE013)
Partnerstudie
Eines der erfolgreichsten Präventionskonzepte ist die Behandlung der HIV-Infektion. In dieser multizentrischen Kohortenstudie an 888 HIV-serodiskordanten Paaren, davon 445 heterosexuell und 282 MSM mit 1.238 couple years follow up wurden unter erfolgreicher Therapie des HIV-infizierten Partners 11 Neuinfektionen beobachtet. Davon konnte phylogenetisch keine dem Partnervirus zugeordnet werden. Somit gilt weiterhin: wenn bei HIV-Therapie die Viruslast konsequent unter der Nachweisgrenze liegt, werden keine sexuellen Transmissionen beobachtet (Tab. 2) (Rodger A et al., #TUAC02).
Immer noch keine Impfung?
Die Impfforschung mit breit-neutralisierenden Antikörpern hat dem Konzept der Prävention wieder etwas Aufschwung beschert. Die AMP-(Antibody Mediated Prevention) Studie soll die Wirksamkeit und Sicherheit einer passiven Impfung an 4.200 MSM/TGW in USA und Frauen in SubSahara Afrika untersuchen (Mgodi N et al., #TUSY0305).
Ansätze zur Heilung
Nach wie vor werden im Wesentlichen zwei Konzepte verfolgt:
- Die Deletion von CCR5 mittels Zinkfinger-Nukleasen (Petersen C et al., #THAA0103)
- Die Exzision der proviralen DNA (CRIPR/Cas9) (Khalili K et al., #THAA0102)
Mit beiden Konzepten kann bisher keine Viruselimination im Tierversuch erreicht werden, allerdings wird die Replikation gesenkt. Auf eine Heilung werden wir somit noch warten müssen.
HIV-Therapie
Abb. 2 START: Subgruppenanalyse. Höchster Benefit: CD4/CD8-Ratio <0,5, Alter >50 J., CD4<600/µL, VL >50.000 K/mL
Abb. 3 ARIA – DTG/ABC/3TC versus ATVr + TVD bei therapienaiven Frauen
Wer profitiert am meisten von einem raschen Therapiebeginn nach HIV-Diagnose? Diese Frage sollte eine START-Subgruppenanalyse beantworten. Es zeigte sich, dass vor allem ältere Menschen, Infizierte mit niedriger CD4/CD8-Ratio und hoher Viruslast sowie solche, die einen Framingham-Score >10 aufweisen, den höchsten Benefit haben (Abb. 2). Insbesondere in Ländern mit eingeschränkten Ressourcen kann so eine sinnvolle Auswahl der bevorzugt zu Behandelnden getroffen werden. Den ein oder anderen können die Daten vielleicht auch trotz guter CD4-Zellzahl zum Therapiebeginn motivieren (Molina JM et al., #THAB0201). Die erhöhte Suizidalität unter Efavirenz-haltigen Regimes zeigte sich auch in der START-Studie, insbesondere bei Patienten mit psychiatrischen Vorerkrankungen, Alkohol- und Drogenkonsum sowie höherem Lebensalter (Arenas-Pinto A et al., #THAB0202).
Integraseinhibitoren
Nach wie vor gibt es nur eine geringe Prävalenz von Primärresistenzen gegen Integrasehemmer, die meisten davon in Form minorer Mutationen wie H51Y (italienische Kohorte, Lapadula G et al., #THPEB050).
In der ARIA-Studie wurde ABC/3TC/DOL mit ATV/TVD bei ART-naiven Frauen verglichen und war mit 82 vs 71% <50 cp/ml überlegen. Im ATV-Arm fanden sich mehr Abbrüche wegen Neben-wirkungen (Abb. 3)(Orrell C et al., #THAB 0205LB). MSD hat erneut einen Versuch gestartet, Raltegravir als OD-Regime zu untersuchen. Dabei kam eine neue Formulierung mit 2 Tabletten à 600 mg vs Standard 2x 400 mg, jeweils kombiniert mit TDF/FTC. Die einmaltägliche Gabe war gleich gut wirksam und gut verträglich, allerdings traten bei Therapieversagen mehr Resistenzmutationen auf (Abb. 4) (Cahn P et al., #FRAB0103LB).
Profitieren Patienten von einer ART-Intensivierung mit Raltegravir bei fortgeschrittenem Immundefekt? Diese Frage wurde an 1.800 afrikanischen Patienten randomisiert untersucht. Wie bereits bekannt, fiel die Viruslast unter RAL-Zugabe rascher ab, es bestand allerdings kein Unterschied im Hinblick auf CD4-Anstieg oder Mortalität, so dass insgesamt kein Vorteil der Strategie zu erkennen ist (Abb. 5) (Kityo C AIDS 2016 #FRAB0102LB).
Duale Therapie
Abb. 4 ONCEMRK: Raltegravir QD (2x 600 mg) vs. Raltegravir BID (2x 400 mg)
Abb. 5 Reality: Raltegravir-intensivierte Quadrupel-Therapie bei therapie-naiven Patienten mit schwerster Immundefizienz (CD4 <25/µl)
38 stark vorbehandelte Patienten wurden auf Dolutegravir plus Rilpivirin eingestellt, v.a. wegen Toxizitäten oder Interaktionen des vorhergehenden Regimes. Bei keinem davon kam es zu einem virologischen Versagen, 3 Patienten brachen wegen Interaktionen oder Nebenwirkungen ab (Diaz A et al., #TUPDB0106).
Das „Gardel“-Konzept (3rd Agent + 3TC) wurde im Rahmen der PADDLE-Studie mit Dolutegravir an 20 Patienten untersucht. Vier Patienten hatten zu Baseline VL >100.000 Kopien/ml, 18/20 Patienten zeigten eine VL <50 Kopien bei Wo 48. Es kam zu einem virologischen Versagen zwischen Wo 24 und 48 ohne RT-Mutationen mit Re-Suppression nach Fortsetzung. Ein Suizid trat unter Dolutegravir auf – aufgrund dieses Ereignisses sollte man aufmerksam hinsichtlich psychiatrischer Nebenwirkungen sein.
Eine adäquat gepowerte Studie ist in Vorbereitung (Cahn P et al., #FRAB0104AB).
Patienten unter suppressiver ART wurden nach einer oralen Induktionsphase von 20 Wo mit Cabotegravir und Rilpivirin randomisiert drei Gruppen zugeteilt: Fortsetzung der oralen ART oder 4- bzw. 8wöchentliche Injektion. Die Zufriedenheit der Behandelten war unter Injektionstherapie trotz häufiger Reaktion an der Injektionsstelle höher. In der Q 8W-Gruppe wurde häufiger virologisches Versagen beobachtet, davon einmal verbunden mit NNRTI- und INI-Resistenz (Margolis D et al., #THAB0206AB).
Hepatitis C
Die WeltAIDS-Konferenz ist ja auch die politischste der HIV-Konferenzen. In den Sessions wurde daher auch an „vergessene“ Risikogruppen wie Häftlinge und Sexarbeiter erinnert und gefordert, Diagnostik und Behandlung hier zu intensivieren. Auch die Preispolitik von Big Pharma bei den DAAs wurde heftig kritisiert. Berechnet man die Kosten der Rohsubstanz plus Herstellungskosten plus 50% Profit, so würden 12 Wochen Therapie mit Sofosbuvir/Ledipasvir kosten. Selbst in Ländern wie Ägypten liegt der Verkaufspreis aber weitaus höher.
Nach wie vor sind die Therapieerfolge selbst nach Vorbehandlung und bei fortgeschrittener Lebererkrankung hervorragend, erneut gezeigt an HIV/HCV-Ko-infizierten in der ASTRAL 5-Studie (Bräu N et al., #WEAB0301). In dieser Phase-3-Studie wurde die Wirkung der neu zugelassenen Kombination Sofosbuvir/Velpatasvir an 106 Patienten mit Genotyp 1-4 (18% mit Zirrhose, 29% PEG/Riba vorbehandelt) untersucht. Bei insgesamt guter Verträglichkeit gab es nur 2 Relapser. Wechselwirkungen mit der ART betrafen vor allem Efavirenz, das zu einem signifikanten Abfall des Velpatasvirspiegels führt und nicht gleichzeitig gegeben werden sollte. Unter Velpatasvir stiegen die Tenofovir-Spiegel um 81% an, das allerdings nur bei TDF, nicht bei TAF (Mogalian E et al., #WEAB0302). Bei HIV/HCV-Koinfektion zeigte auch das 3D- bzw. 2D-Regime bei GT 1 und 4 sehr gute Wirksamkeit mit 2 Relapsen und 1 Durchbruch (Rockstroh J et al., #WEAB0304LB).
Enttäuschend sind dagegen weiterhin die Ergebnisse der DAA bei akuter HCV-Infektion – ursächlich könnte die hohe Viruslast hier sein (Boesecke C et al., #WEPEB063, Nelson M et al., #WEPEB059). Somit gilt statt “Hit hard and early” bei der akuten HCV-Infektion eher “wait and see”.
Hepatitis B
Eine
replikative Hepatitis B mit Virus-lasten über 7.000 IE/ml hat
deutlichen Einfluss auf die Mortalität bei HIV-
Koinfizierten
(Menan Kouamé G et al., #WEAB0303).